Görgeshausen im Westerwald

Die Freiheit der Görgeshausener

Dorbrunnen Görgeshausen[Bild: Stefan Grathoff]

Vor dem 16. Jahrhundert sind keinerlei Nachrichten über die Zahl der Dorfbewohner und ihr Leben überliefert. Die Görgeshausener haben wohl überwiegend Ackerbau und Viehzucht betrieben, über mögliche Tätigkeiten als Handwerker oder Händler lassen sich keinerlei Angaben machen. Näheres erfährt man erst aus einer Dorfbeschreibung für das Jahr 1564: Von 75 Einwohnern waren 14 Personen sog. Eigenleute, die einer auswärtigen Herrschaft gehörten, zwei kurtrierische, zwei landgräflich-hessische, drei nassauische und fünf diezische Eigenleute sowie ein ysenburgischer Eigenmann. Der Rest waren persönlich freie Bauern[Anm. 1] Doch auch sie konnten sich natürlich keiner schrankenlosen Freiheit erfreuen.[Anm. 2] Alle Görgeshausener standen in hohem Maße in der Abhängigkeit vom jeweiligen Ortsherrn. So musste jeder, der den Ort verlassen wollte, die Herrschaft um Erlaubnis fragen. Im Jahr 1585 gab das kurfürstlich-trierische Untergericht Nentershausen (Nendtershaüsssen) dem Görgeshausener Einwohner Michell Thilhenn Hennges, seiner Ehefrau Else und ihrem Sohn Michel die Erlaubnis, sich außerhalb des Kirchspiels niederzulassen. Um am neuen Wohnort akzeptiert werden zu können, wurde vom Gericht die eheliche Geburt bestätigt und der Geburtsschein mit dem Gerichtssiegel versehen. Das Gericht bestätigt Michell Thilhenn vor Gott und im Namen des Trierer Erzbischofs Johann als oberstem Herrn und Gerichtsherrn einen guten Leumund und die nach christlicher Ordnung in Nieder-Erbach erfolgte Trauung. Man bescheinigte der Familie, sich dann häuslich in Görgeshausen niedergelassen, dort »sittsam gelebt« und ihren ehelichen Sohn Michel gut aufgezogen zu haben. Michel wurde ausdrücklich als ehrlich, fromm und wohl erzogen bezeichnet.[Anm. 3]

200 Jahre später hatte sich der Grad der Freiheit gewandelt. Niemand - so heißt es in der Dorfbeschreibung von 1786 - genieße die Freiheit, außer der amtierende Heimburge und der Revierjäger, der zu dieser Zeit in Görgeshausen wohnt. Die Beisassen, die eine eigene Haushaltung führten, sollten den Schirmgulden, die übliche Bede und das sog. Bußenhuhn zahlen. An die Gemeinde musste jeder Einwohner 9 Albus für die Nutzung des Waldes, der Weide, der Backöfen und des Brunnens bezahlen. Die Einwohner mussten sich an den Kosten der Pfarr- und der Schulgebäude beteiligen sowie dem Oberamtmann und Schultheißen eine Hühnerabgabe leisten. Dem Landesherren und der Gemeinde waren die Görgeshausener zu Handfronden verpflichtet. Verheiratete Leute ohne eigene Haushaltung zahlten den Schirmgulden und gaben die Hälfte zu den Kellereigeldern, wenn diese von einer Seite ererbt sind. An die Gemeinde zahlen die Görgeshausener nichts und sind in allen übrigen Punkten ganz frei, weil sie bloß als Knechte und Mägde betrachtet werden. Die alten Leute über 60 Jahre zahlen, wenn sie die Haushaltung übergeben haben und von den Kindern ausgehalten werden, keinen Schirmgulden und sind von allen anderen Punkten befreit.[Anm. 4] Aus der Vielzahl der Bestimmungen für ärmere Menschen (Beisassen, Handfronde) lässt sich ersehen, das Armut in Görgeshausen zu dieser Zeit keine Ausnahme war.

Die folgende Übersicht zeigt die Bevölkerungsentwicklung seit dem 16. Jahrhundert.

JahrEinwohner
156412 Feuerstellen (ca. 75 Einwohner)
168414 Feuerstellen
1786211
1787323
180542 Familien mit 224 Einwohnern
181755 Haushaltungen
1818221
1832280
1837322
1843306 Einwohner (55 Häuser mit 73 Familien)
1863355
1868389 Einwohner in 96 Familien
1870365
1885404
1885381
1887366
1893379
1895353 Einwohner (172 Männer, 181 Frauen in 63 bewohnten Häusern)
1895381
1900Weniger als 404 Einwohner
1902341
1905330
1907345
1913346
1921385
1927360
1933387
1936384
1950410
1956450
1968115 Häuser mit 600 Einwohnern
1970588
1997695 Einwohner
2000219 Häuser, 346 Familien, 769 Einwohner

Nachweise zur Einwohnerliste: Feuerbuch von 1564 (HessStAWi Abt.116, III,1, Bl.6v (12v). (Zum Vergleich: Nentershausen hatte in dieser Zeit 30, Niedererbach 13 Feuerstellen); Visitationsprotokolle von 1657/1664, 1767, 1787; 1684 Feuerbuch des Erzstiftes Trier (LHAKo Best. 1 C Nr.12930. (Zum Vergleich: Nentershausen verfügte über 23, Nieder-Erbach über 15 Feuerstellen); Beschreibung des Amtes Montabaur von 1787, Vogel, Beschreibung (1843), S.637ff. und 738; Gemeindelexikon 1895; Schematismen der Diözese Limburg der Jahre 1837, 1863, 1870, 1887, 1893, 1902, 1907, 1913, 1921, 1927, 1936, 1956 (zit. nach Daum S.31); Schulchronik; Einwohnerliste (Gensicke, Dorfchronik S.29 und 31; Zeitungsmitteilung vom 12.9.1970 über die neu zu bildenden Verbandsgemeinden; Homepage der Gemeinde (2000).

