Die Rhenser Richtstätten - Ein Aufsatz von Joachim Forg
Wenn man sich mit den Hexenprozessen von Rhens beschäftigt und sich die Anzahl der verhängten Todesstrafen der beiden Verfolgungswellen von 1628/30 und 1645/47 vor Augen führt, taucht zwangsläufig die Frage auf, wo auf heutigem Rhenser Gebiet die Plätze sind, an denen die schrecklichen Urteile seinerzeit vollstreckt wurden. In Frage kommen zwei verschiedene Stellen in Rhens, auf welche in der Folge näher eingegangen werden soll.
Eine „Richtstätte“ im Sinne von Stätte der Rechtsprechung, die nach historischen Quellen feststeht, ist der ehrwürdige Königstuhl selbst. Wir sprechen hier natürlich vom „alten“ Königstuhl inter nuces, am Rhein in den Nussbaumgärten, der zwischen 1390 und 1400 fertiggestellt wurde. Nicht nur Wahlverhandlungen wurden hier durchgeführt, sondern auch sonstige Reichsangelegenheiten wurden besprochen. Er symbolisierte einen Platz königlicher Macht und aus dieser heraus, auch einen Platz des Rechts und der Rechtssprechung.
Es fanden hier nachweisbar Gerichtsverhandlungen statt. So wurde beispielsweise im Jahre 1456 über den Ritter von Westerburg verhandelt, der reisende Kaufleute überfallen und ausgeraubt hatte. Er wurde dazu verurteilt, 12000 Gulden Buße an die Opfer zu zahlen.
Aber auch eine Hinrichtungsstätte in der Nähe des alten Königstuhles ist nach Quellenlage belegt. Die Stadt Rhens gab im Pestjahr 1597 den Auftrag, auf dem "Käßenacker" am Königstuhl einen Galgen zu bauen. Dies wird durch das Inventarbuch des Arckenhofes bestätigt, denn der Hof besaß nach dieser Quelle ein Grundstück am Königsstuhl.
Einige Historiker vermuten [Anm. 1], dass die meisten der Hexenprozesse auf dem Königstuhl stattgefunden hätten, einige Verhandlungen sogar auf der in der Nähe gelegenen Hinrichtungsstätte. Grundsätzlich ist es zwar vorstellbar, dass der eine oder andere Prozess tatsächlich am Königstuhl abgewickelt wurde, aber die Mehrzahl der Verfahren dort anzusiedeln, erscheint mir eher unwahrscheinlich. Dies schon alleine wegen den Verhältnissen, die unter freiem Himmel nun einmal gegeben sind. Noch schwerer fällt die Vorstellung von Prozessen, die direkt an dem Ort des Grauens stattgefunden haben sollen. Auch in der frühen Neuzeit werden sich die Menschen hierzu "angenehmere" Plätze ausgesucht haben.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob dieser Richtplatz überhaupt je existierte ! Der Grund, daran zu zweifeln, ergibt sich aus einer alten Ansicht von Rhens. In "Dilich's Landtafeln hessischer Ämter" aus dem Jahre 1608 ist zwar der Königstuhl, aber keine Richtstätte in seiner Nähe eingezeichnet. Gerade einmal 11 Jahre liegen zwischen dem Auftrag zum Bau des Galgens (1597) und dem Jahr 1608 und doch gibt es in Dilich's Karte keinen Hinweis auf eine Richtstätte. Dies ist umso mehr verwunderlich, als dass er andere Details –beispielsweise einen Schafstall im Wald - sehr wohl wiedergibt. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Hinrichtungsstätte in der Nähe des alten Königstuhls vielleicht zwar geplant, aber gar nicht gebaut wurde. Diese wäre Dilich bei seiner Arbeit sicherlich nicht entgangen.
Hinweise aus alter Zeit auf Richtplätze in Form von Straßen-, Gewann-, und Flurnamen helfen uns oft bei der Nachforschung weiter. Ebenso lange tradierte Informationen, nämlich die Überlieferungen der Einheimischen. All jenes Wissen, all die Geschichten, die man von den Eltern oder Großeltern gehört hat; dass was „jeder hier irgendwie schon immer weiß...!“ So spricht man auch in Rhens von einem „Hexenplatz“ und das dort die Todesurteile an den Hexen vollstreckt wurden. Und auch in Rhens führte die Überlieferung der Einwohner zum Erfolg, denn der von ihnen als „Hexenplatz“ bezeichnete Geländebereich ist deckungsgleich mit der Eintragung in Wilhelm Dilich's Karte, der dort den „Reenser Galgen“ einzeichnete. [Anm. 2]
Auf die heutige Lage übertragen, lag er auf dem Höhenzug zwischen Rhens und Brey. Eine gedachte Verlängerung der Straße „Auf der Geyerslay“ würde rechter Hand hangaufwärts in seine Nähe führen. Auch wer in Richtung Kronenhof und Schauren fährt, kommt in unmittelbarer Nähe daran vorbei:
Es ist ein Hanggelände rund um den kleinen Steinbruch über dessen Rand eine private Freizeithütte steht !
Knapp 800m sind es vom Kirchtor bis hierher und die Delinquenten, der Scharfrichter, seine Knechte, die Amtspersonen und nicht zuletzt das Publikum, hatten somit einen längeren Weg bergauf zurückzulegen.
Irgendwo hier in diesem Geländebereich stand also der Rhenser Galgen. Hier war der Richtplatz, an dem die Opfer der Hexenprozesse ihr schauriges Ende fanden. Die hier brennenden Scheiterhaufen mussten wegen der exponierten Hanglage von Lahnstein über Braubach bis fast nach Spay zu sehen gewesen sein. Welch ein warnendes Schauspiel musste es damals wohl gewesen sein: In Rhens brannte wieder eine Hexe!
