Zur Geschichte von Wörrstadt
Vor- und Frühgeschichte
Die früheste urkundliche Nennung der Stadt Wörrstadt findet sich in einer Schenkungsurkunde an das Kloster Lorsch aus dem Jahr 772. In dieser Urkunde schenkte der Gutsbesitzer Moricho zusammen mit seiner Frau dem Kloster Lorsch einen großen Landbesitz in Wörrstadt. Bis zum Jahr 804 sind im Lorscher Codex noch sechs weitere Schenkungen aus der Gemarkung Wörrstadt an das Kloster überliefert. Die Gegend um Wörrstadt dürfte jedoch schon sehr viel früher ein beliebter Siedlungsplatz gewesen sein. So deuten archäologische Funde von Wohngruben, Tongefäßen und Knochenresten verschiedener vor- und frühgeschichtlicher Kulturen auf eine Besiedlung seit der Jungsteinzeit (2500 – 1600 v. Chr.) hin. [Anm. 1]
In der Zeit um Christi Geburt wurden die römischen Legionen aus Gallien an den Rhein verlegt. Die römische Straße, die die Stützpunkte Worms und Bingen miteinander verband, führte durch die Gemarkung Wörrstadt, was zu einer günstigen Besiedlungslage beitrug. So wurden auch römische Soldaten in der Gegend angesiedelt und der Boden durch römische Gutshöfe, sogenannten villae rusticae, landwirtschaftlich bewirtschaftet. Aus diesem Grund konnten an verschiedenen Stellen im Ortsgebiet archäologische Funde aus römischer Zeit gefunden werden. Nachdem die Römer die Rheinlinie um 400 n. Chr. aufgaben, folgte eine wechselnde Herrschaft der Burgunder und Alemannen. Nach Chlodwigs Sieg über die Alemannen 496 zogen sich diese zurück und das rheinhessische Gebiet wurde in das fränkische Reich eingegliedert und neubesiedelt.
Die fränkische Besiedlung der Gemarkung Wörrstadt bestand ursprünglich aus zwei unabhängigen Hofgruppen. Die eine befand sich wohl im Gebiet des heutigen Ortes nahe der Quelle, die im 17. Jahrhundert zum Neunröhrenbrunnen ausgebaut wurde. Hier wurde am östlichen Ortsrand die Laurentiuskirche errichtet, wobei nur wenig über ihre Bauzeit bekannt ist. Südlich des heutigen Ortsgebietes, dort wo die Pariser Straße mit der Umgehungsstraße zusammentrifft, wurde ein fränkischer Friedhof aus dem 6. und 7. Jahrhundert gefunden, der Hinweise auf die Lage der zweiten Hofgruppe gibt. Diese Höfe lagen vermutlich hangabwärts an einem Bach, der nach der Nutzbarmachung seiner Quelle zur Wasserversorgung heute nicht mehr vorhanden ist. Im Laufe des frühen Mittelalters verließen die Bewohner*innen die südlichen Höfe und zogen in den Bereich der Höfe in der Nähe der Laurentiuskirche, wodurch die Siedlung Wörrstadt entstand. [Anm. 2]
Mittelalter
Neben dem Kloster Lorsch treten im Mittelalter noch weitere geistliche und weltliche Besitzer auf, die Güter in Wörrstadt besaßen. So lassen sich in Wörrstadt im 13. Jahrhundert neben Einzelbesitz zwei größere Grundbesitze nachweisen. Der eine Grundbesitz war ursprünglich ein Reichsgut, dass zwischen dem Kloster St. Gallen in der Schweiz, den Rheingrafen und den Reichsministerialen von Bolanden aufgeteilt wurde. Der zweite Grundbesitz war zum großen Teil in kirchlicher Hand und gehörte dem Kloster St. Alban in Mainz sowie dem Kloster St. Ursula in Köln. Weitere Besitzungen in Wörrstadt hielt unter anderem das Mainzer Domkapitel. Durch den Aufkauf von Gülten, den Abgaben, die von einem Grundstück an den Grundherren gezahlt werden mussten, vergrößerte das Domkapitel seinen Besitz in Wörrstadt im 13. Jahrhundert immer weiter. Als wichtigste Schenkung erhielt das Domkapitel von der Frau Philipps von Bolanden im 13. Jahrhundert das Patronatsrecht über die Pfarrkirchen in Wörrstadt und Sulzheim und hatte damit das Recht die dort angestellten Geistlichen einzusetzen.
