VIII. Fallbeispiel: Das Grab des Unbekannten Soldaten am Triumphbogen in Paris
In Frankreich wurde als Ort der kollektiven Anerkennung der Opfer verschollener Gefallener des Ersten Weltkrieges seit 1920 das Grabmal des Unbekannten Soldaten des „Soldat inconnu“ unter dem Triumphbogen gewählt.[Anm. 1]
Die Idee der symbolischen Beisetzung eines unbekannten Soldaten als stellvertretende Ehrung und symbolischen Bezugspunkt der Trauer entstand in Frankreich 1916. Bis 1918 wurde die Ortswahl – Pantheon oder Triumphbogen in Paris – diskutiert, und 1920 wurde der Beschluss gefasst, einen unbekannten Verstorbenen aus der Festung Verdun am neuen Gedenkort als „Unbekannten Soldaten“ zu bestatten.[Anm. 2]
Am 11.11.1920, dem Jahrestag des Waffenstillstands von Compiègne, wurde in einer feierlichen militärischen Zeremonie die Grabstelle eingeweiht. Die Beisetzung des ausgewählten Unbekannten Soldaten fand 1921 statt.
Seit 1923 findet unter dem Triumphbogen ein allabendliches Zeremoniell mit dem Wieder-Anzünden der ewigen Gedenk-Flamme ("Ravivage de la Flamme" = „Wiederbelebung der Flamme“) am Grab des Unbekannten Soldaten statt. Dieser Kult nimmt einen hohen Stellenwert in der nationalen Erinnerung ein und wird durch viele Kranzniederlegungen und Ehrungen das ganze Jahr über mit feierlichen Akten begleitet.
Vom Charakter her ist der Ort „Triumphbogen“ für das Grab des Unbekannten Soldaten als ehemals von Napoleon für die Soldaten seiner Grand Armée gestifteter „Sieges-Bogen“ zum Einzug nach Paris ein militärischer Gedenkort. Während das zunächst auch als Ort diskutierte Pantheon als Grabstelle berühmter französischer Persönlichkeiten eher ein Ort mit republikanischer und staatsbürgerlicher Bedeutung gewesen wäre.[Anm. 3]
Beim Besuch des Grabes des Unbekannten Soldaten am Triumphbogen ist die soldatische Prägung nicht zu übersehen: die Säulen des circa 50 Meter hohen Bogens sind mit Inschriften großer Schlachten und den Namen großer militärischer Führer verziert. So wird der Unbekannten Soldat dadurch in die Reihe nationaler Helden aufgenommen und gleichzeitig der Heldenmythos demokratisiert, da es sich um „einen Mann des Volkes“ handelt.
Die Inschrift auf der Grabplatte – unter der Ewigen Flamme – lautet: „Hier ruht ein französischer Soldat, gestorben für das Vaterland, 1914-1918“ und weist auf seine Heldentat hin: Ein Soldat opferte sein Leben für seine Nation.[Anm. 4] Die Frage, ob eine symbolische Grabstelle oder ein figürliches Denkmal des Unbekannten Soldaten im Politischen Totenkult die Menschen eher anspricht und das Gedächtnis der vielen verschollenen Gefallenen des Ersten Weltkrieges aufrecht erhält, ist am Triumphbogen offen: im Inneren des Bogens gibt es zusätzlich noch die lebensgroße figürliche Skulptur eines „Poilu“, eines einfachen französischen Frontsoldaten. Er steht als Denkmal vor einer Wand mit eisernen Siegeskränzen und wird ebenfalls als „soldat inconnu della grande guerre“ geehrt. Der zentrale Gedenkort ist aber das Grabmal des Unbekannten Soldaten direkt unter dem Triumphbogen.
Die im Laufe des Jahres vielfach stattfindenden Ehrungen des Grabes verweisen auf die Bedeutung, die der „Grand Guerre“ – gemeint ist in Frankreich der Erste Weltkrieg – nach wie vor im kollektiven Gedächtnis der Nation besitzt. Rund um das erhaben wirkende Grab des Unbekannten Soldaten weisen in den Boden eingelassene Gedenkplatten auf weitere konfliktreiche Auseinandersetzungen Frankreichs hin, deren Gefallener ebenfalls an diesem Ort gedacht wird. Beispielsweise der Gefallenen des Indochina-Krieges (1946-1954) und des Koreakrieges (1950-1953). So weitet sich das Gedenken des Unbekannten Soldaten des Ersten Weltkrieges, der für alle dort gefallenen Soldaten stand, zum generellen Gedenken an alle Gefallenen aus, die die Nation zu beklagen hat. Unter dem Triumphbogen möchte die Nation ihnen einen letzten „Triumph“ in Form einer Heimkehr als geehrte Gefallene bieten.
Schwer vorstellbar ist jedoch bei der Erhabenheit und der militärischen Ausprägung des Grabmals am Triumphbogen, dass hier auch die private Trauer um Kriegsopfer einen Platz haben könnte. Diese ist vermutlich in regionalen Gedenkorten zum Beispiel auf Friedhöfen, auf denen mit einer Gedenktafel oder einem Monument an die Opfer von Krieg und Gewalt erinnert wird, eher möglich. Damit ist das Gedenken jedoch eher ein privater, kein politischer Akt der Erinnerung.
NACHWEISE
Verfasserin Text: Marion Nöldeke
Literatur: siehe Quellen- und Literaturverzeichnis
Erstellt am: 30.09.2020
Weitere Publikationen der Autorin zum Thema:
Politischer Totenkult – Erinnerung an Krieg und Gewalt. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 461-474. ISSN 2698-8402. Sowie: Das Kriegerdenkmal in Hagen-Vorhalle: eine Spurensuche im Stadtarchiv Hagen. In: Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 11/2021, November 2021, 82. Jahrgang, S. 475-483. ISSN 2698-8402.