0.Berichte über den Fliegerangriff auf Saarbrücken am 9. August 1915
Im Archiv des Saarlandes ist der Fliegerangriff auf Saarbrücken am 9. August 1915 durch zwei Berichte dokumentiert, die im Folgenden unverändert zitiert werden.
Anhand der rückblickenden Schilderungen von Mutter und Sohn lassen sich zahlreiche Aspekte des im Ersten Weltkriegs erstmals stattfindenden Luftkriegs nachvollziehen: Beide berichten von den praktischen Maßnahmen, die die Menschen in Saarbrücken ergriffen, um sich vor Luftangriffen zu schützen – etwa der Rückzug in den Keller oder die an zahlreichen Orten aufgestellten Abwehrgeschütze. Sie verweisen auf die Ziele der feindlichen Flieger und zeigen auf, dass die Luftwaffe gegenüber dem Zweiten Weltkrieg noch wesentlich weniger professionalisiert war. Dennoch richteten die über Saarbrücken abgeworfenen Bomben nicht nur Sachschäden an, sondern kosteten auch zahlreiche Menschenleben. Angesichts der Unberechenbarkeit der Angriffe, herrschte im Saarland, wo die Flieger hauptsächlich Verkehrs- und Industriestandorte im Visier hatten, unter den Einwohnern eine angespannte Atmosphäre. Gleichzeitig ist zwischen den Zeilen jedoch auch eine gewisse Sensationslust bzw. Neugierde erkennbar, die insbesondere junge Menschen den Jagdfliegern während des Ersten Weltkriegs entgegenbrachten.
Der Fliegerangriff auf Saarbrücken - geschildert von Frau Fränzchen Güth
Etwa um 7½h morgens sassen wir gemütlich plaudernd im Raum unserer Verpflegungsstation auf dem Bahnhof zusammen u. warteten auf den nächsten Truppentransport, als ein dumpfer Knall erfolgte. Ich sagte sofort: "Feindliche Flieger!" wurde aber ob dieser Bemerkung von den anderen Damen herzlich ausgelacht. Ein vollbeladener Milchkarren rasselte über das nächstliegende Geleise u. sollte den Knall verursacht haben. Wir traten aber ins Freie u. hörten das charakteristische Summen von Flugzeugmotoren. Frau Dr. D. meinte in ihrer gewohnten Ruhe:"Das ist der Herr Erhardt!"
Infolge des Nebels waren die Flugmaschinen kaum sichtbar. Jedoch stellte die Fliegerabwehrwache die Anwesenheit feindlicher Flieger bald fest u. feuerte sofort los. Das war also der in Saarbrücken längst erwartete u. gefürchtete Fliegerüberfall. Alle anderen Damen stürzten sofort zum vorderen Bahnhoftunnel um dort Schutz zu suchen. Da gerade Züge eingetroffen waren, wurden auch viele Reisende dorthin gebracht. Ich blieb in der Küche zurück, da ich mir ja gleich sagte, dass ich auf dem Wege zum Tunnel leichter von niedersausenden Bomben aus den über uns schwebenden Flugzeugen getroffen werden könnte als im gedeckten Raum. Viele Eisenbahner standen um mich herum, die gleichfalls in dem Hause, in welchem z.Z. die Theeküche untergebracht ist, Schutz suchten. Ein Eisenbahner führte mich in einen kleinen Kellerraum. Vor demselben stand die feuernde Wachmannschaft. Das Infanteriefeuer in dieser unmittelbaren Nähe war ohrenbetäubend. Ich hörte dort auch alle Kommandos. Zunächst hiess es:"Legt an: Feuer – Feuer – Feuer" u. es erfolgte Salve auf Salve. Nach einiger Zeit wurde das Kommando für Einzelfeuer gegeben. Nach längerem Schiessen hörte ich einen Soldaten sagen: „Meine Patronen gehen aus.“ Dann hörte ich die interessanten Bemerkungen über die Bewegungen des einen Flugzeugs, welches noch über dem Bahnhof kreiste: Es kommt herunter – es neigt sich – es ist getroffen. – Das Feuer wurde fast noch heftiger.
Ich dachte fortwährend an meine Lieben daheim – an Bernhard besonders, ob er wohl ruhig an sicherem Ort blieb u. nicht neugierig draussen herumlief.
Ein Faktotum des Hauses steckte ab u. zu vorwitzig seine leuchtende Nase ins Freie u. gab durch Selbstgespräche in Saarbrücker Mundart seine Beobachtungen kund: "Alleweil han se ene getroff.“
Das Feuer vom Bahnhof aus auf die Flieger war ein ausserordentlich lebhaftes, da neben der Infanterie auch noch Maschinengewehre tätig waren. Der Flieqer stieg wieder höher u. lenkte vorn Bahnhof weg gegen Westen.
