0.Geschichte von Bad Sobernheim
0.1.Vor- und frühgeschichtliche Besiedlung
Im Nahegebiet reichen die ältesten menschlichen Spuren bis in die mittlere Altsteinzeit zurück. Die Großwildjäger jener Zeit kamen wahrscheinlich nur im Sommer in die Nahegegend, wenn sie den nordwärts ziehenden Herden ihrer Nahrungstiere folgten [Anm. 1].
Am Ende der Eiszeit verwandelte sich das Flussgebiet von Rhein und Nahe in ein Steppenland mit einer Lössschicht, welche eine optimale Voraussetzung für den Ackerbau und die Viehzucht schuf. So kam es zu einer reichen Besiedlung des Nahetals, die abgesehen von wenigen Unterbrechungen bis heute anhielt.
In der Endphase der Jungsteinzeit (ca. 4.000 bis 2.000 v. Chr.) entstanden an den Rändern der Ackerbaugebiete Höhensiedlungen. Wahrscheinlich wurde damals auch auf dem Domberg eine befestigte Höhenburg angelegt. Darauf verweisen die dort noch sichtbaren drei parallel verlaufenden Gräben und Wälle. [Anm. 2]
Aus der Bronzezeit (ca. 2.000 bis 700 v. Chr.) und der folgenden Eisenzeit (ca. 770 bis ca. 13 v. Chr.) umsäumen Grabhügel sowohl im Süden als auch im Norden die Gemarkung.
Bereits in dieser vorgeschichtlichen Zeit überquerte ein Höhenweg von Mainz nach Metz bei Sobernheim die Nahe. Von Waldböckelheim kommend und den Domberg überquerend führte er die Römerstraße hinab durch das heutige Stadtgebiet über einen hochwasserfreien Streifen bis zum Naheufer.
Aus der letzten Epoche der vorrömischen Zeit, der sogenannten Spätlatènezeit, wurde im Gelände des heutigen Marumparks ein Brandgräberfeld entdeckt. [Anm. 3]
Nach der Zeitenwende entstand im Verlauf von wenigen Jahrzehnten im mittleren Nahetal eine blühende antike Siedlungslandschaft gallorömischer Prägung. Überall wurden römische Gutshöfe (villae rusticae) errichtet, die man nach damals fortschrittlichen Anbaumethoden bewirtschaftete. In Bad Sobernheim entdeckte man Gebäudereste einer Siedlungsstelle am Nordrand der Stadt (in der Nähe des Friedhofs). Auf eine weitere stieß man auf dem Flugplatz Domberg, wo vor allem römische Keramik und Ziegel zutage gefördert wurden.
Neben den landwirtschaftlich ausgerichteten Villen gab es im heutigen Industriegebiet am westlichen Stadtrand auch eine Siedlung mit Gewerbe und Handwerk, in der unter anderem auch eine Ziegelei betrieben wurde. Typisch für sie ist die Lage an einem Verkehrsknotenpunkt. Unmittelbar südlich der Bebauung konnte der solide Unterbau einer römischen Überlandstraße archäologisch nachgewiesen werden. Diese Straße verlief auf der linken Naheseite Richtung Kirn und stieß nur einige Meter naheabwärts auf die Fernstraße aus vorgeschichtlicher Zeit zwischen Mainz und Metz, welche von den Römern weiter genutzt wurde.
