Hunsrück

0.11. Formenlehre

0.1.11.4. Adjektiv

0.2.11.4.1. Flexion, rheinischer Akkusativ

Westlich einer Linie Nahequelle – Morbach – Bernkastel-Kues ist die Fle­xion der Adjektive teilweise bemerkenswert anders als im übrigen Gebiet.

Beim Nominativ/Akkusativ Plural des attributiv verwendeten Adjektivs gibt es keine Flexionsendung. Es heißt z. B. (hier verhochdeutscht, um nicht vom Wesentlichen abzulenken): Es gibt schlecht Zeiten und Die klein Kinder spielen (n bei klein fällt ab, wenn die Eifler Regel greift, vgl. Kap. 10.3.11.). Östlich der Linie hingegen weisen die Adjektive Flexions­endungen auf. Man sagt: Es gibt schlechte Zeiten und Die kleine Kinder spielen.

Wenn dem Adjektiv ein Zahlwort ab zwei vorausgeht, wird in den west­lichen Dialekten die Endung ‑er angehängt, z. B. Wir geben der Frau zwei neuer Hüte. Im Osten jedoch heißt es: Wir geben der Frau zwei neue Hüte.

Im Westteil wird das substantivierte neutrale Adjektiv im Nomina­tiv/Akkusativ Singular, auch wenn der bestimmte Artikel vorangeht, stark flektiert, z. B. Das Kleines ist nass (ʻDas Kleine ist nassʼ). Im Dialekt liegt bei Kleines keine Lautverschiebung vor, so dass die Wortformen ‑t am Ende aufweisen und dementsprechend als Kläänet, Gleenet usw. belegt sind. Im Ostteil wird hingegen gesagt: Das Klein ist nass.

Im gesamten Hunsrück – allerdings mit etlichen Ausnahmen – hat in der Kombination bestimmter/unbestimmter Artikel + Adjektiv + feminines Substantiv im Dativ Singular das Adjektiv die starke Flexionsendung ‑er. Es heißt z. B.: An der kleiner Zehe hat er eine Blase, Das musst du mit einer großer Nadel nähen.

Nordwestlich einer Linie etwa Wadern – Morbach – Kastellaun – Bop­pard vereinheitlichen die Dialekte das maskuline attributive schwache Ad­jektiv im Nominativ und Akkusativ nach dem Akkusativ. Diese Erschei­nung bezeichnet man als rheinischen Akkusativ. Es heißt in dem Gebiet also in den beiden Kasus z. B. den aale Mann ʻder alte Mann/den alten Mannʼ, wenn die Eifler Regel (vgl. Kap. 10.3.11.) greift, oder de aale Mann außer­halb ihres Geltungsbereichs. Südöstlich der Linie werden die beiden Kasus differenziert. Im Nominativ lautet die Wortgruppe der aal Mann und im Ak­kusativ den aale Mann (mit Eifler Regel) bzw. de aale Mann (ohne Eifler Regel). Im östlichen Teil des Hunsrücks gibt es ein Mischareal, in dem Dia­lekte mit und ohne rheinischen Akkusativ vertreten sind. Von der Eifler Regel ab­strahierend und typisiert lässt sich zusammenfassen: Im Geltungs­gebiet des rheinischen Akkusativs ist Nominativ = Akkusativ, das heißt in bei­en Fällen heißt es: den alten Mann. Außerhalb gilt: Nominativ ≠ Akkusa­tiv, also der alte Mann versus den alten Mann (vgl. Karte 48).


Wie bei den Substantiven (vgl. Kap. 11.3.) spielen die Tonakzente auch bei der Flexion der Adjektive hinein. In Horath (Verbandsgemeinde Thalfang) beispiels­weise haben die unflektierten Adjektive a1rm ʻarm’ und schee1n ʻschön’ Tonakzent 1. Die flektierten Formen hingegen weisen Tonakzent 2 auf: a2rmen, schee2nen. Tonakzentbedingt kann sich der Vokal ändern, vgl. ohne Flexionsendung (mit Tonakzent 1) prää1t ʻbreit’ sowie mit Flexionssuffix (mit Tonakzent 2) praa2den ʻbreiten’ (vgl. Reuter 1989, S. 240 u. 241).

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