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V. Demokratisierung der Denkmalsfähigkeit – der Unbekannte Soldat

Während einfache Soldaten bis ins 18. Jahrhundert nicht denkmalwürdig waren, löste nach 1789 ein demokratischer Trend der „Gleichheit im Tode“ die Denkmalstiftung allein für die herrschende Klasse ab: der einzelne Gefallene wurde nach und nach „denkmalfähig“[Anm. 1]

Damit einher ging, dass Denkmäler für die Gefallenen nun nicht mehr allein von den Herrschern, sondern auch von Gemeinden und Vereinen gestiftet wurden.[Anm. 2] Die Erinnerung an die Soldaten wurde in Monumenten wachgehalten, die individualisiert waren: der Soldat, der für die Nation gestorben war, wurde mit seinem Namen auf Denkmalen geehrt – auch als Erinnerung daran, dass „jedermann für die Zukunft der Nation einzustehen […] habe“.[Anm. 3] Die Namensnennung in Form von „Gedächtnistafeln“ zum Teil ergänzt um Rang, Sterbedatum und -ort zeigte insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg ebenfalls die Erinnerungswürdigkeit jedes einzelnen Gefallenen.[Anm. 4]

Namenstafel der Gefallenen 1914-1918 Gedenkanlage in Laubenheim[Bild: Marion Nöldeke]

Mit der Problematik des Massensterbens stellte sich im Ersten Weltkrieg jedoch die Frage des Gedenkens an die vielen vermissten Soldaten. Die Frage war, wie eine angemessene Erinnerung aussehen konnte für die vielen Namenlosen, die ohne persönliches Grab blieben, weil sie verschollen waren oder in einem Massengrab bestattet wurden? An den „Unbekannten Soldaten“ wurde seit 1920 in Frankreich durch das Grab des „Soldat inconnu“ unter dem Triumphbogen und in England durch das Grab des „Unknown Warrior“ in der Westminster Abbey gedacht. Das Grab des Unbekannten Soldaten – von Koselleck als „Zentralstelle des politischen Totenkultes“ bezeichnet – wurde als Idee des Gefallenengedenkens und der Gefallenenehrung in vielen weiteren Ländern aufgegriffen.[Anm. 5]

In der Zwischenkriegszeit wurde es unter dem Signum der „Hingabe und Opferbereitschaft“ verehrt und der Unbekannte Soldat wurde heroisch idealisierend dargestellt. Die Gesellschaften erkannten das Opfer des Bürgers, der Soldat war und der für sein Land gestorben war, mit nationaler Trauer und symbolisch aufgeladenen Gedenkritualen an. Der einfache Soldat wurde zum Helden und zum Sinnbild der nationalen Orientierung.[Anm. 6]

Gleichzeitig bot das Grab des Unbekannten Soldaten auch die Möglichkeit, der individuellen Trauer einen Ort zu geben, da die Familie des Gefallenen ihren verschollenen Angehörigen nicht zu Hause beerdigen und betrauern konnten. Isabel Oberle und Stefan Schubert sehen hierin eine Art von „kollektiver Trauerbewältigung“, um den persönlichen Verlust zu verarbeiten. Die Unsicherheit über die nicht mehr auffindbaren sterblichen Überreste des Verstorbenen wird durch den Unbekannten Soldaten kompensiert: durch die gemeinsame und damit verbindende Trauererfahrung und die gemeinsame Anerkennung seiner Leistungen entsteht eine „kollektive Identität“.[Anm. 7] Der Unbekannte Soldat bündelte die nationale Trauer und legitimierte das im Krieg gebrachte Opfer rückwirkend.[Anm. 8]

Symbol Helm – Gedenkanlage in Langenlonsheim BJ um 1930[Bild: Marion Nöldeke]

Darüber hinaus wirkt die Figur des Unbekannten Soldaten auch als integrierendes politisches Zeichen, da er nach Kriegsende symbolisch für alle Kriegsteilnehmer – unabhängig von ihren sozialen und politischen Unterschieden – stand. Oberle und Schubert sehen im Unbekannten Soldaten ein „Alleinstellungsmerkmal“ für diese Art des Politischen Totenkultes. Sie beschreiben seine Relevanz für die Nachkriegsgesellschaft als individuelle Darstellung, die aber dennoch gleichzeitig stellvertretend für alle Soldaten steht. Dadurch „löse er die Grenzen zwischen singulärem und kollektivem Heldentum auf“.[Anm. 9]

In Deutschland gestaltete sich die Suche nach einem zentralen Erinnerungsort für die gefallenen Soldaten, einem „Reichsehrenmal", in der Zwischenkriegszeit als schwierig.[Anm. 10] Über lange Zeit wurden das naturlandschaftliche Modell eines „Heiligen Hains“, ein ausgesuchtes Waldstück mit erhabenen Anlagen, und die mythologisch gefärbte Idee einer „Toteninsel im Rhein“ als zentrale Orte des Gedenkens an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges diskutiert, dann aber verworfen – u.a. wegen der Nicht-Einigung auf die dafür auszuwählende Region.[Anm. 11]