Anfang des 5. Jahrhunderts endete mit den Germaneneinfällen die römisch geprägte Besiedlung. Der folgende Wüstungsprozess veränderte die Landschaft radikal. Weite Teile der römischen Kulturlandschaft wurden von Wäldern zurückerobert und erst nach Jahrhunderten wieder urbar gemacht. [Anm. 4]
0.2.Dorfgründung
Die Gründung der Siedlung Sobernheim fällt in die Zeit der fränkischen Landnahme. Nach dem Sieg über die Alemannen besiedelten die Franken das eroberte Land. Ins Nahetal drangen sie flussaufwärts bis Kirn. Die damals im 6. Jahrhundert entstandenen Siedlungen waren Haufendörfer, d. h. lockere, ziemlich regellose Ansammlungen von Hofstätten, und erhielten in der Regel ihre Namen von dem Gründer oder ersten Besitzer, dem die Silbe „-heim“ angehängt wurde. In Sobernheim war es vermutlich ein Franke namens „Sobero“ oder „Subaro“. [Anm. 5]
Die damals entstandene Siedlung Sobernheim lag in einer fruchtbaren Talweitung der Nahe außerhalb des Hochwasserbereiches in dem vor Wind und Wetter geschützten Winkel der Niederterrasse zwischen dem Domberg, dem Hüttenberg und jenem Teil der Mittelterrasse, auf dem heute der Friedhof liegt. Der Dornbach, welcher damals noch durch Herrenstraße und Fröschengasse (die heutige Saarstraße) floss, sorgte für ausreichendes Wasser, einer lebenswichtigen Voraussetzung für jede bäuerliche Ansiedlung. Rückschlüsse aus den Höhenprofilen im Stadtgebiet und dem Straßenverlauf machen wahrscheinlich, dass das ursprüngliche fränkische Haufendorf zwischen der Saarstraße, dem Marktplatz und auf beiden Seiten der mittleren Großstraße gelegen haben muss. Aus der Gründungszeit ist ein frühmerowingisches Tongefäß erhalten. Es handelt sich um den ältesten Fund im mittleren Nahetal aus der nachrömischen Zeit. [Anm. 6]
Dorferweiterung
Die Einführung des Christentums bedingte eine der ersten Erweiterungen des Dorfes. Die erforderlichen kirchlichen Gebäude konzentrierten sich auf das Gebiet zwischen Pfaffengasse, unterer Großstraße, Poststraße bis fast zur Igelsbachstraße. Hier standen die Pfarrkirche, ein Vorgängerbau der heutigen Matthiaskirche, und der Wohn- und Amtssitz des Ortsgeistlichen. Neben den Pfarrgebäuden war auch der Salhof (Herren- oder Fronhof) des Mainzer Erzstiftes angesiedelt. Er war das Verwaltungszentrum des umfangreichen Mainzer Grundbesitzes, der sich von Meddersheim bis Oberhausen sowie Glan aufwärts bis Meisenheim erstreckte.
Die Bedeutung des Fronhofs verringerte sich, als Erzbischof Willigis (975-1011) auf dem Disibodenberg ein Kanonikerstift gründete und dieses mit Grundbesitz ausstattete, den er zum Teil dem Sobernheimer Hof entnahm. Das Disibodenberger Hofgut entstand im westlichen Teil des Kirchenbezirkes an der Stadtgrenze. Außerdem vermachte Willigis dem Stift die Pfarrkirche einschließlich des zugehörigen Zehnten. Die damit verbundene Übertragung der Seelsorge in Sobernheim verblieb bis zur Einführung der Reformation beim Disibodenberg.
Ein weiterer entwicklungsfördernder Faktor für das Dorf Sobernheim war seine verkehrsgünstige Lage an einem Knotenpunkt mehrerer Handelsstraßen. Unter ihnen war die bereits erwähnte vorgeschichtliche Fernstraße von Mainz nach Metz immer noch die bedeutendste. Hinzu kam die Uferstraße entlang der Nahe, flussaufwärts und flussabwärts über Staudernheim ins Glan- und Lautertal. Den Hunsrück erschloss eine Straße über Eckweiler nach Gemünden. [Anm. 7]
0.3.Ausbau zur landesherrlichen Stadt
Den bedeutsamsten Entwicklungsschub erfuhr Sobernheim mit der Erhebung zur Stadt. Dies geschah auf Initiative des Mainzer Erzbischofs Werner von Eppstein (1225-1284), der seine Besitzungen an der mittleren Nahe in einem Amt zusammenfasste. Im Jahre 1279 erwarb er die Burg Böckelheim undbaute sie zur Festung aus. Der dort eingesetzte Burggraf war in Personalunion Amtmann des neu geschaffenen Kurmainzer Amtes Böckelheim. Mit der anschließenden Stadterhebung von Sobernheim im Jahre 1279 wollte er im neuen Amt einen wirtschaftlichen Mittelpunkt schaffen. In der Erhebungsurkunde wurden Sobernheim die gleichen Privilegien zugesagt, wie sie die Stadt Frankfurt besaß, insbesondere die Vollmacht einen Wochenmarkt einzurichten sowie eine Ringmauer mit Wassergraben anzulegen.
