0.10. Sprachlaute und Tonakzente
0.1.10.2. Vokale
0.2.10.2.11. Kürzung / erhaltene Kürzung
Schull, Zänn, Mell
Im vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, dass viele Dialektwörter einen Langvokal haben, wo das Standarddeutsche einen Kurzvokal aufweist. Auch der umgekehrte Fall kommt vor: Den Dialektausdrücken z. B. Lidd, Bicher (kleinere Schriftgröße bei i drückt Kürze aus) Schull, Still, Zänn und Mell (alle mit Kurzvokal) stehen standardsprachlich Lied, Bücher, Schule, Stiel, Zähne und Mehl (alle mit Langvokal) gegenüber. Vom gegenwartssprachlichen Standpunkt aus lassen sich die Kürzen als solche nicht erklären. Der sprachhistorische Zugang jedoch führt zu differenzierten Einsichten. Den kurzen Stammvokalen der drei erstgenannten Wortbeispiele Lidd, Bicher und Schull entsprechen alte Längen, die die Standardsprache fortsetzt, die Dialekte hingegen quantitativ reduzieren, wobei die Kürzungsareale in Größe und Lage wortabhängig variieren. Lidd beispielsweise ist nur in wenigen Orten im Schwarzwälder Hochwald (Südwesthunsrück) vertreten, Bicher dagegen wesentlich häufiger, und zwar im Bereich untere Nahe/östlicher Soonwald sowie westlich einer Linie Idar-Oberstein – Bernkastel-Kues. Die anderen Wortbeispiele (Still, Zänn, Mell) haben ursprünglich kurze Stammvokale (mittelhochdeutsch stil, zen(d)e, mel). Die neuhochdeutsche Standardsprache dehnt diese (Stiel, Zähne, Mehl), während in den Dialekten die alte Kürze erhalten bleibt (wenn nicht nach Dehnung eine Rückverkürzung erfolgt ist). Auch hier variiert die areale Verteilung der Kurzvokale von Wort zu Wort. Die Karten 20 und 21 zeigen das Vorkommen von Kürzen und Längen anhand der Beispiele Bücher und Stiel in unserem Gebiet (vgl. auch Karte 15 mit Kürzung bei suchen).