Weisenau und seine (ehemaligen) Klöster
von Udo Mosbach
Schaut man sich den Gemarkungsplan von Weisenau genau an, fallen sofort zwei der drei Klosterbereiche, die Weisenau tangierten, direkt auf - Stift Sanct Victor und Stift Heilig Kreuz, früher auch Sanct Maria in campis oder auch "Maria im Feld" genannt:
Im oberen Bereich der Abbildung grenzt die Gemarkung Weisenau an die Gemarkung Hechtsheim. Dort ist eine ungewöhnliche Ausgrenzung aus der Gemarkung zu erkennen: die Immunität von Heilig Kreuz. Sie lag entlang der im Plan so genannten "Gaustraße nach Mainz", der heutigen Hechtsheimer Straße und begann dort an der Einmündung des heutigen Heiligkreuzweges und zog sich unter der Autobahn hindurch bis an den Feldweg (Bodenheimer Weg), der heute die Gemarkungen Hechtsheim und Weisenau trennt. Eigentlich wurde Heilig Kreuz mehr zu Hechtsheim gezählt, als zu Weisenau.
Im rechten unteren Bereich ist eine weitere ungewöhnliche Ausgrenzung zu sehen: die Immunität von St. Victor - oder das "Mundat von St. Victor". Der Bereich darunter bis zum Rhein gehörte wahrscheinlich zur Burg Weisenau und später zum dritten Kloster, dem Reuerinnen Klösterchen. Damit haben wir die drei ehemaligen, heute längst nicht mehr existierenden Klöster zumindest lokalisiert. Jetzt kurz zu ihrer wechselvollen Geschichte.
1. Das Stift St. Victor
Da St. Victor 1552 schon zerstört wurde, die älteste, einigermaßen realistische Darstellung von Weisenau aber erst um 1620 entstanden ist, gibt es keine naturalistische Darstellung eines der ehemals reichsten Stifte im Umfeld von Mainz. Der ruinierte Turm könnte in der rechten Abbildung (um 1620) noch erkennbar sein.
"Oberhalb von Weisenau, auf der Anhöhe hinter der (heutigen) katholischen Kirche, lag mit Kirche und Kloster und weitläufigen Gebäuden, von Ringmauern und Türmen umgeben, wie eine kleine Stadt, das Stift St. Viktor". So beginnt K. Brilmayer seine Beschreibung des Stiftes, allerdings schreibt er "Viktor" statt "Victor" - aber der Namensgeber war Franzose und schrieb sich mit "c". Die Victorskapelle (764 erstmals erwähnt) lag in einem römischen Gräberfeld, d.h. auf den Fundamenten eines römischen Heiligtums oder einer frühchristlichen römischen Kirche. Die genaue Lage des Stiftes ist heute völlig unbekannt, da lediglich das Mundat (die Immunität) im Gemarkungsplan erkennbar ist. Vor kurzer Zeit (2001) wurden unterirdische Verbindungsgänge zwischen dem Klostergelände und der katholischen Kirche bei einem Neubau an der Burgstraße entdeckt, die aber leider keine Auskunft über die Lage der Klostergebäude geben konnten.
Schon um die Mitte des 8. Jahrhunderts bestand hier zumindest eine Gebetsstätte mit Wohnungen für die Kleriker, denn nach dem Tode des Bonifatius (755) beschrieb Willibald hier - noch auf römischen Wachstafeln, später auch auf Pergament - das Leben dieses Erzbischofs von Mainz. Auch die Mainzer Bischöfe Lullus (754/5 - 786/7) und Rhabanus Maurus (847 - 855) weilten gerne hier. Schon im Jahre 777 stand hier eine Kirche, die in der Schenkungsurkunde des Utto erwähnt ist, der dem Kloster Fulda u.a. einen Wingert vor Mainz, nicht weit von der Kirche St. Victor schenkte.
