Zur Geschichte von Hirzenach
Hirzenach, ursprünglich ein Reichsort, gehörte zur Grundherrschaft der Abtei Siegburg. Der Reichsbesitz König Heinrichs IV. gelangte durch seinen Sohn Heinrich V. über den Kölner Erzbischof an die Benediktinerabtei Siegburg. Mit der Vergabe war die Auflage verbunden, ein Kloster zu gründen. Dank des umfangreichen Besitzes der daraufhin entstandenen Abtei Hirzenach und der tatkräftigen Güterpolitik ihrer Vorsteher erlangte die Abtei schnell die Grundherrschaft im Ort. Die Schenkung wurde 1109 durch den Kölner Erzbischof Friedrich I. (1100-1131) bestätigt. Die Schreibweise des Ortes wechselt in den folgenden Jahrhunderten häufig: 1100-1105 Hirtzenaw, allodium Hircenouwe; 1109 villam Hircennowen; 1110 Hirzenawe; 1140 ecclesie Hircenowe; 1181 cellam Hirzenowe, villam Hirzenowin; 1208 ecclesie in Hirzzenowe; 1224 ecclesia in Hirzenoya; 1291 Hertzenagiam; 1294 Hiertzenauwe, Hirtzenauwe; ca. 1300 Hirzenogia; 1320 Hirzenawe; 1346 Hyrtzenowe; 1358 Hirczinauwe; 1362 Herzenouwe, Hertzenouwe; 1376 Hirthenauwe; 1460 Hertzenauw; Anf. 16. Jh. Hirtzenauw; ca. 1690 Hirtzenach; 1790 Hirzenau. – Etymolisch wird der Ortsname mit althochdeutsch hir(u)z = Hirsch bzw. dem Personenamen Hirzo. und dem Namengrundwort au (von althochdeutsch/mittelhochdeutsch ouwa,ouwe = von Wasser umflossenes Land, wasserreiches Wiesenland) in Verbindung gebracht.
Herrschaft und Vogtei
Der Reichsministeriale Erlolf (wahrscheinlich von Burg Sterrenberg auf der anderen Rheinseite) übertrug Kaiser Heinrich IV. (1056-1106) seine Eigengüter in Hirzenach. Diese gelangten von Kaiser Heinrich V. (1106-25) mit der Auflage einer Klostergründung über den Kölner Erzbischof Friedrich I. (1100-31) an die Benediktinerpropstei Siegburg, die damit Grundherr in Hirzenach wurde. Die Schutzberechtigung über den Besitz der Propstei war Mitte des 13. Jahrhunderts in zwei Hälften geteilt. Die 1149 erwähnten Vogteirechte Erlolfs dürften schon kurz nach der Gründüng der Propstei an diesen übertragen worden sein. Es handelte sich hierbei wahrscheinlich um die Schirmherrschaft über seine Schenkung und zwar den Teil der Vogtei, der Niederhirzenach und Rheinbay umfasste. 1240 erschien dieser Teil im Besitz der Rheingrafen, 1267 besitzt Philipp von Bolanden die Vogtei Niederhirzenach. 1275 fiel die Vogtei an die Grafen von Sponheim, die sie 1291 vorübergehend an Ritter Konrad de platea Judeorum in Boppard verliehen. 1294 erwarben Enolf und Ludwig von Sterrenberg die Vogtei von Heinrich I. von Sponheim; im gleichen Jahr verkaufte sie der Graf an Enolf, Kantor an St. Martin zu Worms, dessen Bruder Ludwig und an Siegfried, den Sohn des Ritters Siegfried Schenk von Sterrenberg. Enolf, des Ludwig und Siegfried Schenk von Sterrenberg verzichteten 1294, 1308 und 1310 auf ihre Anteile und die Vogtei befand sich wieder im Besitz der Abtei. 1320 vermehrte König Ludwig der Bayer die Bopparder Pfandschaft um die Vogtei Hirzenach, die seitdem faktisch in kurtrierischem Besitz war und zum Oberamt Boppard gehörte. 1322 war sie an Friedrich Walpode zu Polch und 1341 an Heinrich Bayer von Boppard verpfändet. Laut dem Lehenbuch des Grafen Heinrich von Sponheim wurde die Vogtei zwischen 1370-87 an St. Martin/Worms verkauft bzw. an die Herren von Sterrenberg verliehen. Im Weistum von 1436 wiesen die Schöffen von Niederhirzenachder Propstei Wasser, Weide und Wald zu; bei Rechtsstreitigkeiten sollte Kurtrier als Schutzherr angerufen werden. Für die Schutzherrschaft hatten die Einwohner von Hirzenach an den kurtrierischen Vogt auf Burg Sterrenberg die gleichen Abgaben zu leisten wie dem Propst. 1594 und später wurde der Abt zu Siegburg und der Propst zu Hirzenach als Grund- und Landesherr in Niederhirzenach und Rheinbay bezeichnet, während der Kurfürst von Trier nicht ein erbvogt und schirmher daselbst, sondern angesetzter vogt und her ist. Das Weistum von 1597/98, das in einer vogteilichen und einer propsteilichen Fassung ausgefertigt wurde, zeugt vom Streit um die Landeshoheit zwischen der Abtei Siegburg und Kurtrier.