Der Wörrstädter Zehnt war schon früh zwischen verschiedenen Besitzern aufgeteilt. So bot Philipp von Bolanden 1272 dem Mainzer Domkapitel ein Drittel des Zehnten an, den er zuvor vom Domkapitel als Lehen erhalten hatte. Aus dem Jahr 1279 ist überliefert, dass Raugraf Georg und sein Bruder zugunsten ihrer Verwandten Philipp von Hohenberg und dessen Bruder auf ein Burglehen verzichteten, das aus einem Neuntel des Wörrstädter Zehnts bestand. Die Begünstigten verkauften das Burglehen dann an das Mainzer Domkapitel weiter. 1281 verkauften Hartrad von Merenberg und seine Frau Gertrud ihr Drittel am Wörrstädter Zehnten an die Johanniter in Mainz. 1407 gab der Graf von Dietz sein Sechstel des Zehnten, das er durch Heirat erhalten hatte, an Denhart von Cleberg weiter.
Auch die Herrschaft über Wörrstadt war im Mittelalter aufgeteilt. So erhoben sowohl die Rheingrafen als auch die Herren von Löwenstein Anspruch auf die Ortsgerichtsbarkeit, da beide klösterliche Vogteien und eigene Besitzungen in Wörrstadt hielten. Dies führte 1274 zu Streitigkeiten um die Ausübung der richterlichen Funktion in Wörrstadt. Diese Streitigkeiten wurden am sogenannten „langen Stein“ bei Wörrstadt verhandelt und die richterliche Gewalt in der Gemarkung Wörrstadt aufgeteilt. Nach diesem Vergleich wurden die Rechte der Löwensteiner im Laufe der Zeit immer weiter zurückgedrängt, bis die Ortsherrschaft zum großen Teil bei den Rheingrafen lag. Diese spalteten sich im Verlauf des Mittelalters in unterschiedliche Linien auf, sodass zwischenzeitlich die Linie Salm-Salm und Salm-Kirburg Wörrstadt zu je 1/16 besaßen, während die Linie von Grumbach und Stein die übrigen 14/16 hielten. Wörrstadt verblieb bis zur Französischen Revolution im Besitz der Rheingrafen (später Wild- und Rheingrafen genannt) und war damit Teil der Kurpfalz. [Anm. 3]
Frühe Neuzeit
In einer Verhandlung vor dem Ingelheimer Oberhof aus dem Jahr 1461 ist erstmals ein Hospital in Wörrstadt erwähnt. Dieses diente gleichzeitig als Krankenhaus, Herberge und Altenheim. 1480 mussten das Augustiner Chorherrenstift in Flonheim und eine Mühle in Wendelsheim mehrere Malter Korn aufbringen, mit deren Erlös die Verpflegung für die notdürftigen und kränklichen Patienten des Wörrstädter Spitals gekauft wurde. Aus dem alten Wörrstädter Kirchenbuch ist überliefert, dass hauptsächlich alte und gebrechliche Leute im Spital untergebracht waren und dort behandelt wurden. Ab und an wurden aber auch andere Verletzte in Wörrstadt verpflegt. So behandelte man im April/Mai 1588 einen Soldaten, der eine Schussverletzung am Arm hatte. Er erhängte sich am 8. Mai an einer zerbrochenen Leiter in der Scheune.