Aus noch ungeklärten Gründen wurde die Stadterhebung zweimal neu erteilt, im Jahre 1324 wieder durch ein königliches Privileg nach dem Frankfurter Stadtrecht und 1330 durch den damaligen Administrator des Mainzer Bischofsstuhls, diesmal nach dem Recht der Stadt Bingen.
Für Sobernheim bedingte die Stadterhebung das Zusammenwachsen der bisherigen beiden getrennten Siedlungskerne, dem älteren bäuerlichen und dem jüngeren kirchlich-klösterlichen. Beide wurden nun durch einen Marktplatz zu einer Einheit verbunden. Dessen regelmäßige Gestalt lässt noch die planmäßige Anlage aus der Zeit der Marktrechtverleihung erkennen.
Am Rande des Platzes verlief entlang der Großstraße die bereits erwähnte alte Handelsstraße von Mainz nach Metz. So schuf man mit der Anlage des Marktplatzes den Mittelpunkt der jungen Stadt, auf den hin die übrigen Stadtteile mit ihren Straßen ausgerichtet wurden. Nach außen wurde die Stadt durch eine Ringmauer und einen Graben geschützt. [Anm. 8]
0.4.Städtisches Leben im Mittelalter
In der Folgezeit entwickelte sich Sobernheim zu einer Stadt, die zumindest im Alltagsleben einen kleinen, in sich geschlossenen, fast autarken Kosmos bildete. Die Leitung oblag dem vom Landesherren eingesetzten Schultheißen. Er wurde von gewählten Stadträten unterstützt, deren Anzahl im Laufe der Jahrhunderte variierte. Sie waren neben der Verwaltung auch für die Gerichtsbarkeit zuständig. Das von ihnen verwandte Stadt- und Gerichtssiegel zeigte das Mainzer Rad und als Beizeichen einen sechseckigen Stern.
Die Mitglieder des Rates stammten überwiegend aus dem ortsansässigen Adel. Ihre Adelshöfe lagen – wie bereits erwähnt – in einem Halbkreis am Stadtrand nahe der Ringmauer. Sobernheims Einwohnerzahl in der frühen Neuzeit wird auf ca. 800 Personen geschätzt. Der größte Teil von ihnen lebte von der Landwirtschaft, dem Weinbau und der Viehzucht. Den zweitgrößten Anteil der Bevölkerung stellten die Handwerkerfamilien, welche sich bei genügender Anzahl in den einzelnen Berufssparten anfangs in Bruderschaften, später in Zünften zusammenschlossen. Eine weitere bedeutende Berufsgruppe bildeten die Händler. Der Sobernheimer Markt war bedeutend für das gesamte Umland. Noch heute erinnert das erhaltene offizielle Normalmaßeisen am Portal der Matthiaskirche an die „Sobernheimer Elle“. [Anm. 9]
Infolge der Stadterhebung erlaubte der Mainzer Erzbischof die Ansiedlung von sogen. „landesherrlichen Schutzjuden“. Der älteste urkundliche Beleg stammt aus dem Jahre 1301. In der Regel waren es vier Haushalte. Sie besaßen einen Versammlungsraum, in dem sie ihre Gottesdienste feierten, ihre Versammlungen abhielten und die Jugendlichen im mosaischen Glauben unterrichteten. Das Haus, in dem sich der Betraum befand, wurde noch in einem 1616 verfassten Schriftstück als „alte Judenschule“ bezeichnet, obgleich zu dieser Zeit keine Juden mehr in Sobernheim wohnten und das Gebäude längst in den Besitz von Christen übergegangen war. [Anm. 10]
Vor den Toren der Stadt lagen am Mühlenteich und den künstlich geschaffenen Wehren drei Mühlen. An der Straße nach Meddersheim wurde im Jahre 1426 eine steinerne Brücke mit sechs Bogen errichtet, die zum Teil mit Geldern eines päpstlichen Ablasses finanziert worden war. Nachdem aber die Nahe infolge eines Unwetters ihr Bett verlegt hatte, stand die Brücke im Trockenen und wurde 1876 abgerissen. [Anm. 11]
0.5.Veränderungen im Zeitalter der Reformation