Anscheinend war es der Führer des Geschwaders. Kurz darauf wurde das Schiessen eingestellt u. ich verliess den engen mir Schutz bietenden Raum. Auch die anderen Helferinnen kehrten zuriück, alle froh mich unversehrt anzutreffen, da sie sich meinetwegen Gedanken gemacht hatten. Wir waren alle mehr oder weniger aufgeregt. Trotzdem wir schon im verflossenen Jahr an 6. u. 7. August feindlichen Fliegerbesuch über u. bei Saarbrücken hatten, war der Unterschied doch ein gewaltiger. Heute kamen die Flieger um zu zerstören, damals waren sie zwecks Aufklärung hier u. waren durch das Feuer der Abwehrkanonen schnell wieder vertrieben worden.
Wir hatten uns noch nicht von dem Schrecken erholt u. hatten kaum einige Worte ausgetauscht, als der Ruf: „Feindlicher Flieger!“ abermals ertönte. Wieder rannte alles davon. Ein Unteroffizier, welcher die Gefahr, in die sie sich begaben, erkannte, konnte gerade noch Fräulein Spr. zurückziehen u. so suchte diese weinend mit mir meinen Keller auf. Ich will hier einschieben, dass der Bruder von Fräulein Spr. um diese Zeit auf dem Wege ins Geschäft durch einen Bombensplitter tödlich verletzt wurde. Wieder durchlebte ich eine aufregende Viertelstunde, blieb aber äusserlich sehr ruhig. Als wir diesmal den sicheren Raum verliessen waren die Flieger endgültig vertrieben. Ueber eine Stunde hatte der Fliegerangriff gedauert. Während dieser Zeit wurden wohl weit über 50 Bomben auf die Stadt geworfen. Wie festgestellt wurde, hatte es der Feind hauptsächlich auf den Bahnhof u. die öffentlichen, militäirischen Zwecken dienenden Bauten abgesehen. Allein auf den Hauptbahnhof fielen 9 Bomben, man hörte jedoch später noch von mehreren, die ihm gegolten hatten, aber in die in allernächster Nähe liegenden Gärten gefallen waren.
Es gab verhältnismässig viele Blindgänger (also Bomben die nicht explodierten). Wunderbarerweise kamen auf dem Bahnhof keine nennenswerten Verletzungen vor. Auch der Sachschaden war unbedeutend. Auf der nördlichen Seite der Theeküche, etwa 10 bis 15 m entfernt, fielen drei Bomben nieder, u. zwar sämtlich in eine Werkstätte u. in ein Kohlenlager. Zu unserem Glück waren es drei Blindgänger. Auf der westlichen Seite der Theeküche, wo das Wachtkommando in einer einspringenden Ecke Aufstellung gefunden hatte, fielen ebenfalls drei Bomben nieder. Das war in meiner unmittelbaren Nähe. Glücklicherweise waren es wieder Blindgänger – sonst hätte es dort gewiss viele Menschenopfer gekostet.
Drei Bomben schlugen in der Nähe der Pfälzer Bahnsteige ein. Eine war auch ein Blindgänger, die anderen zwei explodierten. Der Blindgänger fiel zwischen zwei Arbeitern nieder, ohne sie zu verletzen: Die beiden anderen zerrissen ein Geleise, rissen einen Bahnsteig auf, die Sprengstücke beschädigten Mauerwerk u. zertrümmerten Fensterscheiben. Also Alles in Allem genommen wenig Schaden auf dem Bahnhof.
Heinz stellte sich oben ein u. war sehr glücklich als er mich unversehrt antraf. Auch stellte er mich als eine sehr umsichtige u. tanpfere Frau hin u. freute sich über die Ruhe, die ich in der gefährlichen Stunde gezeigt hatte.
Auf dem Wege nach Hause gingen wir gemeinsam die Punkte im Ortsteil St. Johann aufsuchen, wo Bomben gefallen waren, u. zwar den Ausgang der Kaiserstrasse, die Cecilienstrasse, den Rathausplatz, die Betzenstrasse, u. den Landwehrplatz. Hier lag von einem Posten bewacht ein Blindgänger. Er hatte die Form einer Granate von etwa 35 cm Länge bei 10–12 cm Durchmesser.
Die meisten Bomben schienen auf Strassen u. Plätze gefallen zu sein u. haben dort, wo sie explodierten, mehr oder weniger Schaden angerichtet. Im Allgemeinen waren die Löcher an den Aufschlagstellen klein, nicht tief, einzelne schüsselförmig. Die Sprengwirkung war verschieden, manche gingen energisch horizontal u. manche steil in die Höhe. Besonders interessant war der Bombenschlag vor dem Nebenportal der Johanniskirche nach der Cecilienstrasse. Hier zeigte die Treppe aus Basaltlava viele grosse Löcher. Natürlich waren in der Nähe der Einschlagstellen alle Spiegelscheiben der Schaufenster u. alle Fensterscheiben der Wohnungen teils durch Luftdruck teils durch Sprengstoff zertrümmert.
Ich war erschütter über den Verlust an Menschenleben: wie später festgestellt wurde, betrug die Zahl der Toten 12, der Schwerverletzten 26. Zu Hause wurde ich von Bernhard und Fräulein Wallentin freudig begrüßt, u. ich war froh u. glücklich, alle gesund u. munter anzutreffen.