Die Reformation war ab dem Jahr 1545 in den kurpfälzischen Gebieten in vollem Gange und bis 1556 war auch der Großteil der Gemeinde in Wörrstadt reformatorisch. Die zunehmenden Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten boten Anfang des 17. Jahrhunderts den religiösen Vorwand für den blutigen Machtkampf der europäischen Mächte, der 1618 zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges führte. Im Juli 1620 besetzte die Protestantische Union das Amt Alzey und brachte 5000 Mann in den Ortschaften der Umgebung unter und forderte zahlreiche Kriegskontributionen. Auch in Wörrstadt wurden 100 Mann der Reiterei einquartiert. Im August 1620 drang die spanische Armee unter Ambrosio Spinola in die Kurpfalz ein und gewann diese für die katholischen Fürsten, wonach wieder katholische Gottesdienste in der Umgebung gehalten wurden. Nachdem die Spanier mit einem Großteil ihrer Truppen in die Niederlande weitergezogen waren, errichtete man in Wörrstadt eine Befestigungsanlage um die Kirche, die der Bevölkerung Schutz bei möglichen Überfällen bieten sollte. Heute sind von dieser Anlage nur noch Reste eines Turmes erhalten. 1630 griff der schwedische König Gustav Adolf in den Krieg ein und überschritt 1631 den Rhein, wodurch der reformierte Glauben in den kurpfälzischen Gebieten wieder Fuß fassen konnte. Im April 1632 nahmen die Spanier erneut Alzey ein, mussten aber bereits im Mai wieder abziehen, woraufhin die Gegend von schwedischen Truppen besetzt wurde. Nachdem die schwedische Armee 1634 bei der Schlacht von Nördlingen besiegt wurde und sich in der Folge zurückziehen musste, wurde der Katholizismus erneut verbreitet. Rheinhessen gehörte im Dreißigjährigen Krieg zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Neben den andauernden Kriegsgräueln führten Kälte, Hungersnöte und Krankheiten zu schwierigen Bedingungen für die Bevölkerung und kosteten zahlreichen Menschen das Leben. Im Jahr 1641/2 wütete die Pest in Wörrstadt und tötete große Teile der Bevölkerung. Danach wurde der Ort 1642 vollständig aufgegeben und die stark dezimierte Bevölkerung suchte in anderen Ortschaften Zuflucht. Ab diesem Zeitpunkt war Wörrstadt menschenleer. Auch nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 durch den Westfälischen Frieden benötigte es einige Zeit, bis die Bevölkerung nach Wörrstadt zurückkehrte. So dauertes es bis 1652 als wieder 16 Familien in Wörrstadt registriert waren und der Ort nicht mehr wüst lag. [Anm. 4]
Auch nach dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen, befanden sich noch immer Truppen in der Gegend, die aus den umliegenden Ortschaften Abgaben forderten. Neben den rückkehrenden Einwohner*innen kam es in der Zeit nach dem Krieg vermehrt zu Einwanderungen von Menschen aus weniger stark vom Krieg betroffenen Gebieten, die beim Wiederaufbau der zerstörten Gegend halfen. Der Wiederaufbau von Wörrstadt ging in den folgenden Jahren jedoch nur langsam voran, da weiterhin Hungersnöte und Krankheiten den Fortschritt hemmten. Während im Jahr 1665 wieder 134 Personen mit 173 Kindern in Wörrstadt lebten, wütete 1666 erneut eine Pestwelle und tötete 111 Kinder und 32 Erwachsene.
Die Friedenszeit dauerte nur wenige Jahre an, bevor die Eroberungspläne des französischen Königs Ludwig XIV. zum Ausbruch des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678) führte und erneut Konflikte an den Rhein brachte. Der Pfälzische Erbfolgekrieg (1688 – 1697) führte danach zu einer französischen Garnison in Mainz und den umliegenden Orten, die hohe Kontributionen forderte. Die Kriegsgräuel lösten dabei eine allgemeine Fluchtbewegung in den kurpfälzischen Ortschaften aus.
