Bibliothek

2.2 Push- und Pull-Faktoren aus Sicht der rheinland-pfälzischen Auswanderungsforschung

Der Auswanderungsforscher Roland Paul nennt für die pfälzische Auswanderungsforschung als wichtigsten Faktor – ebenso wie Han und Oltmer – wirtschaftlich-soziale Ursachen[Anm. 1]. Eine besonders wichtige Rolle spielen hierbei die Hungersnöte von 1846/47 und 1853/1854 sowie die Wirtschaftskrisen der 1840-er/1850-er Jahre mit ihren nachhaltigen Einflüssen auf die soziale Lage der Bevölkerung in der Pfalz.[Anm. 2] Als demographischen Auslöser für Auswanderungsbewegungen im Land nennt Paul einen starken Bevölkerungszuwachs in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, der u.a. dazu führte, dass durch die alte Erbteilung (Realteilung) der Besitz zersplittert wurde. Dadurch konnten nicht mehr alle Familienmitglieder ernährt werden und sie mussten sich neue Verdienstmöglichkeiten suchen. Einen scheinbaren Ausweg aus dieser Lage bot die Liberalisierung der gewerblichen Arbeitsverfassung, so dass viele unbeschäftigte Bauern ihr Glück in Handwerk und Gewerbe suchten. Das hatte jedoch in der Pfalz wiederum eine Überbesetzung vieler Handwerksberufe zur Folge. Die fortschreitende Mechanisierung und der Ausbau des Fabrikwesens verschlechterten die Lage der ländlichen handwerklichen Gewerbe in der Folge zunehmend, denn die Kleinbetriebe konnten mit der fabrikmäßigen Verbilligung nicht mehr mithalten.[Anm. 3] Die als Folge zunehmende Tätigkeit als Tagelöhner oder Saisonarbeiter [Anm. 4] führte zu steigender Armut und der Suche nach alternativen Erwerbsmöglichkeiten zum Beispiel in einem anderen Land.

Aber auch politische Faktoren boten in der Pfalz Anlass zur Auswanderung: Eine Steigerung der Auswanderungszahlen aus dem pfälzischen Raum ergab sich vor allem nach dem Hambacher Fest 1832 in einem bis dahin unbekannten Maß.[Anm. 5]  Nicht nur Verfolgte, sondern auch Sympathisanten der national-liberalen Ideen, suchten eine neue Heimat.[Anm. 6] Zu weiteren politisch motivierten Auswanderungen kam es im Zuge der Revolution von 1848, vor allem auch nach der Niederschlagung von darauf folgenden Aufständen in Baden und in der Pfalz im Juni 1849.[Anm. 7]

Als verstärkende Pull-Faktoren für die pfälzische Auswanderung nennt Roland Paul neben der Veröffentlichung günstiger Ansiedlungsbedingungen in Nordamerika[Anm. 8] und einem Gesetz zur Übertragung von Landeigentum an Neubürger auch die um 1880 herum generell boomende amerikanische Wirtschaft.[Anm. 9]

Für die Auswanderung im 19. Jahrhundert aus der ehemaligen Bürgermeisterei Kastellaun in der Mittelgebirgsregion Hunsrück hebt Eric Beres als Hauptfaktoren für eine Auswanderungsentscheidung die politischen und ökonomischen Entwicklungen in den potentiellen Zielgebieten hervor. Diese hemmt oder fördert eine Auswanderungsentscheidung.[Anm. 10] Beres unterstreicht die gleichen Push- und Pull-Faktoren wie Roland Paul, gibt aber regionalspezifische Erklärungen für die Situation, in der sich Auswanderer befanden.[Anm. 11] Um der Unterstützung für die Armen zu entgehen, finanzierte die Bürgermeisterei Kastellaun beispielsweise eine Zeit lang die Kosten für Auswanderungen.[Anm. 12] Als weitere Detaillierung regionaler Push-Faktoren stellt Beres die Werbung durch Auswanderungsagenten ausführlich dar. Deren Einfluss wurde von den Behörden im Hunsrück zum Teil sogar als ausschlaggebend für die Auswanderungsentscheidung nach Brasilien eingeordnet.[Anm. 13]

Anmerkungen:

  1. Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 68. Zurück
  2. Vgl. ebd., S. 64 und S. 70.  Zurück
  3. Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 69. Zurück
  4. Vgl. ebd., S. 70. Zurück
  5. Beim Hambacher Fest forderte das oppositionelle liberale Bürgertum vom 27. bis 30. Mai 1832 revolutionäre Ideen wie Einheit, Freiheit und Demokratie. Die Redner und Befürworter mussten im Anschluss mit politischer Verfolgung, Bestrafungen und Repressalien rechnen. Zurück
  6. Vgl. ebd., S. 66.  Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 66. Nach dem Hambacher Fest emigrierten nicht nur Beteiligte und Sympathisanten, sondern auch weitere Gegner der aktuellen politischen Verhältnisse (vgl. ebd).  Zurück
  7. Vgl. ebd., S. 72. Zurück
  8. Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 70. Zurück
  9. Vgl. ebd., S. 79. Zurück
  10. Eric Beres: Auswanderung aus dem Hunsrück 1815-1871: Strukturen, Ursachen und Folgen am Beispiel der ehemaligen Bürgermeisterei Kastellaun. Dommershausen 2001, S. 105. Zurück
  11. Vgl. ebd., S. 103. Zur Missernte von 1845 stellt Beres beispielsweise dar, das die „Kartoffelkrankheit“ (Phytophthora) sich in ganz Europa ausgebreitet hatte und durch die Ernteausfälle im Hunsrück nicht nur die Hungersnot von 1846/47 dort entstand, sondern auch steigende Sterberaten und verstärkte Bettelei um sich griffen. Die regional bescheidene Kaufkraft ging noch stärker zurück, da die Ersparnisse für den Kauf von Nahrungsmitteln gebraucht wurden. Zurück
  12. Vgl. ebd., S. 77. Zurück
  13. Vgl. ebd., S. 112-113. Auf Versammlungen in Kastellaun sollen die Agenten den Auswanderungsinteressierten Auswanderbriefe vorgelesen haben und es wurde ein Brasilien-Lied vorgetragen, um für die Auswanderung zu werben. Auswanderungswillige seien möglicherweise auch zur Auswanderung überredet worden. Zurück