St. Victor, am Nordrand von Weisenau, zwischen der Gemarkung von Weisenau und der der Stadt Mainz gelegen, wurde durch Willigis gegründet, nachdem er die Kirche und den Konvent St. Victor zu einem Stift für 20 Stiftsherren erweitert hatte. Am 5. Juni - andere Quellen sprechen vom 6. August - 994 fand die Einweihung des Neubaues in Gegenwart des Kaisers Otto III statt.
Das Archidiakonat des Propstes von St. Victor in Weisenau umfasste Ried, Gerauer Land, Nierstein u Kirchheim-Bolanden. Aber St Victor vor den südlichen Toren der Stadt besaß durch eine Schenkung Ottos III vom Jahre 997 auch Güter sogar in Thüringen - ein weit verstreuter und schwer zu verwaltender Besitz. Als ersten Stiftspropst setzte Willigis seinen Schüler Burkhard ein, der dann 1000 Bischof von Worms wurde. Unter den 20 Stiftsherren gab es 1064 scolasticus Humbert, also einen Schulmeister (rector puerorum).
In den ersten Jahren nach der ersten großen Schenkung erhielt das Stift zahlreiche weitere Güter geschenkt, so dass 1143 Erzbischof Heinrich I. von Mainz in einer langen Liste dem Stifte seine Besitzungen und Freiheiten bestätigen konnte, sowie die Güter im Main-, Rhein- und Nahegau, den Zehnten in Kiedrich und Johannisberg, und Wingerte und Äcker zu Dulcenisheim, einer ausgegangenen Siedlung zwischen Hechtsheim, Laubenheim und Weisenau. Aber dem Stift blieben nur wenig mehr als zwei Jahrhunderte als Blütezeit. 1214 wurde St. Victor als durch feuer verwüstet und sonst mittellos bezeichnet. Zum Wiederaufbau durfte das Stift alle Einkünfte erledigter Pfründe seiner Kanoniker auf zwei Jahre verwenden. Am 24.12.1249 wurde der Propst des St. Victorstiftes als Christian II. von Weisenau Erzbischof von Mainz, und das Stift vermehrte seinen Besitzstand durch viele Zuwendungen und Schenkungen. Die Einnahmen wuchsen ebenfalls, u.a. durch die Einverleibung der Pfarrkirche zu Weisenau und der Kapelle zu Laubenheim (1322).
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die Burg zu Weisenau zerstört und auch das benachbarte Stift kam nicht ungeschoren davon. 1259/60 wurde das Stift St. Victor für kurze Zeit in das ummauerte Stadtgebiet verlegt, da das südlich der Stadt gelegene Stift Feinden zu oft als Ausgangspunkt von Angriffen gedient hatte. Während dieses Exils wurden die Befestigungen des Stiftes verstärkt und man zog wieder vor die Stadt. Aber bald danach, während der Bistumsfehde, wurde - wie wir aus der Chronik von St. Alban erfahren -, am 10. August 1329 neben der Burg Weisenau, die Balduin von Trier wieder aufzubauen versucht hatte und auch den Kanonikern half, das Stift wieder in verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, auch dieses Stift St. Victor von Mainzer Bürgern "geschleift" (...monasterium s. Albani et ecclesiam s. Victoris cannonicorum saecularum una cum castro Weissenaw pro maxima parte destruerunt). Die Mauern waren niedergelegt, drei der vier Türme zerstört, Kirche, Kreuzgang und viele Gebäude samt Inventar verbrannt.
Der Propst verlangte natürlich Schadensersatz und er erzielte auch ein Urteil des Kaisers Ludwig IV. Der Kirchenbann gegen die Stadt Mainz wurde u.a. wegen teilweise Niederreißung der Türme und Mauern von St. Viktor (1330) verhängt; es gab mehrere Urkunden zum angerichteten Schaden und deren Beseitigung, die Stadt Mainz erhob sogar eine Sondersteuer für den Wiederaufbau u.a von St. Victor - aber nichts geschah. Die Strafgelder wurden 1348 gestrichen! Und so wartet Weisenau noch immer auf eine Entschädigung durch die Stadt Mainz... Nachdem 1355 auch der letzte noch erhaltene Turm der Klosterbefestigung bei einem Sturm einstürzte, begann man den langen, mühevollen und teuren Wiederaufbau, aber die alten schützenden Mauern fehlten und von einer Rückkehr zur früheren Bedeutung des Stiftes konnte nie mehr die Rede sein.