Während diesem Krieg kam es in Wörrstadt vermehrt zu religiösen Streitigkeiten, da die französischen Besatzungstruppen den Wörrstädter Katholiken gegen den Willen der protestantischen Bevölkerung die Nutzung der Kirche ermöglichten. Diese Streitigkeiten traten zu Beginn des 18. Jahrhunderts erneut auf, als 1714 der französische Oberst Kleinholz mit 51 Soldaten die Wörrstädter Kirche besetzte und damit dem katholischen Pfarrer aus Spiesheim ermöglichte dort einen Gottesdienst zu halten. 1718 wurde die Wörrstädter Kirche erneut durch Soldaten besetzt und ein katholischer Gottesdienst gefeiert. Als die Soldaten die Kirche und den Kirchhof verschlossen vorfanden, brachen sie alle Türen auf und verprügelten die Einwohner*innen, die sich auf dem Kirchhof verschanzt hatten. Dabei wurden fünf Männer gefangen genommen und in Mainz für drei Monate eingesperrt. Obwohl die Rheingrafen die Religionsangelegenheiten in ihren Orten Wörrstadt, Obersaulheim und Eichloch 1719 vor das Reichskammergericht brachten, konnte die Streitigkeiten nicht gelöst werden. Die Kirche wurde deshalb immer wieder als Simultankirche von beiden Konfessionen genutzt. Erst der Bau der katholischen St. Laurentiuskirche 1836 beendete den Streit um die alte Kirche nachhaltig. [Anm. 5]
Französische Herrschaft bis zum Ersten Weltkrieg
Am 20. April 1792 erklärte das revolutionäre Frankreich den Krieg und nahm im September die linke Rheinseite in Besitz. Bereits zuvor hatten die revolutionären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ihre Befürworter in der rheinhessischen Bevölkerung gefunden. Am 30. September 1792 nahm das französische Heer Speyer ein und rückte von dort nach Mainz weiter. Damit fand die Herrschaft der Rheingrafen über Wörrstadt ein Ende. Obwohl Kontributionen gefordert wurden, verhielten sich die Besatzungstruppen gegenüber den Einwohner*innen in der ersten Zeit korrekt und zuvorkommend. Bis zum Ende der Auseinandersetzungen 1797 verlief die Kriegsfront mehrfach durch das rheinhessische Gebiet, worunter die Landbevölkerung massiv zu leiden hatte. Auch für Wörrstadt führte der Krieg zu hohen Kontributionen und allgemeinen Kriegskosten, die die Situation der Bevölkerung schwer belastete. Auf Anordnung der französischen Truppen wurde am 17. März 1793 ein mit einer Jakobinermütze geschmückter Freiheitsbaum errichtet. Nachdem am 19. März die französischen Truppen Wörrstadt verlassen hatten, kamen zehn Tage später die ersten alliierten Truppen aus Hessen in den Ort und verhafteten die größten Unterstützer der Mainzer Republik, die in der Festung Königstein eingesperrt wurden. [Anm. 6]
Mit dem Frieden von Campo Fornio 1797 endete der Krieg und das linke Rheinufer wurde offiziell von Frankreich annektiert. Bei einer Petition über die Aufnahme der annektierten Gebiete in die Französische Republik 1798 stimmten nur 75 der 1019 wahlberechtigten Bürger*innen in Wörrstadt dafür. Mit dem Beginn der französischen Herrschaft wurde auch die Verwaltung auf französische Normen umgestellt. So wurden am 23. Januar 1798 das linksrheinische Gebiet in Departements eingeteilt. Wörrstadt gehörte damit zum Departement Mont Tonnerre (Donnersberg) und war der Hauptort des Kanton Wörrstadt, dem neben Wörrstadt noch Armsheim, Biebelnheim, Bechtolsheim, Eichloch, Ensheim, Friesenheim, Gabsheim, Gau-Bickelheim, Gau-Weinheim, Hillesheim, Ober-Saulheim, Nieder-Saulheim, Ober-Hilbersheim, Partenheim, Schimsheim, Schornsheim, Spiesheim, Sulzheim, Udenheim, Undenheim, Vendersheim, Wallertheim und Wolfsheim angehörten.
Im Zuge der Napoleonischen Kriege wuchs der Bedarf an Soldaten ständig an, weshalb 1802 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. In den folgenden Jahren wurden auch in Wörrstadt immer wieder Männer in die napoleonische Armee eingezogen. Durch den Krieg musste der Ort regelmäßig Abgaben von Lebensmitteln, Materialien und Pferden leisten sowie Arbeiter zum Festungsbau liefern. Als im Herbst 1813 die Reste der besiegten französischen Armee den Rhein überquerten, kam es in Wörrstadt zu Masseneinquartierungen. Nachdem die französischen Truppen sich weiter zurückgezogen hatten, folgten Einquartierungen russischer, österreichischer und preußischer Truppen.
