Hunsrück

0.7. Dialekt, Standarddeutsch und der Zwischenbereich

Das Deutsch, das im Fernsehen und im Radio zu hören ist, das wir in Zei­tungen und Büchern lesen, das aus den Lautsprechern auf überregionalen Bahnhöfen und Flughäfen ertönt, das bei offiziellen Reden und Vorträgen verwendet wird, das landesweit als Unterrichtssprache dient, ist das Stan­darddeutsche. Umgangssprachlich ist hierfür der Ausdruck Hochdeutsch üb­lich. In der Wissenschaft werden auch die Bezeichnungen Hochsprache, Schriftsprache und Einheitssprache gebraucht. Der Vorteil dieser Sprach­varietät besteht in ihrer unbegrenzten kommunikativen Reichweite inner­halb des gesamten deutschen Sprachraums. Sie dient als gemeinsames Verständigungsmittel z. B. zwischen einem Vorarlberger und einem Ostthü­ringer. Würden beide ihren heimatlichen Dialekt verwenden, wäre ein In­formationsaustausch nur schwer, vielleicht sogar überhaupt nicht möglich. Die Standardsprache erlaubt Kommunikation über alle Dialektgrenzen hin­weg. Damit ist bereits angedeutet, dass der Dialekt in seiner kommunikati­ven Reichweite beschränkt ist. Schon innerhalb weniger Kilometer können erste Sprachdifferenzen auftreten, die sich mit zunehmender Entfernung vervielfachen. Ab einer bestimmten geographischen Distanz sind die Unter­schiede so beträchtlich, dass eine Verständigung im Dialekt kaum noch mög­lich ist. Kap. 6.2. hat exemplarisch vor Augen geführt, dass bereits Nachbardialekte (Buch und Mörz) erheblich voneinander abweichen kön­nen.

Die zunehmende Expansion der Massenmedien seit den 1950er Jahren und die Forcierung der Schulbildung seit den 1960er Jahren haben in Deutschland zu einer flächendeckenden Verbreitung der Standardsprache geführt. Unter den Nachkriegsgeborenen Rheinland-Pfälzern gibt es kaum noch reine Dialektsprecher. In der Regel verfügt man heutzutage über eine doppelte Sprachkompetenz, die sowohl den Dialekt als auch die Stan­dardsprache einschließt. Je nach Situation, Anlass und Gesprächspartner kann zwischen beiden Varietäten gewählt werden. Aber nicht nur das. Dem lokalen Dialekt (Basisdialekt), der lediglich auf kleiner Fläche funktioniert, steht als Alternative nicht nur die Standardsprache in alleiniger Opposition gegenüber. Zwischen den beiden Polen erstreckt sich ein sprachlicher Zwi­schenbereich, dessen Varietäten in einem Kontinuum von „näher am Basis­dialekt“ bis „näher am Standarddeutschen“ angesiedelt sind. In diesem mitt­leren Teilabschnitt findet sich auch der Regionaldialekt (vgl. Kap. 6.3.). Im Folgenden nenne ich Beispiele für (mögliche) sprachliche Kontinua zwi­schen Basisdialekt und Standarddeutsch:

BasisdialektZwischenbereich
(mit Regionaldialekt)
Standarddeutsch
Brourer     —Brorer — Brurer oder Broder— Bruder
Nòòl           —            Naal — Naachel— Nagel
Bääm         —              Bäim — Bäum— Bäume
fun             —gefun — gefunne — gefunde— gefunden

Der Sprecher wählt aus dem vom Basisdialekt bis zur Standardsprache rei­chenden Gesamtspektrum die Formen, die ihm für die jeweilige Kommuni­kationssituation angemessen erscheinen. Die tiefste Lage des Dialekts wird in vertraut-privater Umgebung verwendet, also bei sprachlichem Austausch im heimatlichen Nahbereich (Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis). Aber auch dort weichen die Kommunikationspartner je nach Gesprächs­thema auf den Abschnitt jenseits des Basisdialekts aus. Er­weitert sich der Kommunikationsradius nur begrenzt, wechseln die Sprecher gewöhnlich zum Regio­naldialekt. Das ist die großräumige Spielart des Dialekts, die sol­che sprachlichen Einheiten meidet, die eine sehr beschränkte Geltung ha­ben, aber die weitverbreiteten typischen Sprachmerkmale der Region beibe­hält (vgl. Kap. 6.3.). Je weiträumiger und/oder förmlicher die Situation wird und je weniger der Gesprächspartner bekannt ist, desto mehr verschiebt sich die Sprechlage in dem Zwischenbereich in Richtung Standard. Die meisten vor allem im Süden und in der Mitte Deutschlands sprachlich soziali­sierten Personen erreichen die Aussprachenorm des Hochdeutschen nicht. Sie be­halten einen mehr oder weniger ausgeprägten Regionalakzent, der sie als Angehörigen einer bestimmten Gegend aus­weist.

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