1439 wurde ein Jacob Gensfleisch als Stiftsscholaster in den Büchern eingetragen und genau 100 Jahre später errichtete der Mainzer Drucker Franz Behem (1500-1582) eine Druckerwerkstatt auf dem Gelände des Klosters. 1460 wurde St. Victor als zum dheil verbrannt beschrieben.
Das Schicksalsjahr aber kam 1552: am 17. Juli wurde die Stadt Mainz durch Truppen des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach erst belagert, dann geplündert und beraubt - wie anders kann man Söldner bezahlen? Markgraf Albrecht ließ auch geistliche Häuser in Mainz bis auf den Grund niederreißen; dazu wurden die Bauern aus der Umgebung von Mainz aufgeboten, also auch die Weisenauer. Am 22.8.1552 wurde das Victorstift und die Kartause, am 23.8. das Albansstift und Heilig Kreuz systematisch zerstört, geplündert und vergebrannt (dabei wurde auch die Druckerwerkstatt des Franz Behem in unmittelbarer Nähe des St. Victor-Stiftes zerstört) - St. Alban und das Victorstift blieben auf Dauer zerstört, von St. Victor blieb nur die Michaelskapelle. Die Stiftsherren suchten nach einer neuen Bleibe, diesmal allerdings innerhalb der Stadtmauern und verlegten das Stift St. Victor nach St. Johann (24. Okt. 1552). Die Trümmer in Weisenau dienten später als Baumaterial für die Festung Gustavsburg. Dabei ging man so gründlich vor, dass bis heute keinerlei Fundamente der Klostergebäude gefunden wurden.
Im Ortsplan von Hechtsheim von 1709 sind der Hof des St. Victorstiftes (Eckgasse 8) und des Heilig-Kreuz Stiftes (Eckgasse 5) noch eingetragen. Im Lagerbuch von 1709 gehören einige Gebäude "den Victors Herrn" und "Victors Hofguth". Das Stift wurde von Mainz aus geführt und verwaltete seinen weit verstreuten Besitz. Das Victorstift wollte 1755 sogar sein Stift in Weisenau wieder aufbauen, erhielt aber vom Erzbischof nicht die Erlaubnis dazu, denn eine befestigte Anlage direkt vor den Toren der Stadt, eine eigene Gerichtsbarkeit und der Besitz von Teilen Weisenaus (Anm.1) und Hechtsheims, das waren Dinge, die dem Kirchenfürsten überhaupt nicht passten. 1784 war es dann soweit: die Immunität von St. Victor, d.h. das gesamte, jetzt unbebaute Gelände ging an das Erzstift Mainz.
In Weisenau gab es eine "Kurfürstliche jüdische Gemeinde" unter dem kurfürstlichen Viztumamt und eine "Immunitätische jüdische Gemeinde", die dem Propst des St. Victorstiftes unterstand. 1785 lebten dort etwa 250 Juden (während 1801 nur noch 150 Personen angegeben werden).
Mit dem Reichsdeputationshauptschluß wurde 1803 auch das Stift St. Victor aufgelöst und in der "Bekanntmachung einer Versteigerung von Nationalgütern 1804" wurden auch zwei Gebäude in Mainz aus dem Besitz des Victorstiftes zur Versteigerung ausgeschrieben. Den außerhalb gelegenen Besitz teilten sich Nassauer und Hessen. Die Erinnerung an das Stift wird heute noch durch die Weisenauer Straße "Am Viktorstift" (leider falsch geschrieben) aufrecht erhalten.