In der Zeit der Reformation veränderten zwei Ereignisse das Schicksal der Stadt. Dies war zum Ersten der Wechsel der Landesherrschaft. Verursacht wurde dieser durch die Verpfändung des Böckelheimer Amtes in der sogenannten Mainzer Stiftsfehde an Herzog Ludwig I. den Schwarzen von Pfalz-Zweibrücken (1424-1489). Verpfändungen dieser Art gab es auch früher, doch diesmal gelang es den Mainzer Erzbischöfen nicht, ihr Amt wieder auszulösen. Vielmehr wurde der Pfandnehmer in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit seinem Vetter, dem Kurfürsten Friedrich I. von der Pfalz (1425-1476) besiegt. Dieser belagerte 1471 Sobernheim und ließ sich nach kampfloser Einnahme der Stadt von Rat und Bürgern den Treueid leisten. Als neuer Landesherr versprach er, alle bisherigen städtischen Privilegien beizubehalten. Sein Nachfolger kaufte 1477 die Mainzer Burg am Stadtrand und gestattete ein Jahr später der Stadt, jeden Montag einen Wochenmarkt und drei Jahrmärkte abzuhalten. [Anm. 12]
Die andere folgenreiche Veränderung für Sobernheim war die Einführung der Reformation im Jahre 1559 durch Pfalzgraf Friedrich III. Nach dem damals geltenden Rechtsprinzip hatten die Untertanen die Konfession ihres Herrschers zu übernehmen. Dies bedeutete in Sobernheim, dass sie mit den pfälzischen Landesherren einen mehrmaligen Wechsel zwischen der reformierten und lutherischen Ausrichtung der neuen Glaubenslehre vollziehen mussten. In der Pfarrei wurde ein evangelischer Pfarrer eingesetzt und die Ausübung der katholischen Religion auch in den Ordenshäusern der Stadt verboten. Daraufhin verließen die Ordensgeistlichen des Malteserordens Sobernheim. Der Malteserbesitz verblieb aber weiter beim Ritterorden und wurde nun vom Komtur in Roth an der Our mitverwaltet. Das Hofgut des Klosters Disibodenberg dagegen wurde zugunsten des Landesherrn säkularisiert, nachdem er das Kloster 1559 aufgehoben hatte. Auch die Beginen mussten ihre Klause bei der Pfarrkirche schließen. Ihr Besitz fiel ebenfalls in die Hände des Pfalzgrafen, der das Klausengebäude der Stadt Sobernheim zur Nutzung als Schule übereignete. Beim Hospital kam es dagegen zu keinen nennenswerten Veränderungen, da es sich nicht in kirchlicher, sondern in kommunaler Trägerschaft befand. [Anm. 13]
0.6.Kriegsdrangsale im 17. Jahrhundert
Eine der schlimmsten Perioden in der Stadtgeschichte erlebten die Sobernheimer während des Dreißigjährigen Krieges. In den Jahren 1620/21 eroberten spanische Truppen die Pfalz. Vergeblich versuchte eine Abordnung der Stadtspitze, in Kreuznach beim spanischen Oberst für Sobernheim um Schonung zu bitten. Die Stadt wurde mit einem Regiment belegt, das verpflegt werden musste und die Kriegssteuern eintrieb. Die spanische Besatzung dauerte etwa zehn Jahre, bis sie 1631 von schwedischen Truppen unter Gustav Adolf II. (1594-1632) abgelöst wurde. Es folgten 1636 die Kaiserlichen unter Matthias Gallas (1588-1647), 1639 wieder die Schweden, 1641 die Spanier und schließlich 1644 die Franzosen.
Die Kriegsdrangsale wurden durch Seuchen verstärkt, sodass bereits im Jahre 1633 in der Stadt 14 Häuser verfallen waren, 42 leer standen und die Einwohnerzahl auf 139 geschrumpft war.
Nach dem Westfälischen Frieden begann allmählich der Wiederaufbau der Stadt. Die Landesherrschaft war seit der pfälzischen Erbteilung von 1610 an die simmernsche Linie übergegangen. Im Jahre 1660 verlegte Pfalzgraf Ludwig Heinrich von Simmern (1640-1674) seinen Residenzsitz nach Sobernheim und wohnte elf Jahre bis zu seinem Umzug nach Kreuznach in der Burg an der Stadtmauer.