Der Fliegerangriff auf Saarbrücken - geschildert vom Schüler Bernhard Güth
Am Morgen des 9. August 1915 wurden wir von einem feindlichen Flugzeugeschwader aufgesucht. Es war kurz nach 7 Uhr als ich mich anzog. Ich ging zum Vater um ihm einen guten Morgen zu wünschen. Da hörte ich das bekannte Gebrumm von Flugzeugmotoren. Schnell ging ich auf den Balkon um nach den Fliegern zu sehen. Nach kurzem Suchen entdecke ich ein Flugzeug in sehr großer Höhe. Ich wollte wieder hineingehen als ich einen lauten Krach hörte. Ich sah wieder hinauf u. sah statt des einen schon vier Flieger. Die Maschinengewehre fingen wie rasend mit ihrem tak – tak – tak – tak an. Das klärte uns auf: "Feindliche Flieger“.
Dieser Ruf erscholl von allen Fenstern. Ich suchte genauer u. sah nacheinander 0 – 7 – 8 Stück. Unaufhörlich hörte man das Schiessen der Maschinengewehre. Da, wieder ein Krach, ganz deutlich: eine Bombe.
Die Flieger waren im Schutze des Morgennebels hierher gelangt. Aber allmählich kam die Sonne u. die Apparate glitzerten darin. Die Sirene tutete nun die Bewohner zu warnen. Die Glocken setzten in dem Lärm auch noch ein. Wir versammelten uns in der Küche, da sie eine starke Betondecke hat. Vater war sehr in Sorge, weil Mutter an dem Tage wieder beim Roten Kreuz auf der Bahn war. Der Angriff dauerte schon eine halbe Stunde. Fortwährend fielen Bomben. Vater schickte uns in den Keller. Dort versammelten sich allmählich alle Hausbewohner; Frau M. war noch nicht frisiert u. Fräulein K. kam mit einer Reisetasche an. Ich ging ab u. zu mal hinaus schauen wie es stand. Im Keller unterhielten wir uns über die Flieger u. über die Bomben, was sie anrichteten, u. sprachen auch weiter über dieses u. jenes. So verging die Zeit, der Angriff dauerte schon eine Stunde. Wieder einmal ging ich hinaus u. sah nur noch zwei Flugzeuge über der Stadt, die anderen waren im Fortfliegen begriffen. Die beiden Flieger waren aber weit fort, über Saarbrücken. Allmählich verzogen sie sich auch gegen Westen. Die Maschinengewehre hörten auf zu feuern, de Sirene tutete wieder: Die Gefahr war vorbei.
Ich ging in den Keller die anderen benachrichtigen. Der Zug bewegte sich ins Freie, jeder wollte sich selbst auch überzeugen. Wir gingen in die Wohnung Kaffee trinken, ich konnte aber weder essen noch trinken, ich war zu aufgeregt. Vater ging sofort auf den Bahnhof um sich nach Mutter zu erkundigen.
Ich schätzte die gefallenen Bomben auf 30–40 Stück, es waren aber mehr. Es wurdn viele Blindgänger gefunden. Schnell ging ich in die Stadt um die Stellen zu sehen, an denen Bomben gefallen waren. Zuerst ging ich auf den Landwehrplatz. Die Oberrealschule hatte ein Loch im Dach, u. auf dem Platz lag ein Geschoss u. wurde bewacht. Es wurde von einer grossen Zahl Neugierigen belagert. Auch der Photogranh fehlte nicht. Von dort wollte ich auf den Rahausplatz, wo es schlimm aussehen sollte u. wo es auch Menschenleben gefordert hatte. Kaum den Weg angetreten, erscholl der Ruf: Flieger! Ich lief schnurstracks über den Landwehrplatz in das Haus des Backofenfabrikanten Schneider, wo die ganzen Hausbewohner u. auch andere Freunde u. Fremde im Keller Zuflucht suchten. Dieser Flieger warf nur einige Bomben, aber er kreiste eine Viertelstunde über der Stadt.
Ich kehrte nach Hause zurück u. erfuhr dort, dass Mutter noch kerngesund war. Wir waren durchs Telephon davon benachrichtigt worden. Nachmittags ging ich mit einigen bekannten Soldaten aus dem Reserve-Lazarett III. einige Einschlagstellen anschauen. Die Bomben, die unserem Haus am nächsten platzten, fielen neben der Bismarckbrücke in die Saar (3 Stück), bei dem neuen Landgericht in einen Garten (1 Bombe), bei der Ulanenkaserne in die Reitbahn 5 Stück, in die Autohalle Benz 1, bei dem Hause Grossehrzog Friedrichstr- 2, in der Nähe der Arndtstr. auch 1. Diese Bombe galt wahrscheinlich der Bonbonsfabrik Union.
50m etwa von unserem Garten entfernt flogen 2 nieder. Am 10. August fand ich auf dem Landwehrplatz auch einen französischen Fliegerpfeil, der wird mir immer eine sichtbare Erinnerung an den schändlichen Fliegerüberfall sein.