2.3 Vergleichbarkeit und Unterschiede der Forschungsperspektiven
Zunächst stellt sich die Frage, ob die vier ausgewählten Forschungsperspektiven[Anm. 1] generell miteinander vergleichbar sind und in ihrem Verständnis von Push- und Pull-Faktoren für Auswanderungsursachen das gleiche meinen. Der Soziologe Petrus Han schlägt eine Brücke zwischen Migrationsforschung und Auswanderungsforschung, indem er in seiner Arbeit auf die Bedeutung des Wortes „Migration“ hinweist: es stammt vom lateinischen Begriff „migrare bzw. migratio“, der so viel wie „wandern, wegziehen, Wanderung“ bedeutet.[Anm. 2] Jochen Oltmer benutzt als Historiker und Migrationsforscher in seinen Ausführungen zu Hintergründen und Bedingungen von Migration in Teilen den Terminus „Migration“, verwendet aber auch in vielen Abwandlungen den Begriff „Wanderung“.[Anm. 3] Beide können somit als vergleichbar zur Perspektive der rheinland-pfälzischen Auswanderungsforscher Roland Paul und Eric Beres gesehen werden, die ebenfalls von „Auswanderung“ sprechen.
An welchen Stellen gibt es bei den vier Forschern unterschiedliche Sichten in ihren Ausführungen? Die Unterschiede der Perspektiven lassen sich bei den Forschern nur auf der Detailebene erkennen und sind eher konkretisierende Beschreibungen als Differenzen: Petrus Han ist der Einzige der vier betrachteten Forscher, der in seiner Analyse die Reduktion der Migrationskosten durch Nutzung eines „Migrationsnetzwerkes“ als Vorteil für eine Kettenwanderung nennt und diese genauer aufzählt.[Anm. 4] Jochen Oltmer hebt als Einziger den Push-Faktor hervor, dass die Familie oder andere Herkunftskollektive häufig Angehörige aussendeten, um ihre eigene ökonomische und soziale Situation durch Geldtransfers und „Rücküberweisungen“ zu verbessern.[Anm. 5] Roland Paul erwähnt als Einziger das Bekanntwerden von Goldfunden nach 1848 als starken pfälzischen Push-Faktor in dieser Zeit für die Auswanderung nach Amerika.[Anm. 6] Eric Beres beschreibt detailliert die durch wirtschaftliche Strukturprobleme und den Bevölkerungsanstieg in der Region gestiegene Anzahl von Armen sowie den praktische Umgang vor Ort damit.[Anm. 7]
Im Unterschied zu den Forschern der neueren Migrationsgeschichte (Petrus Han und Jochen Oltmer), die eher allgemeine Push- und Pull-Faktoren für Migrationsbewegungen benennen, sind die Ausführungen der Auswanderungsforscher für das Land Rheinland-Pfalz (Roland Paul) und für die spezifische Region des Hunsrück mit der Betrachtung der Auswanderung in der Bürgermeisterei Kastellaun (Eric Beres) naturgemäß sehr viel spezifischer dargestellt und mit konkreten Beispielen aus dem Leben der Auswanderer hinterlegt. Sie ermöglichen einen detaillierten Blick auf die Ursachen und Zwänge, denen Auswanderer in Rheinland-Pfalz im 19. Jahrhundert unterworfen waren, und die ein Anlass für eine Auswanderungsentscheidung sein konnten. Alle vier Forschungsperspektiven sind jedoch in ihren grundsätzlichen Aussagen ähnlich und können in einer Push- und Pull-Faktoren-Übersicht gebündelt werden.[Anm. 8]
Anmerkungen:
- Beschreibung der einzelnen Forschungsperspektiven: siehe Kapitel 1, Fußnote sowie Kapitel 2.1 bis 2.3. Zurück
- Petrus Han: Begriff der Migration und Grundbegriffe der Migrationssoziologie, S. 7. Zurück
- Jochen Oltmer: Migration: Hintergründe, Bedingungen und Formen. Eine Skizze, S. 23-41. Zurück
- Petrus Han: Begriff der Migration und Grundbegriffe der Migrationssoziologie, S. 17. Zurück
- Jochen Oltmer: Migration: Hintergründe, Bedingungen und Formen. Eine Skizze, S. 26-27. Zurück
- Roland Paul: Auswanderung aus der Pfalz vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. S. 70. Zurück
- Eric Beres: Auswanderung aus dem Hunsrück 1815-1871, S. 99. Die Armen wurden in der Bürgermeisterei in verschiedene „Klassen“ unterteilt und unterschiedlich unterstützt. Zurück
- Die aufgezählten Detail-Unterschiede werden nicht separat in der Push- und Pull-Faktoren-Übersicht ausgewiesen, da es bei der Übersicht um die Schwerpunkte geht. Siehe Kapitel 2.4, Tab. 1: „Übersicht Push- und Pull-Faktoren der Auswanderung“. Zurück