Nach dem Aussterben der männlichen pfälzisch-simmernschen Linie im Jahre 1673 beanspruchten sowohl Kurmainz als auch Kurpfalz das Böckelheimer Amt. Eine drohende kriegerische Auseinandersetzung wurde nur durch das Eingreifen des Kaisers verhindert. Er stellte das Amt bis zur endgültigen Klärung unter Zwangsverwaltung und setzte als Amtmänner kaiserliche Sequester ein.
Das Aussterben auch der weiblichen Erbfolge von Pfalz-Simmern 1685 löste den Pfälzischen Erbfolgekrieg aus. Im Jahre 1688 besetzten französische Truppen das Amt Böckelheim und zerstörten mit der Burg Böckelheim den Verwaltungssitz des Amtes. Ein Jahr später brandschatzten sie alle bedeutenden pfälzischen Städte, am 4. Oktober auch Sobernheim. In den folgenden Tagen mussten die Sobernheimer ihre Stadtbefestigung einschließlich der Burg niederlegen.
Nach dem Friedensschluss von Rijswijk im Jahre 1697 verlegte die kurpfälzische Regierung den Verwaltungssitz des Amtes Böckelheim nach Sobernheim, da die Burg Böckelheim in Trümmern lag.
Der Wiederaufbau Sobernheims nach den unheilvollen Kriegen des 17. Jahrhunderts ging nur langsam voran. Auch die Ringmauer wurde wieder errichtet, allerdings wesentlich kleiner und ohne Burg und so schleppend, dass sie erst 1764 fertiggestellt war. [Anm. 14]
0.7.Im kurpfälzischen Oberamt Kreuznach
Im Jahre 1715 beendeten die Kurfürsten von Mainz und der Pfalz ihren Streit um das Amt Böckelheim zugunsten des Pfalzgrafen. Dieser löste es als selbstständige Verwaltungseinheit auf und integrierte es als Unteramt in das Oberamt Kreuznach.
Im 18. Jahrhundert begann allmählich die Normalisierung in allen Lebensbereichen, was ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum ermöglichte. Neben dem traditionellen Ackerbau wurden außer den Sonderkulturen Flachs und Tabak nun zusätzlich Kartoffeln angebaut. Auch der Weinbau, welcher im vorausgehenden Jahrhundert stark zurückgegangen war, gelangte zu neuer Blüte. Verstärkt wurde der wirtschaftliche Aufschwung, als die Stadtverwaltung 1744 die Anzahl der Jahrmärkte auf sechs verdoppelte. In Sobernheim lebten damals ca. 1500 Einwohner. Eine Erhebung der in der zweiten Jahrhunderthälfte ausgeübten Berufe ergab 135 Landwirte oder Tagelöhner und 110 Handwerker, die immer noch nach Berufssparten in Zünften organisiert waren. Besonders stark waren die Zünfte der Rotgerber und Bäcker. [Anm. 15]
0.8.Unter französischer Herrschaft
Mit dem Vordringen der französischen Revolutionstruppen ins Rheinland wurden viele traditionelle Gewohnheiten aus der Zeit des Ancien Régime abgeschafft und durch republikanische Neuerungen ersetzt, allerdings mit nur wenig Akzeptanz in der Bevölkerung. Dies zeigte sich beispielsweise an ihrer nur mäßigen Beteiligung an den Freiheitsfesten mit Umzug und der Errichtung eines Freiheitsbaumes auf dem Marktplatz. Der Baum des Jahres 1798 wurde von Unbekannten geschändet. Im Folgejahr endete das Fest in der Malteserkapelle, welche zum Freiheitstempel ausgerufen wurde wieder mit wenig Resonanz bei den Einheimischen.
Der eigentliche Umbruch begann im Jahre 1798, nachdem im Frieden von Campo Formio das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten worden war. Sobernheim wurde Kantonsort im neu geschaffenen Departement Rhein-Mosel.
