Hunsrück

0.6. Dialektvielfalt

0.1.6.3. Wie es weitergeht

Im vorhergehenden Kapitel war von Dialektvielfalt und stabilen Sprach­grenzen, die sich von früher bis in die Gegenwart fortsetzen, die Rede. Ein genauer Blick auf die derzeitigen Sprachverhältnisse führt allerdings zu einer differenzierten Beurteilung der Gegebenheiten. Die dialektale Klein­kammerung unseres Gebietes zeigt sich heute nur noch, wenn man aus­schließlich die Basisdialekte betrachtet. Der Basisdialekt ist die tiefste Dialektschicht. Er wird repräsentiert durch die ältesten, bodenständigsten, we­nig mobilen Bewohner eines Dorfes. Das sind in der Regel Bäuerinnen und Bauern. Diese von den Alten gesprochene Dialektform unterscheidet sich noch (mal mehr, mal weniger) von Ort zu Ort. Zumindest war das bis in die 1980er Jahre der Fall, wie die Erhebungen des Mittelrheinischen Sprach­atlasses (vgl. Kap. 1.) belegen. Untersucht man den Dialekt der mittleren Generation, was der soeben erwähnte Sprachatlas ebenfalls getan hat, dann zeigt sich ein anderes Bild. Die ursprüngliche sprachliche Kleinkammerung ist oft zugunsten von größeren vereinheitlichten Raumstrukturen aufgeho­ben. Das heißt, die von den Alten gesprochenen lokal differenzierten Orts­dialekte sind bei den Jüngeren teilweise durch eine Spielart des Dialekts er­setzt, die in einem größeren Umkreis Geltung hat. Sprachforscher sprechen in diesem Fall von Regionaldialekten. Während man sich im Ortsdialekt nur in einer engen Umgebung verständigen kann, lässt der Regionaldialekt Kommunikation über weitere Distanzen zu.

Die Entwicklung vom Orts- zum Regionaldialekt hängt u. a. mit der Zunahme der Mobilität, vor allem in Form des Berufs- und Freizeitpendler­tums zusammen. Bei den ortsüberschreitenden Kontakten dient zwar häufig noch immer der Dialekt als primäres Verständigungsmittel. Die Kommuni­kationspartner, die nicht aus derselben Ecke kommen, passen aber ihre Aus­drucksweise an, indem sie Dia­lektformen vermeiden, von denen angenom­men wird, dass sie dem anderen fremd sein könnten. Anders ausgedrückt: Die Sprecher ersetzen lokale Dialekteinheiten, die eine sehr begrenzte räum­liche Reichweite haben, durch solche, die innerhalb eines größeren Umfel­des gelten, also zum Regionaldialekt zählen. So wird z. B. das nur in weni­gen Orten des Vorderhunsrücks vorkommende basisdialektale Oos für ‘Ochse’ (vgl. Karte 32) von jüngeren Dialektsprechern zunehmend durch das großregio­nale Wort Ocks ersetzt. Auch das in derselben Gegend übliche Punn ‘Pfund’ wird von Pund, der regionaldialektalen Form, verdrängt. Die neue Sprachlage, der Regionaldialekt, ermöglicht Kommunikation innerhalb des Dialekts über größere Flächen. Wir können davon ausgehen, dass im Laufe der kommenden Jahrzehnte die vielfältigen „individuellen“ Ortsdia­lekte immer mehr im vereinheitlichten „uniformen“ Regionaldialekt aufge­hen werden.

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