Laut der Beschreibung des Oberamtes Boppard 1784 leisteten die Untertanen dem Propst in Anwesenheit eines kurfürstlichen Vertreters eine grundherrliche Huldigung, während der Propst die landesherrliche Oberhoheit Kurtriers anerkannte. Die andere Hälfte der Vogtei umfasste Oberhirzenach, Karbach und Quintenach. (Die Trennlinie zwischen den beiden Bereichen war der heutige Patelsbach). Dieser Anteil wurde – wenn auch auf die Vogtei über Quintenach beschränkt – erstmals 1256 als pfalzgräfliches Lehen im Besitz der Herren von Ehrenburg erwähnt. Diese Vogteirechte gehörten zu den älteren Grundlagen des Aufstiegs der Herren von Ehrenburg. Sie gingen wahrscheinlich auf ihre Teilhabe an der Schutzherrschaft über Kölner Kirchenbesitz in diesem Raum zurück. Die pfalzgräfliche Oberhoheit resultierte aus der Schirmvogtei, die die Pfalzgrafschaft über ehemaligen Besitzungen, die an die Abtei gekommen waren, behaupten konnte. Die Übergabe der Vogtei 1337 an die Abtei Siegburg durch die Herren von Ehrenburg blieb ohne Auswirkungen, denn die Vogtei blieb bis zur französischen Besetzung als pfalzgräfliches Lehen Teil von Ehrenburg. Die Vogtei teilte das Schicksal dieser Herrschaft, die von den Erben der Ehrenburger, den Herren von Eltz/Pyrmont, 1561 an die Familie Dham Quadt, 1666 an die Freiherren von Clodt und 1798 an die Freiherren vom Stein zu Nassau kam.
In der Beschreibung des Oberamtes Bacharach von 1669 wurde die Meisterin des Klosters Marienberg als Grundherrin bezeichnet. Kurpfalz habe als oberster Erbfauth gemeinsam mit Kloster Marienberg einen Vogt und einen Gerichtsschultheißen zu bestellen. Hirzenach war 1798 französische Commune (Kanton Boppard, Arrondissement Koblenz), gehörte im Jahr 1800 zur Mairie Boppard, 1816 dann zur preußischen Bürgermeisterei Boppard bzw. 1817 Bürgermeisterei St. Goar. 1924 wurden die beiden Orte Ober- und Niederhirzenach zur Gemeinde Hirzenach vereinigt. Weitere Zugehörigkeit: 1930/48 zum Amt und Landkreis St. Goar, 1969 zur Verbandsgemeinde St. Goar (Rhein-Hunsrück-Kreis), 1970 zu Verbandsgemeinde Boppard und 1975 Eingemeindung in die Stadt Boppard.
Gerichtsherrschaft
In Niederhirzenach war der Gerichtsherr der Propst zu Hirzenach. Vogt war 1452 derjenige, der den obirsten Steyn uff Sternberg innehatte. Im Jahr 1784 wurde der Vogt von Kurtrier gesetzt. 1588 urteilte der Herr von Sterrenberg im Namen des Propstes. 1594 werden Schultheiß und Schöffen genannt (Nachfolge durch Kooptation, Einsetzung und Vereidigung durch Schultheiß); 1784 ein Schultheiß und sieben Schöffen, die vom Propst bestellt wurden. Ort des Gerichtes war 1588 am fronthor der propstei pforten. Getagt wurde jährlich an drei Dingtage: Montag nach Johann Baptist (24. Juni), Montag nach St. Martin (11. Nov.) und Montag nach dem 18. Tag (13. Jan.). Zuständigkeit: 1784 Kurtrier Peinliche Gerichtsbarkeit; Propstei willkürliche Gerichtsbarkeit, konkurrierende Gerichtsbarkeit mit kurtrierischem Amt Boppard in bürgerlichen Sachen; in Kriminalsachen hatte der Propst den Angriff, musste den Delinquenten nach 24 Stunden dem Amtmann übergeben; Abtei Siegburg hatte 1787 jurisdictionem concurrentem mit Kurtrier. Die Gerichtsbußen standen 1588 je zur Hälfte dem Propst, Vogt und Schöffen zu; ebenso 1784. Oberhof: 1598 Boppard, 1620 Propst der Abtei Siegburg; Appellationen an das landesherrliche Hofgericht in Koblenz. Weistümer sind für 1436, 1445, 1451, 1588, 1594, 1598, 1597/98 (Vogteirechte) und für 1620 überliefert.
