IV. Die Entwicklung der „Sprache“ der Kriegerdenkmäler
Für Reinhart Koselleck gehört die vielgestaltige Erinnerung an die Verstorbenen zum menschheitsgeschichtlichen Leben und Sterben generell.[Anm. 1] Die von Menschen an Menschen ausgeübte Gewalt, die zum Tod vieler in einem staatlich angeordneten Krieg führte, bedarf einer nationalen Rechtfertigung – einer Sinnstiftung – des gewaltsamen Todes. Diese Sinnstiftung soll in Kriegerdenkmälern sichtbar werden, die den Tod der Gefallenen einordnen und an sie erinnern.
Hierbei ist das „Wofür wurde gestorben?“ für die Überlebenden relevant – ob es die ursprüngliche Kampfes-Intention des bzw. der Verstorbenen trifft, ist unklar. Die Stifter des Denkmals jedenfalls gehen davon aus, dass es eine Übereinstimmung des im Denkmal hinterlegten Deutungsangebotes damit gibt.[Anm. 2]
Im historischen Rückblick auf die vorrevolutionäre Zeit sind in Denkmälern die gesellschaftlichen hohen Ämter und Standesunterschiede abgebildet und mit christlicher Deutungssymbolik im Hinblick auf die Transzendenz des Todes versehen. Im Übergang zur Moderne erkennt Koselleck einen „Prozess der Funktionalisierung und Demokratisierung von Denkmälern“[Anm. 3]. Die bisher verbreitete christliche Symbolik wird mit nationaler Symbolik angereichert. Auch die später folgenden Darstellungen im Rahmen eines „Bürgerlichen Denkmalskultes“ werden weltlicher, die Sinnstiftung erfolgt dann mit sozialen und nationalen anstelle von christlichen Deutungen.[Anm. 4]
Christliche Bezüge werden zunehmend durch eine politische Deutung und die Funktionalisierung der Denkmäler abgelöst: Die Vorbildfunktion der Gefallenen und ihre Bedeutung für Staat und Bürger werden in den Denkmälern hervorgehoben. Der darin enthaltene Apell lautet: Auch die Betrachter des Denkmals sollen sich die Botschaft des Denkmals zu eigen machen. August Böckh prägte für Friedrich Wilhelm III. die im späteren Verlauf noch häufig zitierte Denkmal-Inschrift: "Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung".[Anm. 5]
Nach 1945 wird die Sinnstiftung von Kriegerdenkmälern und Tod im Krieg durch die Grauen der NS-Zeit obsolet: es geht nun um die Erinnerung an den gewaltsamen Tod, der vom NS- Regime verschuldet wurde und um die symbolische Betonung von Frieden, Freiheit, Demokratie und eines „nie wieder Krieg“. An die Gefallenen wird erinnert, ohne ihren Tod mit Symbolik zu Sinnstiftungen zu umgeben.[Anm. 6] Die Denkmalsprache wird „gegenstandsloser“, da die bisherige Formensprache von Kriegerdenkmälern nicht mehr passt.[Anm. 7]
Insgesamt kann sich im Zeitverlauf die Verkündigung der dem Denkmal innewohnenden Botschaft verändern oder verloren gehen, da sie nicht mehr verstanden wird. Koselleck weist in diesem Zusammenhang auf die historische Erfahrung des generationellen Aspektes hin: das Versterben der Stiftergeneration lässt „den politischen Kult versiegen“.[Anm. 8]
Hettling und Echternkamp unterscheiden bei ihrer Analyse der genutzten Symbolik im Gefallenengedenken die Bestandteile „Individualisierung“, „Ritualisierung“, „Monumentalisierung“ und „politisierte Religion“.[Anm. 9] Bei der nach 1813 beginnenden „Individualisierung“ können als Beispiel die Gedächtnistafeln mit den Namen der Gefallenen in den Gemeinden und Kirchen dienen.[Anm. 10]
Die „Ritualisierung“ ist an den nach 1813 vielfach entstandenen staatlichen Gedenkfeiern, zentralen Gedenktagen und der Vielzahl von Vereinen ehemaliger Kriegsteilnehmer erkennbar.[Anm. 11] Die „Monumentalisierung“ zeigt sich an Großdenkmälern wie dem Völkerschlachtdenkmal oder dem Kreuzbergdenkmal.[Anm. 12]
Die „Politisierte Religion“ verweist im Politischen Totenkult nach 1813 schließlich darauf, dass die kirchliche Symbolik auch im säkularen Gefallenengedenken noch ihren Platz hatte und Priester beispielsweise als „Feldprediger“ den Krieg unterstützten und die ausziehenden Soldaten segneten.[Anm. 13]
NACHWEISE
Verfasserin Text: Marion Nöldeke
Literatur: siehe Quellen- und Literaturverzeichnis
Erstellt am: 30.09.2020
Weitere Publikationen der Autorin zum Thema:
Politischer Totenkult – Erinnerung an Krieg und Gewalt. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 461-474. ISSN 2698-8402. Sowie: Das Kriegerdenkmal in Hagen-Vorhalle: eine Spurensuche im Stadtarchiv Hagen. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 475-483. ISSN 2698-8402.
Anmerkungen:
- Koselleck 1979, S. 256. Zurück
- Koselleck 1979, S. 257. Zurück
- Koselleck 1979, S. 258, 260. Zurück
- Koselleck 1979, S. 258-259. Zurück
- Koselleck 1979, S. 262. Der Spruch wurde erstmals auf dem 1818-1821 gebauten Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg bei Berlin zum Andenken an die Soldaten der preußischen Armee zitiert. Zurück
- Koselleck 1979, S. 264. Zurück
- Koselleck 1979, S. 273. Zurück
- Koselleck 1979, S. 274. Koselleck spricht in dem Zusammenhang auch vom „Verlust der Emphase“ eines Denkmals, welches „in Vergessenheit gerät“ (ebd.). Zurück
- Hettling/Echternkamp 2013, S. 125. Zurück
- Hettling/Echternkamp 2013, S. 128-129. Eine Anordnung von Friedrich Wilhelm III. besagte 1813, dass in jeder Kirche eine Namenstafel mit den Gefallenen der Gemeinde angebracht werden muss (S. 128). Zurück
- Hettling/Echternkamp 2013, S. 130-131. Zurück
- Hettling/Echternkamp 2013, S. 131-132. Zurück
- Hettling/Echternkamp 2013, S. 133-134. Zurück