Wer sich diesen Geländebereich ansehen oder ihn auf sich wirken lassen will, der sollte die Straße in Richtung Schauren nutzen, um ihn zu erreichen. Nachdem man die letzte Bebauung auf der rechten Seite passiert hat, beschreibt die nächste Kurve einen Bogen nach rechts. Dort zweigt ein Feldweg in gerader Richtung ab. Auf diesem geht man ca. 50m aufwärts. Die Straße und der Feldweg Rechts ist ein mit Gebüsch bestandener Hang, der auf den Weg hin abfällt. Dort im Hang, ein wenig versteckt zwischen Gebüsch, ist der Eingang zu einem kleinen Kessel, einem kleinen Steinbruch, über dessen westlichem Rand die Freizeithütte steht. Er ist hufeisenförmig, seine Wände ragen relativ steil auf und er hat einen Durchmesser von ca.25m.
Links vom sanft ansteigenden Feldweg dehnt sich, leicht nach Osten hin abfallend eine große, mit Obstbäumen bestandene Wiesenfläche auf einem Vorderhang aus, von der aus man einen schönen, wenn auch links und rechts durch Erhöhungen begrenzten, Blick ins Rheintal hat. Folgt man dem Feldweg aufwärts, so knickt er bald rechtwinklig nach Westen ab. Hier oben fällt das Gelände in südliche Richtung steil zum Tauberbach (und zur Straße Geyerslay) hin ab. Wir verlassen den Weg und gehen rechts über den Acker in Richtung der Freizeithütte. Kurz bevor wir sie erreichen, kommen wir an Bäumen vorbei. Hier in diesem Bereich hat man einen wirklich herrlichen Ausblick mit weiter Aussicht in das Rheintal von Lahnstein über Braubach bis fast nach Spay.
Bei meinen mehrfachen Ortsbegehungen habe ich mir die Frage gestellt, an welcher Stelle - ich - in diesem Geländebereich eine Richtstätte errichten würde. Dabei versuchte ich alle Parameter zu berücksichtigen, von denen ich wusste und so konnte für mich nach reiflicher Überlegung nur ein Ort in Frage kommen:
Der Bereich des Baumbestandes und der Hütte !
Dieser Platz liegt etwas mehr abseits als eine mögliche Stelle im vorderen, tieferen Gelände, an dem direkt der Feldweg vorbeigeht, der sicher auch schon in alter Zeit als Weg zur Arbeit auf Äckern und Wiesen benutzt wurde. Einen solchen Ort des Grauens würde man auch im Mittelalter oder der frühen Neuzeit nicht unmittelbar am Wege angelegt haben. Ein wenig mehr Abstand sollte auch damals sicher schon zu einem solch grauenvollen Ort sein.
Vor allen Dingen: Hätte der Richtplatz hier oben im Bereich der Hütte gelegen, man hätte ihn weit gesehen ! Hier wäre dem „Schau-Effekt“ bei Hinrichtungen in der damaligen Zeit hervorragend zum Tragen gekommen. Auf jeden Fall weit besser als im tiefer liegenden Hangbereich, der ja links und rechts außerdem etwas begrenzt ist.
Bei meiner Betrachtung bin ich davon ausgegangen, dass auch in Rhens die Gerätschaften zur Exekution (Galgen, Räder, Pfähle etc) weitgehend am oder in der Nähe des Richtplatzes gelagert wurden. Dies führte mich zur nächsten Fragestellung: Wo wurden sie gelagert? Anbieten würde sich der kleine Steinbruch. Er liegt in unmittelbarer Nähe zum Richtplatz. Der Scharfrichter hätte das benötigte Material quasi im Vorbeigehen zum Galgen mitnehmen können.
Freilich ist dies noch mehr Spekulation als meine Vermutungen hinsichtlich des Standortes des Richtplatzes, da nicht sicher ist, ob es den Steinbruch im Hang schon vor 400 Jahren gab.
Nichtsdestoweniger ist es sicher, das der „Reenser Galgen“, den Dilich zeigte, einst irgendwo in diesem Gelände, das kleiner als ein Fußballfeld ist, stand. Genaueres könnte sicher bei Untersuchungen oder Grabungen durch Richtstättenarchäologen erbracht werden. Aber sollte man nicht lieber die Überreste der Unglücklichen, die hier litten, starben und verscharrt wurden, in Frieden ruhen lassen ?
Anmerkungen:
- So Hans Bellinghausen, in "Rhens am Rhein und der Königstuhl", 1929. Andere Autoren greifen dies auch auf. Zurück
- Auf der Ansicht Dilichs sind am rechten und am unteren Rand des Werkes Maßstäbe zu finden. Rechts sind dies "Ruthen" und unten "Schuh". Die Rute war ein altes deutsches Längenmaß, das je nach Region unterschiedlich lang war. Im Hessischen entsprach 1 Rute heutigen 3,9888m . Da Rhens zur damaligen Zeit hessisch war, konnte also dieser Wert als gegeben angenommen werden.
Mit dem Zirkel werden nun die Entfernungen von fixen Punkten ermittelt. Die erste Messung vom Galgen zum Kirchtor ergibt ca.190Ruten. Die Nächste vom Galgen zur Mündung des Tauberbaches entspricht ca.300 Ruten. Diese Werte werden nun mit dem Faktor 3,9888m multipliziert. Die Ergebnisse ergeben dann ca. 760m bzw. 1200m.
Diese Angaben werden auf dem Maßstab einer modernen topografischen Karte 1:25000 in cm abgenommen, um den Radius der Zirkelschläge einzustellen. Zurück