Gerichtsherr von Oberhirzenach war der Propst zu Hirzenach. 1452 wurde diese Gericht als offin gereichte zu Herczenauwe bezeichnet. Vogt war 1452 derjenige, der den obirsten Steyn zu Erenberg innehatte. Laut Oberamtsbeschreibung von Bacharach aus dem Jahr 1669 war Kurpfalz oberster Erbfauth. Besetzung: 1452 Vogt, Schultheiß und 7 Schöffen; 1669 Kurpfalz hatte Vogt zu bestellen und einen Gerichtsschultheißen gemeinsam mit der Meisterin des Klosters Marienberg bei Boppard. Ort des Gerichts: 1452 undir der linden, ebenso 1549. Termine: 1452 drei ungebotene Dingtage, davon standen dem Vogt zwei, dem Propst ein von Johann Baptist (24. Juni) bis Dienstag vor Remigiustag (1. Okt.) zu. Zuständigkeit: 1577 Blutgerichtsbarkeit. Rügen und Brüche: 1452 Geschehen diese innerhalb der Dingtage des Propstes, so sollen vor Einberufung des Tages die Schuldigen mit dem Vogt, danach mit dem Propst verhandeln. Zuständiger Oberhof war Ingelheim. Weistümer: 1452, 1549, 1577, 1585 und 1594. Seit 1930/50 Amtsgericht St. Goar.
Grundbesitzer in Hirzenach (Belege im nebenstehenden Ortslexikon)
- Erlolf von Sterrenberg: siehe oben
- Herren v. Pyrmont und Ehrenberg: 1473 Besitz erwähnt.
- KarmeliterKloster/Boppard: Besitz des Klosters wird in einem Inventar des Klosterarchivs im Jahr 1694 erwähnt.
- Kloster Marienberg/Boppard: Besitz der Abtei wird in einem Bericht der Kellner 1724-82 erwähnt.
- Propstei Hirzenach: Laut Weistum von Oberhirzenach hatte niemand im Gericht Eigengüter, alle zahlten von ihren Gütern Zins an die Propstei. Diese war um 1720 mit 18000 Weinstöcken größter Besitzer in Hirzenach. Im Jahr 1802 wurde der Propsteibeitz versteigert.
- Rheingrafen: Um 1220 werden verpfändete Güter des Rheingrafen Wolfram erwähnt. Zum rheingräflichen Burglehen von Rheinberg (bei Lorch) gehörten Güter, die 1240 erwähnt werden.
- Stift St. Goar: Mitte des 15. Jahrhunderts bezog die Präsenz des Stifts Zinsen aus Hirzenach.
- Stift St. Martin/Worms: Laut Propsteirechnung von 1641/42 hatte das Stift Einkünfte aus Vogtei zu Hirzenach.
Zehntrechte (Belege im nebenstehenden Ortslexikon)
1114 Schenkung des Novalzehnten von der Rodung, auf der Hirzenach lag, durch Erzbischof Bruno von Trier; 1495 belehnte Propst Gerhard von Plettenberg den Balthasar Boos von Waldeck mit dem Zehnten; eine Belehnung der Boos von Waldeck mit Wein-, Roggen-, Hafer- und Heuzehnt ist für das Jahr 1558 bezeugt; Laut Oberamtsbeschreibung aus Bacharach (1669) besaß Kurpfalz die Hälfte vom Zehnten in Oberhirzenach. 1735 erhielt die Propstei aus dem Kirchenzehnten zu Niederhirzenach und Rheinbay je 20 Malter Korn und Hafer.
Heute gehört Hirzenach zusammen mit den Gemeinden Bad Salzig, Buchholz, Herrschwiesen, Holzfeld, Oppenhausen, Rheinbay, Udenhausen und Weiler zur Stadt Boppard.
Quelle: Rettinger, Historisches Ortslexikon (s. rechte Spalte); Homepage der Stadt; redakt. Bearb. S.G.