Nach dem Ende der napoleonischen Ära und der Neuordnung Mitteleuropas im Wiener Kongress 1814/15 gehörte Wörrstadt ab 1816 mit dem linksrheinischen Gebiet um Bingen, Alzey, Mainz und Worms zum Großherzogtum Hessen. Die Provinz Rheinhessen erhielt 1818 eine eigene Provinzialregierung, die ihren Sitz in Mainz hatte. Die Ordnung der Verwaltungsbezirke nach Kantonen wurde zunächst weitergeführt, bevor man 1833 Kreisämter einführte. [Anm. 7]
Im Jahr 1817 zerstörte ein nasser Sommer und ein nass-kalter Herbst einen Großteil der Ernte. Da die Lebensmittelpreise unter der napoleonischen Herrschaft künstlich niedrig gehalten wurden, lagen in Wörrstadt die schwer zu bebauenden Gemarkungsteile brach und der langjährige Krieg hatte die Vorratsmagazine geleert. Dadurch stiegen die Lebensmittelpreise enorm an und hatten eine Hungersnot zur Folge. Der Frust der Bevölkerung richtete sich schnell gegen vermeintliche Aufkäufer von Früchten, denen die Schuld an den hohen Preisen angelastet wurde. In der Folge kam es zu Plünderungen und gewaltsame Übergriffe, die durch Einquartierungen großherzoglicher Truppen beendet wurden. Dennoch führten Lebensmittelknappheit und Armut besonders in den 1830er und 1840er Jahren zu Auswanderungswellen von Wörrstadt nach Nord- und Südamerika, wo sich eine Verbesserung der Lebensumstände erhofft wurde. [Anm. 8]
Im Zuge der Revolution von 1848 fand am 12. April eine Versammlung aller rheinhessischen Bürgerkomitees in Wörrstadt statt, bei der ein Beschluss für unmittelbare Wahlen einer Nationalversammlung gefasst wurde. Als sich die Gegenrevolution immer mehr sammelte, wurden für den 9. Mai 1849 alle bewaffneten Bürger Rheinhessens aufgefordert sich in Wörrstadt zu sammeln. Berichte über diese Mobilisierung schwanken von 800 bis 1500 Freischärlern, die sich in Wörrstadt sammelten und bewaffneten. Diese zogen am 12. Mai weiter und trafen am 14. Mai bei Kirchheimbolanden auf preußische Truppen, wo es zum ersten Gefecht des pfälzischen Aufstandes kam. Das rheinhessische Freikorps wurde durch die preußische Armee besiegt und hatte mehrere Tote und viele Gefangene zu beklagen. Am 17. August kam eine Untersuchungskommission nach Wörrstadt und verhaftete mehrere Revolutionäre. [Anm. 9]
1870 brach der deutsche Krieg gegen Frankreich aus, weshalb es auf dem Weg der Truppen nach Frankreich auch in Wörrstadt zu Einquartierungen kam. Auch 28 Männer aus Wörrstadt kämpften in der hessischen Armee, wobei alle den Krieg überlebten. Bereits einen Monat vor Kriegsbeginn hatte der Wörrstädter Gemeinderat die Anschaffung von Vorräten für den bevorstehenden Krieg beschlossen, wodurch die steigenden Lebensmittelpreise diesmal keine Hungersnot auslöste. Die Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Januar 1871 wurde auch in Wörrstadt groß gefeiert. Am 2. März 1872 wurde zum Jahrestag des Friedens ein Fackelzug und ein Feuerwerk in Wörrstadt veranstaltet und am 3. März nach einer Prozession durch den Ort ein Friedensbaum am Rathaus gepflanzt.