Mit Einführung der in der Französischen Republik verwirklichten Revolutionsideen kam es zu Neuerungen in nahezu allen Lebensbereichen. Standesprivilegien und Zunftzwänge wurden abgeschafft. Das Gerichtswesen erhielt einen von der Verwaltung unabhängigen Status, indem man in jeder Kantonsstadt, so auch in Sobernheim, eigenständige Friedensgerichte einrichtete. [Anm. 16]
0.9.Preußische Landstadt
Nach dem Wiener Kongress konnte Preußen sein Gebiet auf der linken Rheinseite ausdehnen. Sobernheim lag nun zunächst als Dorf und ab 1857 wieder mit Stadtrechten als sogenannte preußische Landstadt im Regierungsbezirk Koblenz. Es besaß eine eigene Bürgermeisterei und war zugleich Sitz des Amtes Sobernheim-Land. Das französische Friedensgericht blieb bestehen und bezog 1842 den am Marktplatz neu errichteten Nachbarbau des Rathauses.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Sobernheim noch eine überwiegend Ackerbau treibende Stadt, die sich durch den Anbau von Tabak von anderen Orten durch einen gewissen Wohlstand abhob. Die Einwohnerzahl stieg auf über 3.550, um danach wieder zu sinken. Das änderte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte durch den Ausbau des Straßennetzes und vor allem durch die Anbindung an die Rhein-Nahe-Eisenbahn.
Es kam zu zahlreichen Fabrikgründungen (Kartonagefabrik Melsbach, Strumpffabrik Marum, Gelatinefabrik Ewald, Papiermühle Wehrfritz, Brauerei Trapp, das Manufakturgeschäft Wolff, eine Knopffabrik, eine Blech- und Metallwarenfabrik und eine Eisenschmelze). Zudem entstanden zahlreiche Geschäfte in allen Sparten. Im Handel waren die Angehörigen des jüdischen Glaubens besonders stark vertreten. Ihre Zahl wuchs im Laufe des Jahrhunderts stetig an und erreichte in den 1890er Jahren mit 135 Personen den Höchststand.
Auch die Zahl der Gesamtbevölkerung befand sich in einem Aufwärtstrend und überschritt am Ende des Jahrhunderts die 4.000er Marke. Die Folge war eine Stadterweiterung. Man beseitigte die Stadtmauer (bis auf wenige Reste) und legte im Außenbereich neue Straßen an.
Parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung übernahm Sobernheim zunehmend eine Mittelpunktfunktion für das Umland. Im Gesundheitswesen manifestierte sich dies in der Errichtung des Krankenhaues St. Josef im Jahre 1877 und der Gründung einer Diakonieanstalt, welche ein Jahr später erfolgte und deren Hauptsitz 1901 wegen des unerwarteten Erfolges in das größere Bad Kreuznach verlegt wurde. Im Bildungswesen geschah dies durch die Einrichtung einer Höheren Schule im Jahre 1821.
Die preußische Zeit endete mit dem Ersten Weltkrieg. Mit ca. 130 Gefangenen und zahlreichen Kriegsbeschädigten zahlten die Sobernheimer einen hohen Preis. Ihnen widmete man 1935 ein von Emil Cauer d. J. (1867-1946) geschaffenes Denkmal. [Anm. 17]
0.10.In der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus
Das Wirtschaftsleben der Stadt hatte durch die Kriegsereignisse einen erheblichen Rückschlag erlitten. Besonders betroffen waren die Industriebetriebe. Erst lange nach Kriegsende konnten sie sich zum großen Teil wieder erholen. Die Einwohnerzahl stieg langsam, aber stetig und überstieg um 1930 die Marke von 5.000.