Bemerkungen zur Einwohnerliste: Zum Jahr 1786 heißt es an anderer Stelle: Die Bevölkerung zählt 35 Bürger und 5 Beisassen, die eine besondere Haushaltung führen, 3 verheiratete Leute, die bei ihren Eltern bzw. Schwiegereltern wohnen, und mit diesen zusammen eine Haushaltung haben sowie eine alte Witwe, die ihre Haushaltung übergeben hat und von ihrem Aushalt lebt. Es gibt 40 Häuser (HessStAWi Abt.116 Nr.II pag.857r-861 und Nr. III 2d, Görgeshausen p.73-76 vom 31.12.1786.). Zum Jahr 1798 wird berichtet: Das Dorf ist klein und sehr arm. Wegen der vielen Plünderungen während des Krieges, der Ort liegt direkt an der Landstraße, haben die meisten Bewohner den Ort verlassen. Die meisten halten sich in Ortschaften auf, die nicht direkt an der Landstraße liegen. Sie bestellen ihre Äcker von dort aus (HessStAWi Abt.20 Nr.39 vom 20.7.1798).

Personennamen

Bereits im Jahr 1652 wurden in Görgeshausen Familiennamen erwähnt, die zum Teil noch heute bekannt sind: Dazu gehören etwa: Zingel, Metz und Leitzbach. Der Pastor von Niedererbach nannte sieben Jahre nach Gründung seiner Pfarrei unter anderem die Namen Bausch, Bach, Eichmann, Kuch, Petri, Schaaf, Zingel, Leitzbach, Metz und Simon. Die Einwohnerlist vom 16. Oktober 1817 erwähnt zahlreiche neue Namen, wohl von Familien, die aus den Nachbarorten zugezogen waren. Doch es gab auch Familien, die Görgeshausen für immer verließen.

Auswanderung

Auswanderung 1882[Bild: Unbekannt, gemeinfrei]

Die schlechten Erwerbsmöglichkeiten im Lande und die wirtschaftlich niederschmetternde Situation zwangen viele Nassauer, vor allem in den 1840-er Jahren, das Land zu verlassen. Man wanderte in andere deutsche Staaten ab, in der Hoffnung, dort seinen Lebensunterhalt besser bestreiten zu können. Zahlreiche Nassauer verließen Mitteleuropa ganz und zogen als Siedler nach Osten, nach Polen, Litauen und Russland. Nicht wenige wandten sich nach Westen, schifften sich in norddeutschen oder niederländischen Häfen ein und segelten nach Süd- oder Nordamerika. Wer das Land verlassen wollte, musste sein Hab und Gut zu Hause verkaufen, alle Verbindlichkeiten beim Landesherren begleichen und eine Auswanderungsgebühr (Losgeld, Auszugsgeld, Zehnter Pfennig) an die Herrschaft entrichten. Wer sich nicht selbst zu helfen wusste, beauftragte einen Auswanderungsagenten, der alle Formalitäten im Hafen an der Nordsee und im Auswanderungsland erledigte.

Leider lassen sich Auswanderungsvorgänge in der Gemeinde Görgeshausens nur bruchstückhaft nachvollziehen, da alle Rechnungsbücher der Gemeinde, in denen Hausverkäufe und die Entrichtung des Auszugsgeldes normalerweise festgehalten wurden, als verloren gelten. Lediglich in der Schulchronik wird in einem Bericht des Jahres 1854 vermerkt, dass drei Kinder nach Amerika ausgewandert seien. Die Namen der betreffenden Familien lassen sich aus einer anderen Quelle namhaft machen. In dieser Liste finden sich noch einige andere Namen von Görgeshausener Bürgern, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Amerika ausgewandert sind:[Anm. 5]

NameDatum der Auswanderung
Geitz, Witwe des Joseph Geitz4.3.1854
Grimm, Georg F.4.3.1854
Metz, Joh. 14.3.1854
Nink, Joh. 2 F.14.4.1868
Nink, Joh. Christian 114.4.1868
Simon, Jak. F6.4.1854
Speier, Joh. 14.3.1854
Speier, Joh. Jak. 14.3.1854
Winter, Jak., Witwer, mit Kindern und Haushälterin Magdalena Klersie25.2.1854

(Kopie 1)

Verfasser: Stefan Grathoff

Veröffentlicht am: 01.06.2017

Verwendete Literatur:

Siehe das Verzeichnis: Quellen und Literatur

Anmerkungen:

  1. HessStAWi Abt.116, III,1, Bl. 6v (12v) von 1564. Zurück
  2. Vgl. Heck, Grafschaft S.74. Zurück
  3. HessStAWi Abt. 116 Urkunden Nr.195 vom 18.11.1585. Zurück
  4. HessStAWi Abt. 116 Nr. II pag. 857r-861 und Nr. III 2d, Görgeshausen p. 73-76; LaHKo Best. 1 C Nr.1292 Unvollständiges Konzept. Vom 31.12.1786. Zurück
  5. Struck, Auswanderung s.v. Görgeshausen. Zurück