2. Das Stift Heilig-Kreuz
Das Stift Heilig-Kreuz, früher auch St. Maria im Felde bzw. St. Maria in campis, ein ehemaliges Kollegiatstift, lag zwischen Mainz, Hechtsheim und Weisenau mitten im Felde. Schon 765 - also fast gleichzeitig mit St. Victor - und 808 wurde urkundlich eine Marienkapelle erwähnt, die zur Unterscheidung von anderen solcher Kapellen in und außer der Stadt Mainz "Maria im Felde" hieß. Wie später in den 1960er Jahren die Archäologen herausfanden, lag die Kirche in einer spätrömischen villa rustica, also einem Landgut, das die Mainzer römischen Legionen mit Getreide, Gemüse und Fleisch versorgte. Schon 1897 wurden beim Bau der Ziegelei auf dem Gelände der Heiligkreuzkirche fünf römischen Brandgräber und sieben Skelettgräber mit reichen Beigaben gefunden (mittlere Kaiserzeit).
Über die frühe Zeit des Stiftes ist wenig bekannt. Erzbischof Erkambold erhob um 1011 die Kirche zu einer Stiftskirche und setzte zur Besorgung eines feierlichen Gottesdienstes und zur Verrichtung des Chorgebetes Geistliche dorthin, für deren Unterhalt er durch Güterschenkungen sorgte. Erzbischof Peter (1306-1320) ließ dann eine größere Kirche bauen. In der Zeit dieses Neubaues findet man in den Urkunden dann die Namen "Kreuzstift" und "Heiligkreuz" neben der alten Bezeichnung "Maria im Felde".
Über die Herkunft des Namens "Heiligkreuz" gibt es zwei völlig unterschiedliche Sagen: entweder war es ein liederlicher Mensch namens Schellkropp, der im Wirtshaus zur Blume in der Vorstadt Vilzbach zu Mainz sein Geld bei Spiel und Trunk verloren hatte und auf dem Heimweg nach Hechtsheim auf ein Kruzifix in einer kleinen Feldkapelle (Anm.2) trunken mit dem Schwert einhieb, wobei aus den Wunden plötzlich Blut austrat - das wundertätige Kreuz wurde danach in das Stift Maria im Felde gebracht und machte den Ort zur einem Wallfahrtsort - oder es war jene wundervolle Bootsfahrt, die in alten Zeiten auf der Stadtmauer zwischen dem Holz- und dem Bockstor in einem Gemälde festgehalten wurde: ein Kreuz zwischen den Segeln eines Schiffes ohne Besatzung landet am Ufer, es erscheint ein Ochsenkarren ohne Führer, der das Kreuz zur Stelle bringt, wo dann St. Maria im Felde gebaut wurde.
Jedenfalls wurde vom Wunderkreuz eine Kopie angefertigt, die im Stift verblieb, während das Original zumal in Kriegszeiten in die Stadt verbracht wurde. Heute befindet es sich im Priesterseminar in der Augustinerstraße. Geblieben sind damals die Wallfahrten zur Heiligkreuzkirche und in Notzeiten gab es richtige Prozessionen, jeweils am St. Markustag (26.4.).
So wird berichtet, dass Wallfahrten der Kasteler zur Heilig-Kreuz-Kirche als Gelübde nach einer Pest 1678 durchgeführt wurden, wobei immer eine Fünf-Pfund-Kerze mitgetragen wurde (nach der Zerstörung der Kirche des Heiligen Kreuz in Weisenau(!) blieb die Prozession in Kastel).
