Hunsrück

0.13. Hunsrücker Platt (Hunsrückisch) in Brasilien

Im 18. und 19. Jahrhundert wanderten Tausende Deutsche nach Amerika aus, zu­nächst nach Nord-, dann auch nach Südamerika. Gründe für das Verlassen der Heimat waren vor allem wirtschaftliche Not, Krieg, Militärdienst sowie religiöse Intoleranz. Auch Hunsrücker zog es in die sog. Neue Welt. Für sie war in erster Linie die ökonomisch-soziale Situation das auslösende Mo­ment. Überbevölkerung, Missernten und der Zwang zur Realteilung, der generationsweise den geerbten Grundbesitz schrumpfen ließ, führten zur Verarmung des Volkes, so dass sich nicht wenige Familien zur Emigration gezwungen sahen. Nachdem Brasilien 1822 unabhängig geworden war, hat­te man eifrig deutsche Kolonisten insbesondere für den unbesiedelten Süden des Landes offiziell angeworben. Im Jahr 1824 wurde die erste deutschspra­chige Kolonie in dem Bundesstaat Rio Grande do Sul gegründet. Bis 1830 ließen sich dort und im Nachbarstaat Santa Catarina bereits 7000 Deutsche nieder. In drei Einwanderungswellen war bis 1865 eine beträchtliche Anzahl deutscher Siedler im Süden Brasiliens eingetroffen, besonders viele davon waren Hunsrücker. Die Neubürger lebten in ihren Kolonien lange Zeit rela­tiv isoliert. So konnten sich Sprache, Kultur, Feste und Bräuche der deutsch­stämmigen Brasilianer, deren Gesamtzahl gegenwärtig auf etwa vier Millio­nen geschätzt wird, bis heute erhalten. Nicht wenige von ihnen pflegen Kontakte zur deutschen Heimat der Vorfahren.

Die eingewanderten Hunsrücker brachten je nach Herkunftsort ihren rheinfränkischen oder moselfränkischen Dialekt (vgl. Kap. 5.) mit in die neue Heimat. In den Kolonien kamen sie in Kontakt mit dialektspre­chenden Migranten aus anderen (damals) deutschen Regionen wie Pom­mern, Böh­men, Bayern usw. Die Notwendigkeit gegenseitiger Verständi­gung führte im Laufe der Zeit zur Angleichung und Mischung der verschiedenen Dia­lekte. Das Hunsrückisch in Brasilien hat sich vom hiesigen (rheinischen) Hunsrücker Platt deutlich entfernt, so dass der heutige Dialekt eines Deutschbrasilianers keine Rückschlüsse mehr zulässt auf die genaue sprachgeographische Herkunft seiner Hunsrücker Vorfahren. Selbstver­ständlich wurden die deutschen Dialekte in Brasilien durch Kontakt sehr stark vom Portugiesischen beeinflusst. Das trifft in erster Linie auf den Wortschatz zu. Die Entlehnungen sind sehr zahlreich. Als Beispiele aus dem Bundesstaat Rio Grande do Sul seien genannt: bäge ‘fan­gen, erwischenʼ aus gleichbedeutend portugiesisch pegar, Briim ‘grober Leinenstoffʼ aus gleich­bedeu­tend portugiesisch brim, Fossfer ‘Streichholzʼ aus gleichbedeutend portugiesisch fósforo, Gramme ‘Rasen, Grasʼ aus gleichbedeutend portugie­sisch grama, Sossjo ‘Mitglied, Geschäftspartnerʼ aus gleichbedeutend por­tugiesisch sócio, Wende ‘Kramladenʼ aus gleichbedeutend portugiesisch venda und Wowwe ‘Omaʼ aus gleichbedeutend portugiesisch vovó.

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