Das Ende des 19. Jahrhunderts war vor allem durch die Modernisierung des Ortes und dem Ausbau der Infrastruktur geprägt. So wurde bereits 1871 nach langjähriger Planung und Bau, Wörrstadt an die Ludwigsbahn zwischen Mainz und Alzey angeschlossen. Es folgten Baumaßnahmen wie Wasserleitungen, der Neupflasterung der Ortsstraßen und dem Ausbau der Verbindungsstraßen zwischen Wörrstadt und den umliegenden Ortschaften. [Anm. 10]
Das 20. Jahrhundert
Nach der Julikrise brach im August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Am 1. August 1914 wurde mit der Rekrutierung und Generalmobilmachung der deutschen Truppen begonnen. Ab dem 8. August wurden 1017 Soldaten des 2. Thüringischen Ersatzlandwehrbataillons und 175 Dragoner in Wörrstadt einquartiert, das damit zur Garnisonsstadt wurde. Gleichzeitig wurde in der Turnhalle des Schulhauses ein Lazarett errichtet und mit der Ausbildung von 27 Mädchen zu Krankenschwestern begonnen. Schon am 11. August war der erste Gefallene aus Wörrstadt zu beklagen. Am 26. Dezember kamen die ersten Verwundeten ins Lazarett. Im September 1914 wurde ein Rekrutendepot errichtet, das die Ausbildung und Übungen auf den abgeernteten Feldern veranstalteten. 1915 wurden Brotmarken eingeführt, um die Lebensmittelvorräte zu rationieren. So musste auch die Ernte an den Kommunalverband abgegeben werden. Das Jahr 1915 war von dauernd wechselnden Einquartierungen, neuen Verwundeten im Lazarett und der Musterung der Jugend aus Wörrstadt und der Umgebung geprägt. Ab 1916 wurden russische Kriegsgefangene als Hilfskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt. Wie viele andere Orte auch investierte Wörrstadt 1916 100.000 Mark in Kriegsanleihen und 1917 noch einmal zusätzlich 50.000 Mark. Der allgemeine Mangel an lebensnotwendigen Dingen nahm im Laufe des Krieges immer mehr zu, sodass es vermehrt zu Lebensmitteldiebstählen und Hamsterkäufen kam. Ein großer Teil der Wörrstädter Einwohner*innen war in die Kriegswirtschaft involviert. So arbeiteten etwa 30-40 Mädchen in den Mainzer Munitionsfabriken. 1918 wurden die Orgelpfeifen aus Zinn aus der Wörrstädter Kirche beschlagnahmt. Die Wörrstädter Glocken entgingen der Beschlagnahmung durch den Einfluss des früheren Wörrstädter Pfarrers Reinhard, der Mitglied der Glockenkommission war. Der Krieg endete im November 1918 schließlich in einer Niederlage des deutschen Reiches. 70 Soldaten aus Wörrstadt überlebten den Krieg nicht.
Mit dem Ende des 1. Weltkrieges wandelte sich das Deutsche Kaiserreich zur Weimarer Republik (1918 – 1933). Auch das Großherzogtum Hessen wurde im Zuge der Novemberrevolution zum republikanischen Volksstaat Hessen. Am 6. Dezember kamen die ersten Franzosen nach Wörrstadt und begannen die ständige Besetzung der Ortschaft. Zunächst wurden die französischen Soldaten bei den Einwohner*innen einquartiert, bevor an der Pariser Straße eine Baracke errichtet wurde. Am 2. Januar 1919 fanden die ersten Wahlen in den besetzten Gebieten statt. In Wörrstadt wurde die SPD stärkste Kraft. Der Krieg hinterließ eine schwierige wirtschaftliche Lage, die durch Hyperinflation und die hohen Reparationsforderungen weiter verschlimmert wurde. Die wirtschaftliche Lage stabilisierte sich erst im Laufe der 1920er Jahre. Im Jahr 1925 lebten 2240 Einwohner*innen in Wörrstadt von denen der Großteil noch immer in landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt waren. [Anm. 11]
1930 fand anlässlich der Rheinlandbefreiung am 30. Juni in Wörrstadt ein Fackelzug statt und das neuerrichtete Befreiungsdenkmal wurde eingeweiht. Am 26. April 1931 fand ein Umzug von 1200 Mitgliedern des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Wörrstadt statt. Auch Versammlungen der NSDAP wurden in den 1930er Jahren vermehrt in Wörrstadt veranstaltet. Am 30. Januar 1933 übernahm Adolf Hitler das Amt des Reichskanzlers. Bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 wurde die NSDAP in Wörrstadt mit 897 Stimmen von 1478 Wahlberechtigten stärkste Kraft. Damit erhielt die NSDAP im Vergleich zur Reichstagswahl vom 6. November 1932, bei der sie 641 Stimmen erreichte, noch einmal einen höheren Stimmenanteil. Auf die Machtergreifung folgte eine politische Umgestaltung, wodurch unter anderem die Ortsverwaltungen an die nationalsozialistische Ideologie angepasst wurden. So wurden in Wörrstadt die Führer anderer Parteien unterdrückt und zwei Ortsgerichtsmänner aus dem Amt entlassen, da sie nicht der nationalen Gesinnung folgten.