Ein Stift vor den Toren der befestigten Stadt Mainz war ständig in Gefahr. Entweder zogen marodierende Söldnertruppen auf der Suche nach leichter Beute durchs Land oder machtbesessene Adlige suchten nach einer Möglichkeit, ihr Herrschaftsgebiet zu erweitern. Wer immer sich mit der Stadt Mainz und dessen Kurfürsten und Erzbischof anlegen wollte, bezog erst einmal Stellung in den Vororten Weisenau (Stift St. Victor) oder Hechtsheim (Stift Heiligkreuz). So auch während der Stiftsfehde zwischen Adolf II. von Nassau und Diether von Isenburg: 1460 brannten die Wohnungen der Stiftsherren ab und der Rest des Stiftes konnte nur durch eine hohe Geldsumme vor der Zerstörung bewahrt werden. 1518 wieder aufgebaut wurde das Stift 1552 durch Markgraf Albrecht von Brandenburg erneut zerstört und verbrannt. Die Stiftsherren flüchteten mit ihrem Wunderkreuz nach St. Ignaz, bis 1573 ihre Kirche wieder einigermaßen hergestellt war. Zwischen 1630 und 1780 wurde mehrfach erneuert, verschönert, ausgebessert - aber der alte Glanz war vergangen. Angeblich soll sich um Heilig-Kreuz ein Weiler gebildet haben, der 1793 niedergebrannt, nach 1800 verschwunden ist. Davon ist auf alten Stichen nichts zu sehen und auch die Archäologen haben nichts finden können. Vielleicht waren es nur die armseligen Hütten der Arbeiter, die die Felder und Weinberge des Stiftes bearbeiten mussten.
Am 9.7.1793 gingen die Gebäude der Wallfahrtsstätte des Stifts Heilig Kreuz in Flammen auf und wurden in der Nacht zum 10. von den Franzosen zerstört - Heilig Kreuz bildete nur noch einen Schutthaufen. Die Auswirkungen der französischen Revolution waren am Rhein angekommen. Ein Augenzeuge berichtet: Außer Heiligkreuz hat Weisenau am meisten gelitten. Kirche, Kloster, Häuser waren meist ruiniert.
1801 wurden die Reste vom französischen Militär gesprengt und gänzlich zerstört, der Rest wurde Steinbruch für neue Befestigungsanlagen.
Wie auch die anderen Klöster, Stifte und aller adliger Besitz kamen 1804-06 die Immobilien des Stiftes zur Versteigerung (Anm.3). Wenige Überbleibsel von Heiligkreuz sind heute noch erhalten: das Wunderkreuz im Priesterseminar und vier Kreuzweg-Bilder, die 1793 gerettet wurden und heute durch eine Schenkung im Besitz des Geschichts- und Brauchtumsvereins Weisenau sind. Vom Rest des ehemals großen Besitzes sind die Spuren verwischt - einiges dürfte noch in Privatbesitz sein, vielleicht ohne, dass der Besitzer weiß, woher die Dinge einst stammten.
Eine letzte Regung zeigte das Stift in den 1970er Jahren: auf einem Teil des Geländes zwischen Autobahn und Heiligkreuzweg errichtete die IBM einen Parkplatz, auf dem hohe Bogenlampen für klare Sicht sorgten. Eines Tages verschwanden fünf Meter einer solchen Bogenlampe im Boden - einer der von den Franzosen gesprengten unterirdischen Gänge hatte die Beleuchtung weitgehend verschluckt. Ohne großes Aufheben wurde der Schaden repariert und Heiligkreuz lebt - wie auch St. Victor - heute nur noch in Straßennamen weiter.
Die Abbildung nach N. Person (1689) zeigt Mainz eingeschlossen von Truppenverbänden. In diesem Kreis liegt links oben einsam und exponiert das Stift Heilig Kreuz. St. Victor ist bereits verschwunden. Bei Weisenau führt eine Schiffsbrücke über den Rhein.
3. Reuerinnen Klösterchen (auch: Weisenauer Klösterchen / W'er Kloster)
Das zwischen 1825 und 1837 entstandene Bild gewährt einen Blick von der Terrasse des Deutschhauses in Mainz (heute Landtagsgebäude) auf den Rhein und auf Weisenau. Über einer direkt am Rhein gelegenen Häuserzeile dominiert die um 1825 wieder aufgebaute katholische Kirche und direkt darunter ist die Kirche des Reuerinnenklosters zu erkennen, neben der in Richtung Weisenau bis zur heutigen Wormser Str. 15 ein bis zum Rhein reichender Hügel zu sehen ist. Dieser Hügel hat wahrscheinlich 1793 das Kloster vor der Zerstörung durch die von Süden heranrückenden Belagerern geschützt - ganz im Gegensatz zu Weisenau, das schon am 16. April 1793 zum größten Teil niederbrannte. Den Gebäuden des Klösterchen war noch eine Gnadenfrist bis 1837 beschieden. Erst dann wurde es abgebrochen, um dem Neubau einer zum Fort Weisenau gehörenden Kaserne (Klosterkaserne) Platz zu machen.