Einen neuen Aufwärtsschub in der Stadtentwicklung erfuhr Sobernheim durch das Wirken des „Lehmpastors“ Emanuel Felke, der hier von 1915 bis 1926 mit naturheilkundlichen Methoden praktizierte. Es entstanden mehrere Kurhäuser, die zum Teil bis heute seine Heilmethoden anwenden. Ein erster Antrag auf eine Bad-Anerkennung im Jahre 1925 scheiterte noch, aber bereits bald danach durfte sich die Stadt mit dem Titel „Felke-Kurort“ schmücken. [Anm. 18]
Das Aufkommen des Nationalsozialismus vollzog sich in Sobernheim ähnlich wie im Umland. Die NSDAP war im Jahre 1932 zur mit Abstand stärksten Partei angewachsen und dominierte die Politik, auch wenn Zentrum und SPD gemeinsam noch eine Mehrheit hätten bilden können. Nach der Machtergreifung Hitlers wurden alle anderen politischen Kräfte ausgeschaltet. Auf dem ehemaligen Flugplatz (heute Johannisplatz) wurde ein Arbeitsdienstlager errichtet. [Anm. 19]
Von der Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender war – wie in ganz Deutschland – besonders die jüdische Gemeinde betroffen. Die Zahl ihrer Mitglieder hatte sich durch Abwanderung in Großstädte, aber auch durch Auswanderung in die USA und nach England bis 1933 auf 83 reduziert. Die jüdischen Geschäfte belegte man zunächst mit einem Boykott und schließlich einem Handelsverbot. Die Strumpffabrik Marum, welche damals mit ihren ca. 800 Beschäftigten deutschlandweite Bedeutung erlangt hatte, sowie das Kaufhaus Wolff mit 50 Angestellten wurden zwangsweise „arisiert“. Die zunehmenden Schikanen verstärkten die Flucht ins Ausland. Am Morgen des 10. November 1938 verwüsteten ca. 100 SA-Mitglieder jüdische Wohnungen, misshandelten deren Bewohner und demolierten die Synagoge. Im Innern des Sakralbaus legten sie Feuer, löschten es aber wieder, weil das Gebäude als Aula für das benachbarte Gymnasium vorgesehen war. Im Juli 1942 wurden die letzten Sobernheimer Juden in Konzentrationslager deportiert. [Anm. 20]
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges kam es auch in Sobernheim zu Bomben- und Jagdbomberangriffen, besonders im Umfeld des Bahnhofes. 25 Häuser wurden zerstört und 150 Gebäude beschädigt. Am Ende der Kriegshandlungen mussten die Sobernheimer 180 Tote beklagen, 101 Soldaten galten als vermisst und 700 kamen in Kriegsgefangenschaft. [Anm. 21]
0.11.Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der Eroberung durch die alliierten Streitkräfte dauerte es noch Jahre bis zur Beseitigung der durch den Krieg verursachten Schäden. Im Jahre 1953 lebten in Sobernheim noch 740 Flüchtlinge und Evakuierte. Zehn Jahre später waren schließlich fast alle Gebäude wieder instand gesetzt.
Die Stadt wuchs langsam, aber kontinuierlich, bis die Ansiedlung des Jagdgeschwaders 73 in das nahegelegene Pferdsfeld, die Errichtung einer Kaserne im Dörndich und der Bau einer Siedlung für Bundeswehrangehörige am nördlichen Stadtrand zu einem sprunghaften Anwachsen der Bevölkerungszahl führte. Diese Entwicklung wurde noch einmal intensiviert, als infolge der Stationierung der extrem lauten Phantom-Flugzeuge die Bewohner der Dörfer Pferdsfeld und Eckweiler in das Neubaugebiet im Leinenborn umsiedeln mussten. Dies bewirkte eine Steigerung der Bevölkerungszahl Sobernheims auf fast 8.000. Mit der Verlegung des Militärflugplatzes 1975 drehte sich die Wachstumsrichtung, und die Einwohnerzahl sank bis zum Jahre 2020 auf ca. 6.500. [Anm. 22]
Die Wirtschaftskraft wurde Mitte der 1980er Jahre durch die Ausweisung eines großflächigen Industrie- und Gewerbegebietes im Westen der Stadt gesteigert. Ein weiterer wirtschaftsfördernder Schwerpunkt entstand im Bereich Kur und Tourismus. 1995 wurde der Stadt der Heilbad-Status verliehen. Im Bereich Fremdenverkehr erlangten das rheinland-pfälzische Freilichtmuseum im Nachtigallental und der Barfußpfad an der Nahe überregionale Bedeutung. [Anm. 23]
Was das seit der preußischen Zeit bestehende Amt Sobernheim betrifft, so wuchs dieses im Laufe der Jahre kontinuierlich um umliegende Dörfer. Nach der Verwaltungsreform im Jahre 1970 wurde Sobernheim Verwaltungssitz der Verbandsgemeinde Sobernheim und nach dem Zusammenschluss mit der Verbandsgemeinde Meisenheim im Jahre 2019 Zentrum der neu geschaffenen Verbandsgemeinde Nahe-Glan.
Nachweise
Verfasser Text: Gottfried Kneib
Redaktionelle Bearbeitung: Marion Nöldeke
Verwendete Literatur:
- Brück, A[nton] / Behrens, G[ustav]: Brandgräber der vorchristlichen Zeit aus Sobernheim. In: Heimatblätter (Beilagen des Oeffentlichen Anzeigers) 3 (1923), Nr. 2 [S. 2].
- Berkemann, Hans-Eberhard: Die israelitische Kultusgemeinde. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015, S. 276-286.
