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Pferd
In den deutschen Dialekten sind in einer charakteristischen arealen Verteilung vier Bezeichnungen für das Pferd belegt, nämlich Pferd, Gaul, Ross und Hengst. Es handelt sich bei diesen Wörtern wohlgemerkt jeweils um die neutrale Gattungsbezeichnung und nicht etwa wie in der Standardsprache, in der diese Ausdrücke nebeneinander vorkommen, um wertende bzw. spezifizierende Bezeichnungen des Reit- und Zugtieres. Im Standarddeutschen ist lediglich Pferd der neutrale Gattungsname. Gaul bezeichnet ein wertloses, altes und Ross ein edles, stattliches Tier. Hengst bezieht sich auf das männliche Pferd.
Wenn man von dem Ausdruck Hengst, der lediglich auf kleineren Flächen in Norddeutschland vorkommt, einmal absieht, verteilen sich die Wörter in den Dialekten folgendermaßen: Im Norden und in der Mitte herrscht Pferd vor, im Süden Ross. In diese Gebiete ist als Insel das Gaul-Areal eingelagert. Es ähnelt in seiner Form einer Raute, deren Eckpunkte in der Nähe der folgenden Orte liegen (von Norden im Uhrzeigersinn): Detmold – Weiden in der Oberpfalz – Kempten im Allgäu – Bernkastel-Kues. Beachtenswert ist, dass im Westen und mehr noch im Süden und im Osten Mischgebiete vorliegen, in denen die Nachbarformen sich gegenseitig durchdringen.
Ein Teil des westlichen Abschnitts der Pferd/Gaul-Grenze verläuft durch rheinland-pfälzisches Gebiet. Die Karte zeigt, dass im Westen Pferd, im Osten dagegen Gaul belegt ist. (Der Übersichtlichkeit halber bleiben die streuenden Gaul-Belege im Pferd-Areal ausgeblendet.)
Die Darstellung basiert auf den Dialekterhebungen des Deutschen Sprachatlasses (DSA). Der Deutsche Sprachatlas hatte, beginnend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Deutsche Reich sprachgeographisch zu erforschen. Zu diesem Zweck wurden an alle Schulorte des Deutschen Reichs Fragebogen mit Testsätzen verschickt, die in den ortsüblichen Dialekt zu übersetzen waren. Die Ergebnisse der Befragung wurden auf Sprachkarten festgehalten, die die räumliche Verteilung ausgewählter Dialekterscheinungen dokumentieren. Karte 8 des Deutschen Sprachatlasses zeigt die Arealverteilung der Bezeichnungen für das Pferd. Auf der Grundlage dieser Karte ist die hier publizierte Darstellung entstanden.
Das Pfälzische Wörterbuch, das in sechs Bänden den Wortschatz der pfälzischen Dialekte erfasst, hat die areale Verteilung von Pferd und Gaul in der Pfalz im Jahr 1960 untersucht (Band I, Karte 39) und festgestellt, dass sich die Wortgrenze im Vergleich zu der Deutschen Sprachatlas-Linie von 1887 um einiges nach Westen verschoben hat. Das heißt: Das Gaul-Gebiet ist auf Kosten von Pferd größer geworden. In der ersten Hälfte der 1980er Jahre hat der Mittelrheinische Sprachatlas (MRhSA) die Dialekte im linksrheinischen Rheinland-Pfalz und im Saarland erhoben. Die Ermittlung der Pferd/Gaul-Grenze war nicht beabsichtigt, aber in dem vorliegenden Sprachmaterial finden sich gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass das Gaul-Areal (weiter) expandiert, und zwar nicht nur in der Pfalz über die 1960 festgestellte Linie hinaus, sondern im gesamten linksrheinischen Gebiet, wenn man die über hundertjährige Deutsche Sprachatlas-Linie hier als Bezugsgröße nimmt.
Die in der Karte dargestellte Wortgrenze verschiebt sich offensichtlich auf ganzer Front nach Westen. Gaul (dialektal: Gaul, Goul) dringt auf Kosten von Pferd (dialektal: Päärd, Päad, Pead usw.) vor. Beachtenswert ist, dass sich hier nicht das dem standarddeutschen Pferd entsprechende Dialektwort ausbreitet, sondern der Ausdruck Gaul, der in der Schriftsprache keine gleichwertige Entsprechung hat.
Literaturverzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).
Hinweise zu den Karten
Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.
Zitierhinweis
[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.
z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.