Bei Otto von Corvin (Ein Leben voller Abenteuer) lesen wir: "Anfang 1831 wurde meine Kompanie in das Weisenauer Lager verlegt und ich mußte eine Dienstwohnung im Weisenauer Kloster beziehen, welches an der dicht am Rhein hinführenden Landstraße liegt und nahe bei der Neuen Anlage ist." Damit kennen wir schon einen der 3 - 4 verschiedenen Namen des Klosters und seinen Standort: "nahe der neuen Anlage und dicht an der am Rhein hinführenden Landstraße" (von Mainz über Weisenau nach Nierstein, Oppenheim und Worms). Damals war es allerdings noch keine Landstraße, sondern nur ein Uferweg, der den Chorraum der Kirche vom Rhein trennte.
Der Begriff "Reuerinnen" entstand durch den Volksmund, denn eigentlich nannten sich die Mitglieder der päpstlich anerkannten Ordensorganisation "Büßerinnen der Heiligen Maria Magdalena" (sorores poenitenzes beata Mariae Magdalenae). Die Anfänge reichen zurück bis zu Papst Innozenz III (1198) bzw. zur Mainzer Synode von 1225. In den folgenden Jahren schlossen sich die "bekehrten Dirnen" zu klösterlichen Gemeinschaften zusammen. Das erste wurde 1227 in Worms errichtet (Conventus Penitentium ordinis S. Augustini extra muros Wormatiensis)- im Volksmund "Andreaskloster" oder "Bergkloster" genannt. Aber auch in Mainz hören wir sehr früh von einer Reuerinnenniederlassung in der Stadt am Dietmarkt (heute Schillerplatz) und zwar um 1247. Zu den besonderen Gönnern gehörten die Stiftsherren Kantor Ehrenfried und sein Bruder Heinrich, beide von St. Victor, die ihre Güter zu Zahlbach dem Orden vermachten. Nach 1291 kehrten die Reuerinnen der alten Ordensgemeinschaft den Rücken und unterstellten sich der Visitation der Zisterzienserabtei Eberbach.
Zwei Jahrhunderte nach dem Übertritt der ersten Mainzer Reuerinnen zum Orden der Zisterzienser entstand vor den Toren der Stadt noch einmal eine Gemeinschaft von Büßerinnen. Aber auch diese zweite Gründung hatte keine längere Lebensdauer als die erste, denn knapp ein halbes Jahrhundert nach der Gründung durch Johann Heyl existierte sie schon nicht mehr.
Der Gründer dieser Niederlassung war ein angesehener Mainzer Bürger, der Fischer, Holzflößer und Zimmermann Johann Heyl. Er stellte vor 1493 ein Haus zur Verfügung, das vor den Toren der Stadt auf halbem Weg zwischen Mainz und Weisenau am Fuße des sogenannten Michaels- oder Allerheiligenberges lag, als ein Wohngebäude für die Reuerinnen.
Der Bestätigungsurkunde Erzbischof Bertholds von Henneberg vom 23. August 1493 verdanken wir die ersten sicheren Nachrichten über das "Weisenauer Klösterchen", wie es der Volksmund nannte, wahrscheinlich, weil es wesentlich kleiner war, als die nahegelegenen, reichen St. Victor und Kartause: "die Weisenauer Niederlassung war alleine für gefallene Frauen errichtet, die nach einem ausschweifenden Lebenswandel hier ernstlich Busse tun wollten". Nach einer viel später aufgezeichneten Nachricht (Anm.4) soll die erste und einzige Vorsteherin (nicht Oberin, nicht Priorin, nicht Äbtissin!) des Klosters, die ehrwürdige Mutter Gertrud von Essen, mit drei Schwestern aus dem Kloster der Büßerinnen zu Köln schon "anfänglich" nach Weisenau berufen worden sein.