- Bohn, Werner: Sobernheim im Dritten Reich / Bomben über Sobernheim. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015a, S. 51-55 u. 65-67.
- Bohn, Werner: Stadtentwicklung. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015b, S. 102-132.
- Crusius, Ewald: Das alte Sobernheim – Ein Beitrag zu seiner Topographie und Geschichte. In: Kreuznacher Heimatblätter 1955, Nr. 11 S. 1-3 und 12 S. 2 f.
- Engelmann, Uwe: Kur und Tourismus [in Bad Sobernheim]. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015, S. 244-246.
- Kneib, Gottfried: Juden in der kurmainzischen Stadt Sobernheim während des ausgehenden Mittelalters. In: Mainzer Zeitschrift 104 (2009), S. 107-132.
- Kneib, Gottfried, Stadtgeschichte bis 1879. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015, S. 8-31.
- Knöchlein, Ronald: Rund um den Disibodenberg. Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung. In: Als Hildegard noch nicht in Bingen war, hg. v. Falko Daim und Antje Kluge-Pinsker, Regensburg/Mainz 2009, S. 35-45.
- Müller, Wilhelm: Nahekunde – Sobernheim und seine Umgebung im Wandel der Zeiten, Bad Kreuznach 1924.
- Seibrich, Wolfgang: Kirchliches Leben im spätmittelalterlichen Sobernheim. 1200-1600. In: 1000 Jahre Matthiaskirche zu Sobernheim, hg. v. Evang. Kirchengemeinde Bad Sobernheim, Düsseldorf 2002, S. 20-53.
- Vogt, Werner: Sobernheim – Einst und jetzt, Fischbach 1980 (2. verbesserte Auflage)
- Wiechert, Anke: Auf Felkes Spuren. In: Bad Sobernheimer Stadtgeschichte(n), hg. v. Kulturforum Bad Sobernheim, Bad Sobernheim 2015, S. 356-374.
Anmerkung: Eine längere Sobernheimer Stadtchronik (mit dem Schwerpunkt der Stadtgeschichte nach 1870) wurde vom Verein Kulturforum Bad Sobernheim e.V. herausgegeben und im Internet zur Verfügung gestellt https://kulturforum-bad-sobernheim.de/stadtgeschichte/ Aufruf: 04.03.2022).
Verzeichnis aller Kulturdenkmäler in Bad Sobernheim: Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (Hg.): Nachrichtliches Verzeichnis der Kulturdenkmäler Kreis Bad Kreuznach, Bad Kreuznach 2020, S. 37-41, http://denkmallisten.gdke-rlp.de/Bad_Kreuznach.pdf (Aufruf: 04.03.2022).
Erstellt am: 04.03.2022
Anmerkungen:
- Knöchlein 2009 S. 36 ff. Zurück
- Müller 1924, S. 58-60. Zurück
- Brück/Behrens 1923, Nr. 2 [S. 2]. Zurück
- Knöchlein 2009 S. 35-45. Zurück
- Crusius 1955, Nr. 11 S. 1-3. Zurück
- Knöchlein 2009 S. 43-45 und Crusius 1955, Nr. 11 S. 1-3. Zurück
- Crusius 1955, Nr. 11 S. 1-3 und Nr. 12 S. 2 f. Zurück
- Vogt 1980, S. 21-27 und Crusius 1955, Nr. 11 S. 1-3 und Nr. 12 S. 2 f. Zurück
- Vogt 1980, S. 35-38. Zurück
- Kneib 2009, S. 107-132. Zurück
- Müller 1924, S. 175. Zurück
- Müller 1924, S. 144-148. Zurück
- Seibrich 2002, S. 47-52. Zurück
- Müller 1924, S. 163-168. Zurück
- Vogt 1980, S. 62-65. Zurück
- Müller 1924, S. 58-60 und Vogt 1980, S. 66-69. Zurück
- Müller 1924 S. 202-206 und Vogt 1980 S. 70-84. Zurück
- Wiechert 2015 S. 356-374. Zurück
- Bohn 2015a S. 51-55. Zurück
- Berkemann 2015 S. 279-282. Zurück
- Bohn 2015a S. 65-67. Zurück
- Bohn 2015b S. 102-132. Zurück
- Engelmann 2015 S. 244-246. Zurück