Mit der Machtübernahme der NSDAP nahm auch die Diskriminierung und Ausgrenzung von Juden aus dem alltäglichen Leben zu. Am 30. August 1935 wurde der Beschluss gefasst Juden den Zuzug nach Wörrstadt zu verbieten. In der Reichspogromnacht 1938 verwüsteten Männer der SS und SA zusammen mit einigen Zivilisten die Wohnungen und Geschäfte der jüdischen Einwohner*innen und zerstörten mit Äxten Möbel und Einrichtungsgegenstände. Auch die Synagoge in Wörrstadt wurde dabei verwüstet, geplündert und die Möbel auf der Straße in Brandt gesteckt. Die Synagoge und der unbelegte Teil des jüdischen Friedhofs wurden 1939 von der Gemeinde aufgekauft.
Mit dem Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der 2. Weltkrieg. In der Folge kam es zu ersten Lebensmittelrationierungen und Flüchtlingen, die in Wörrstadt Zuflucht suchten. Seit 1940 begannen die nächtlichen Luftangriffe der Alliierten, die in Wörrstadt noch weitgehend glimpflich verliefen. Ab 1942 nahmen die Bombardierungen deutscher Städte immer weiter zu und hatten in Wörrstadt vor allem die Eisenbahnverbindung zum Ziel. Die Bombardierung von Mainz am 27. Februar 1945 brachte viele ausgebombte Flüchtlinge nach Wörrstadt, die hier untergebracht werden mussten. In den letzten Kriegsmonaten wurde in Wörrstadt ein Lazarett errichtet, dass jedoch nicht mehr zum Einsatz kam. Im Verlauf des Krieges hatte Wörrstadt 97 Gefallene und 54 Vermisste zu beklagen. Im März 1945 näherten sich schließlich die amerikanischen Truppen und begannen am 19. März um 1 Uhr mit dem Artilleriebeschuss von Wörrstadt. Sieben Einwohner*innen kamen dabei innerhalb kürzester Zeit um Leben. Etwa eine Stunde dauerte der Beschuss, bevor um 2 Uhr Wörrstadt von den Amerikanern eingenommen wurde. Damit endete der 2. Weltkrieg für Wörrstadt einige Monate vor dem offiziellen Kriegsende.
In der Folge entließen die Amerikaner alle Nationalsozialisten aus der Verwaltung und setzten Unbelastete ein. So wurde dem Altbürgermeister Thörle das Amt des provisorischen Bürgermeisters durch die Amerikaner übertragen. Allerdings erhob der politische Kommissar Conrad Anspruch auf den Posten und nutzte die allgemeine Unsicherheit nach der Einnahme des Ortes, um Wertgegenstände zu beschlagnahmen. Auch das Eingreifen der amerikanischen Truppen, die Altbürgermeisters Thörle als provisorischer Bürgermeister bestätigten, konnte Conrad nicht davon abhalten, bevor er irgendwann mit einem requirierten Auto verschwand. Am 17. Februar 1947 wurde der ehemalige politische Kommissar und „Bürgermeister“ Conrad in Mainz wegen Unterschlagung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Am 4. Juli 1945 zogen die Amerikaner schließlich ab und wurden durch französische Besatzungstruppen ersetzt. [Anm. 12]
Nachkriegszeit bis heute
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges gehörte Wörrstadt zur französischen Besatzungszone. Die Situation nach Kriegsende war zunächst sehr schwierig, da ein allgemeiner Mangel an Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen herrschte, die durch Einquartierungen und Requirierungen noch weiter verstärkt wurden. Die Franzosen verwalteten ihre Zone nach militärischen Regeln und verließen sich dabei weiterhin auf unbelastete Deutsche.