Benjamin Ziemann kommt bei seiner Analyse der langwierigen und erfolglosen Suche nach einem zentralen Gedenkort sowie der begleitenden konfliktträchtigen Diskussion zu der Schlussfolgerung, dass die Symbolik des Unbekannten Soldaten breit auslegbar war und mit unterschiedlichsten politischen Deutungen versehen werden konnte. Da es „um eine spezifische Modellierung des Verhältnisses von Individuum und Nation gegangen sei“, habe man sich in Deutschland nach den breit auseinander gehenden Diskussionen nicht auf ein Grabmal des Unbekannten Soldaten einigen können.[Anm. 12]

Des Weiteren wurde es von den monarchistischen und nationalistisch rechten Parteien als Symbol der ehemaligen Kriegsgegner abgelehnt und als generell „zu abstrakt“ und „für unterschiedliche Interpretationen offen“ eingeordnet.[Anm. 13]

Für den NS-Staat war der Unbekannte Soldat als französischer Import und namenloses Symbol für die NS-Ideologie als Zeichen nicht verwendbar. [Anm. 14]Bereits 1922 nutzte Hitler das Symbol des Unbekannten Soldaten jedoch als Zerrbild für die Darstellung der eigenen Kriegsteilnahme. Die Symbolik deutete er in dem Sinne, daß der »einzelne« Soldat ein »Atom«, das Heer dagegen »ewig« sei. Ab 1930 folgten in seinen Reden weitere Selbstverweise vom Unbekannten Soldaten auf Hitler selbst sowie auf völkisch-rechtspopulistische Kontexte.[Anm. 15] Bei Hitler war es dann nicht der „Unbekannte Soldat“, sondern der „Namenlose Soldat“, der sein Leben für Ruhm und Ehre der deutschen Nation gab. Dieser sollte durch die Aufgabe seines Namens ins Kollektiv eingehen und erst durch sein Selbstopfer seine Identität erlangen.[Anm. 16] Die Frontsoldaten als Kollektiv sollten im „Geist treuer Pflichterfüllung“ als „namenlose einzelne“ ihr Schicksal mit dem „des gesamten Volkes untrennbar verknüpfen“.[Anm. 17]

NACHWEISE

Verfasserin Text: Marion Nöldeke

Literatur: siehe Quellen- und Literaturverzeichnis

Erstellt am: 30.09.2020

 

Weitere Publikationen der Autorin zum Thema:

Politischer Totenkult – Erinnerung an Krieg und Gewalt. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 461-474. ISSN 2698-8402. Sowie: Das Kriegerdenkmal in Hagen-Vorhalle: eine Spurensuche im Stadtarchiv Hagen. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 475-483. ISSN 2698-8402.

Anmerkungen:

  1. Koselleck 1979, S. 259. Zurück
  2. Koselleck 1994, S. 12. Zurück
  3. Koselleck 1994, S. 14. Zurück
  4. Koselleck 1994, S. 14. Sowie: Koselleck 1979, S. 272-273. Zurück
  5. Koselleck 1994, S. 15. Zur zeitlichen folgenden Einsetzung des Kultes des „Unbekannten Soldaten“ in zehn weiteren Ländern: siehe ausführlicher bei Oberle/Schubert 2018, S.3. Koselleck verweist im Zusammenhang mit der Westminster-Abbey darauf, dass in dieser Ortswahl auch eine Art „Demokratisierung“ gesehen werden kann, da dort bisher nur die „Größen der guten Gesellschaft“ bestattet wurden (ebd.). Zurück
  6. Oberle/Schubert 2018, S.1-2. Zurück
  7. Oberle/Schubert 2018, S. 2. Zurück
  8. Oberle/Schubert 2018, S. 1. Zurück
  9. Oberle/Schubert 2018, S. 3, 5. Zurück
  10. Oberle/Schubert 2018, S. 78. Durchsetzbar war hingegen der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) 1919 vorgeschlagene Volkstrauertag für die gefallenen deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Er wurde 1922 zum ersten Mal als Gedenktag begangen und 1926 dann generell auf den 5. Sonntag vor Ostern gelegt, siehe in: Julien 2014, S. 99. Zurück
  11. Ziemann 2000, S. 70-77. Zurück
  12. Ziemann 2000, S. 87. Zurück
  13. Ziemann 2000, S. 78. Ziemann weist darauf hin, dass die nicht erfolgte Einigung auf eine zentrales Reichsehrenmal im weiteren Verlauf den Boden für die NS-Indoktrinierung der Ortswahl bereitete: Hitler erklärte im Oktober 1935 das bereits 1927 errichtete Tannenberg-Denkmal zum „Reichsehrenmal Tannenberg“. Vgl. ebd., S. 69. Zurück
  14. Stattdessen bildete sich mit den „Toten von Langemarck“ ein elitärer Heldenkult heraus. Ziemann 2000, S. 85. Hüppauf 1993, S. 43–84.  Zurück
  15. Ziemann 2000, S. 85. Beispiele zu den völkisch-rechtspopulistischen Kontexten: S. 86, vgl. ebd. Bei Goebbels wurde der „Unbekannte SA-Mann“, der als namenloser „Parteisoldat“ Pflichterfüllung zusagt, hervorgehoben. S. 85, vgl. ebd. Zurück
  16. Ziemann 2000, S. 84. Zurück
  17. Ziemann 2000, S. 86. Zurück