Heyl nahm sich u.a. der Ausgestaltung des Gottesdienstes in dem von ihm gestifteten Kloster an: "Eine gesungene und 6 gelesene Messen, die sie halten sollten am Mittwoch nach Mariä Himmelfahrt in dem Closter zu den Bussern unden am Wyssenawe im Mentzer Burgkbanne, für Heyln Johannes".
Als Unterpfand setzte Heyl seinen Hof, Haus und Erbe, genannt Hoenbergk (Anm.5) zu Mainz ein. Eine kleine Kapelle bestand schon 12 Jahre vor der Bestätigungsurkunde. Warum Johann Heyl sich gerade um diese soziale Randgruppe kümmerte, ist nicht bekannt. Er wird jedenfalls als tief gläubiger Mann geschildert. In seinem Testament vermachte er den größten Teil seines Geldes diesem Kloster, das eher eine Stiftung war. Es gab nie eine Äbtissin, sondern nur eine Vorsteherin, die den Mädchen im Rahmen der nur relativ strengen Regeln auf die Finger sah. 1499 konnte die Vorsteherin bereits den Bau einer kleinen Kirche in Auftrag geben - der Stifter hatte das Haus mit ausreichenden Mitteln versorgt.
Die Stiftung gedieh unter der Regie der Vorsteherin. Um das Haus herum gab es einiges Land, im besonderen etliche Weinberge und einen Morgen Wiesen. Von diesen Weinbergen rührt die im Volksmund übliche Bezeichnung "Haus des Wingertsmanns" für das Haus Wormser Str. 15, das oft auch fälschlich als "Äbtissinnenhaus" bezeichnet wird. Wie wir oben schon gehört haben, gab es in dem Orden nie Äbtissinnen. Ein Wingertsmann, also einen Weinbauern, der die Weinberge bearbeitete und sich um die Herstellung des Weines kümmerte, konnte als Dienstmann des Ordens nie das Vermögen verdienen, das nötig war, sich ein solches Haus zu errichten. Der Volksmund irrt hier gewaltig! Das Kloster lag etwa auf der Fläche, die heute von der Tankstelle in der Wormser Straße belegt ist. Zwischen dem Kloster und dem Haus Wormser Str. 15 lagen die Weinberge - daher der Fehlschluss.
Einer kurzen Blütezeit des "Klosters" - es war ein Haus für gefallene Mädchen - folgte indessen bald der rasche Verfall der Zucht und Ordnung und des geistlichen Lebens. Am 21.8. 1543 heißt es: "Im W'er Klösterchen der Büßerinnen sind schlechte, unklösterliche Sitten eingerissen" (Anm.6) - um die Nonnen wieder in Zucht zu bekommen, werden 14 Klosterfrauen vom Petersberg nach Weisenau versetzt (Anm.7). Das führte dazu, dass von den 24 noch dort weilenden Weisenauerinnen 12 sofort, die übrigen in den nächsten 2 Wochen den Ort verließen. 1544, ein Jahr nach der Vertreibung der Reuerinnen aus ihrer Niederlassung, zerstört ein Brand das Kloster fast völlig. Außer einigen unbedeutenden Nebengebäuden blieb nur die 1499 erbaute Kirche erhalten. Auch die Verwüstungen des 30-jährigen Krieges hatte sie trotz schwerer Schäden, insbesondere am Dachstuhl und im Chor, überstanden. Sie wurde zunächst notdürftig repariert, aber schon 1545 endet die Geschichte des Weisenauer Klösterchens. 1593 wurde das Tertiarierinnenkloster von Klein-Winternheim mit dem Reuerinnenkloster in Weisenau vereinigt und nach dort verlegt.