Nachdem die Gemeindeverwaltung einige Zeit durch die französische Besatzung bestimmt wurde, fand am 14. September 1948 die erste Wahl einer neuen Gemeindeverwaltung mit Bürgermeister und Gemeinderat statt. Die Währungsreform 1948 entspannte die wirtschaftliche Lage merklich und in der Folge konnte der Wiederaufbau der beschädigten und zerstörten Gebäude in Wörrstadt in Angriff genommen werden. Am 30. August 1946 wurde auf französische Verordnung das Bundesland Rheinland-Pfalz gegründet. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz und damit die offizielle Neuorganisation der westlichen Besatzungszonen zur Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
In der Nachkriegszeit nahm die Bevölkerungszahl von Wörrstadt stetig zu und stieg von 2519 Einwohner*innen 1946 auf 2920 Einwohner*innen 1952. In den 1950er und 1960er wurde auf die steigende Bevölkerung von Wörrstadt reagiert und mehrere Neubaugebiete ausgewiesen. Am 7. November 1970 wurde die bis dahin selbstständige Gemeinde Rommersheim (früher Eichloch) mit damals 432 Einwohner*innen nach Wörrstadt eingemeindet. 1972 trat die rheinland-pfälzische Verwaltungsreform in Kraft, wodurch Wörrstadt Sitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde wurde. Diese umfasst neben Wörrstadt noch Armsheim, Ensheim, Gabsheim, Gau-Weinheim, Partenheim, Saulheim, Schornsheim, Spiesheim, Sulzheim, Udenheim, Vendersheim und Wallertheim.
Wörrstadt ist heute gut an die Infrastruktur der Umgebung angeschlossen und liegt am Schnittpunkt der Bundesstraßen 420 und 271 und verfügt über eine Zufahrt zur Bundesautobahn A63. Im Jahr 2014 wurde der Bahnhof Wörrstadt zu einem zweigleisigen Kreuzungsbahnhof ausgebaut und besitzt eine regelmäßige Verbindung nach Alzey und Mainz. [Anm. 13]
Am 4. September 2009 wurde Wörrstadt durch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsident Kurt Beck das Stadtrecht verliehen und hat heute zusammen mit dem eingemeindeten Rommersheim 8.012 Einwohner*innen (Stand Dez. 2020).
Nachweise
Redaktionelle Bearbeitung: Jonathan Bugert
Verwendete Literatur:
- Andresen, Karl-Heinz/ Vollmer, Horst: Wörrstadt. In Heimatjahrbuch Alzey-Worms 55 (2020). S. 175 – 178.
- Klug, Ernst: Wörrstadt als kleine Residenz. In: Heimatjahrbuch Landkreis Alzey-Worms 1 (1961). S. 75 – 80.
- Klug, Ernst: Wörrstadt. Die Geschichte einer kleinen Stadt. Wörrstadt 1972.
- Vollmer, Horst: Wörrstadt durch die Zeiten. In: www.woerrstadt.de, URL: http://www.woerrstadt.de/gestern-und-heute/ erschienen 2006 (aufgerufen am 24.09.2021)
- Weidemann, Konrad: Mittelalterliche Siedlungsformen in Rheinhessen: Olmer Gemarkung – Wörrstadt – Wendelsheim – Gau-Odernheim – Neubamberg. In: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. 12: Nördliches Rheinhessen, Ingelheim, Bingen, Bingen, Bad-Kreuznach, Alzey, Oppenheim. Mainz 1976. S. 66 – 80.
Aktualisiert am: 24.09.2021
Anmerkungen:
- Vgl. Klug 1972, S. 9 – 14; Andresen/Vollmer 2020, S. 175. Zurück
- Vgl. Weidemann 1976, S. 72. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 16 – 25, S. 44; Klug 1961, S. 75. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 57 – 65; Andresen/Vollmer 2020, S. 175 – 176. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 66 – 70; Vollmer 2006. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 98 – 103; Andresen/Vollmer 2020, S.176. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 103 – 107. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 109; S. 134 – 141. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 161 – 163. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 89 – 90, S. 117 – 118, S. 141 - 154; Andresen/Vollmer 2020, S. 176. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 181 – 184; Andresen/Vollmer 2020, S. 176. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 184 – 194; Andresen/Vollmer 2020, S. 177. Zurück
- Vgl. Klug 1972, S. 192 – 202; Andresen/Vollmer 2020, S. 177 – 178. Zurück