I. Überblick über die rheinland-pfälzische Auswanderung im 19. Jahrhundert
Schon früh im 19. Jahrhundert gab es Auswanderungsbewegungen im pfälzischen Raum. Nach Missernten und Hungersnöten wanderten in den Jahren 1816/1817 aus dem badisch-elsässisch-pfälzischen Raum circa 15.000 Menschen nach Amerika aus, ein ebenso hoher Teil wanderte nach Russland aus. In den 1820-er Jahren folgten viele Auswanderungswillige aus dem Hunsrück den Werbeaufrufen des brasilianischen Kaisers[Anm. 1] und wanderten in die Provinz Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens aus.[Anm. 2] Brasilien war sehr an Einwanderern interessiert die das Land mit entwickeln sollten. Staatskolonien zur Ansiedlung von Kolonisten wurden gegründet, erleichternde Gesetze und Bestimmungen herausgegeben sowie Fördergelder für die Einwanderung bereitgestellt.[Anm. 3] Die Ansiedler erhielten kostenfreies Land, sowie zusätzliches Land zum Ausbau einer Gemeinde oder Anlage einer Stadt. Eine 10-jährige Abgabenfreiheit bildete ein weiteres Argument für eine Ansiedlung in Brasilien.[Anm. 4]
1830 und besonders nach dem Hambacher Fest 1832[Anm. 5] begann in größerem Maße die politisch motivierte Auswanderung aus dem pfälzischen Raum nach Nordamerika.[Anm. 6] Ende 1832 sollen circa 8.000 Pfälzer ihre Heimat verlassen haben. Für die Jahre 1850 bis 1854 ist eine jährliche Zahl von circa 7.000 Auswanderern aus der Pfalz belegt.[Anm. 7] Nach 1855 besserten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse teilweise, so dass es während der amerikanischen Wirtschaftskrise (1854-1856) und dem dortigen Bürgerkrieg (1861-1865) zu einer Senkung der pfälzischen Auswandererzahlen kam.[Anm. 8]
Phasen von Steigerungen der pfälzischen Auswandererzahlen durch gesetzliche Anreize in Amerika und Senkungen der Zahlen – durch beispielsweise den deutsch-französischen Krieg 1870 oder eine Industriekrise in den USA 1873 – wechselten sich dann bis 1880 bei der pfälzischen Auswanderung ab. Danach gab es mit der Blüte der amerikanischen Wirtschaft in den 1880-er Jahren bis zum Jahr 1900 noch einmal einen größeren Anstieg der Auswanderungszahlen nach Amerika.[Anm. 9]
Für die regionale Auswandererforschung am Beispiel der „Bürgermeisterei Kastellaun“ im Hunsrück ist neben den Landestrends ein zusätzlicher Peak in den Auswanderungszahlen nach Brasilien im Jahr 1845/46 feststellbar. Vermutlich wurde diese Steigerung hervorgerufen durch Auswanderungswerber und regional vorfinanzierte Überfahrten,[Anm. 10] sowie zwei durch familiäre Kettenwanderungen hervorgerufene Auswanderungswellen in den Jahren 1857 und 1860.[Anm. 11]
Anmerkungen:
- Kaiser Pedro I. war mit der mit der österreichischen Erzherzogin Leopoldine verheiratet. Zurück
- Eric Beres: Auswanderung aus dem Hunsrück 1815-1871: Strukturen, Ursachen und Folgen am Beispiel der ehemaligen Bürgermeisterei Kastellaun. Dommershausen 2001, S. 124. Zurück
- Gerhard Brunn: Deutschland und Brasilien (1889-1914). Köln 1971, S. 129. Zurück
- Carlos Fouquet: Der deutsche Einwanderer und seine Nachkommen in Brasilien: 1808 - 1824 – 1974. São Paulo 1974. Zurück
- Beim Hambacher Fest forderte das oppositionelle liberale Bürgertum vom 27. bis 30. Mai 1832 revolutionäre Ideen wie Einheit, Freiheit und Demokratie. Die Redner und Befürworter mussten im Anschluss mit politischer Verfolgung, Bestrafungen und Repressalien rechnen. Zurück
- Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 66. Nach dem Hambacher Fest emigrierten nicht nur Beteiligte und Sympathisanten, sondern auch weitere Gegner der aktuellen politischen Verhältnisse (vgl. ebd). Zurück
- Vgl. ebd., S. 64. Siehe auch behördliche Statistik der Pfalz im 19. Jh. auf S. 71 ebd. Diese weist zwischen 1832 und 1850 schwankende Zahlen zwischen min. 1.304 Auswanderern aus der Pfalz (in den Jahren 1837/38) und max. 6.528 Auswanderern (in den Jahren 1846/47) aus. Zurück
- Vgl. ebd., S. 78. Siehe auch behördliche Statistik der Pfalz im 19. Jh. auf S. 71 ebd. Zurück
- Roland Paul/Karl Scherer (Hg.): Pfälzer in Amerika = Palatines in America, S. 79. Siehe auch behördliche Statistik der Pfalz im 19. Jh. auf S. 71 ebd. Zurück
- Eric Beres: Auswanderung aus dem Hunsrück 1815-1871, S. 125. Des Weiteren bei Karl Faller: Deutsche in Brasilien: Hunsrücker, Pfälzer, Schwaben u. Pommern als Kolonisten seit 1824; Begegnungen 150 Jahre später. Simmern 1974, S. 7. Faller weist darauf hin, dass im Hunsrück mit seinen unzähligen kleinen Bauernhöfen am Rande des Existenzminimums die Auswanderungswerber besonderes Gehör fanden. Zurück
- Vgl. ebd., S. 126. Für Details: siehe auch Tabelle A1 „Auswanderungen aus der Bürgermeisterei Kastellaun (1815-1871). Vgl. ebd., S. 154. Zurück