1728 wurde die Kirche gründlich restauriert, erhielt u.a. neue Gewölbe und Seitenaltäre. 1763 wurde der Chor erneuert und ein neuer Turm mit neuer Glocke aufgesetzt. In dieser Form zeigen uns die Abbildungen des 18. und 19. Jahrhunderts das ehemalige ReuerinnenKloster. Was uns diese Darstellungen sonst an Klostergebäuden zeigen, stammt erst aus späterer Zeit. Besonders das ausgehende 18. Jahrhundert war eine Epoche reger Bautätigkeit. Damals entstanden offenbar auch die beiden seltsamen katakombenähnlichen Räume, die in den Allerheiligenberg hineingebaut worden waren. 1936/37 wurden sie bei Ausgrabungen entdeckt - noch heute herrscht völliges Dunkel über ihren einstigen Zweck.
1793, am 9. September war der Kurfürst wieder in seiner Residenz und es begann bald eine rege Bautätigkeit: auf der Zitadelle wurde eine neue Kaserne gebaut und u.a. beim Weisenauer Kloster mit der Errichtung vorgeschobener Werke begonnen. 1800 kamen die Nonnen von St. Agnes in das Weisenauer Nonnenkloster. Nach der Säkularisierung diente die Kirche noch einige Jahre als Pfarrkirche von Weisenau, die Klostergebäude als Pfarrwohnung - war doch Weisenau fast völlig zerstört (wir wissen nur von der Synagoge und vom ehemaligen Reuerinnenkloster, dass diese Gebäude nicht wie alle anderen verbrannt, zerstört oder abgerissen worden waren - ein Angreifer sollte sich nicht dahinter verschanzen können). 1831 wird die südöstlich gelegene Weisenauerkloster-Schanze vollendet. 1837 werden die Kirche und die meisten Klostergebäude abgerissen und an ihrer Stelle entstand eine dreistöckige Kaserne, die als letzte Erinnerung an das einstige Klösterchen im Volksmund "Klosterkaserne" hieß. Auch sie ist nun schon seit Jahrzehnten wieder verschwunden (1931 abgerissen).
4. Anmerkungen
(1) Weisenau unterstand mindestens 3 Herrschaften: der "mayntzische Teil" gehörte dem Erzstift, der "immunitätische Teil" unterstand dem St. Victorstift und der dritte Teil gehörte den Herren von Bolanden bzw. deren Nachfolger (von Falkenstein, von Hohenfels, später durch Erbgang den Isenburgern).
(2) Die kleine Feldkapelle stand etwa in Höhe der heutigen Tankstelle unterhalb der IBM-Anlage an der Hechtsheimer Straße, die direkt am Stift vorbeiführte.
(3) 1806 versteigerte die französische Domäne den Platz für 800 Franken, die restlichen Steine wurden zum Bau von Straßen verhökert. Heute ist das Gelände weitgehend überbaut.
(4) "Chronicken deß Closters der Schwestern 3. Ordens st. Francisci außerhalb der churfürstl. Residenz Statt Maintz bey Weißenaw. Anno 1659." Handschrift in Kleinfolio - heute wahrscheinlich verloren
(5) Der Hof lag gegenüber dem Kappelhof, nicht nur im Mittelalter der "Rotlichtbezirk" von Mainz.
(6) Der spätere Chronist des Weisenauer Klosters, Franziskanerpater Adam Bürvenich, bringt diesen Verfall mit dem angeblichen Tod der Vorsteherein Getrud von Essen in Verbindung - es war in Wirklichkeit deren Absetzung.
(7) Bürvenich - siehe vorgerige Fußnote - weiß zu berichten, daß bisweilen 30 - 40 Insassen gezählt hat.
Nachweise
Verfasser: Udo Mosbach
Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff
Literatur:
- Dumont, Franz; u.a. (Hrsg.): Mainz - Die Geschichte einer Stadt. Mainz 1999.
- Gillessen, Günther(Hrsg.): Wenn Steine reden könnten. Mainzer Gebäude und ihre Geschichten. Mainz 1991.
- Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 2.3: Stadt Mainz. Bearb. v. Dieter Krienke. Worms 1997.
Aktualisiert am: 05.12.2014