0.10. Sprachlaute und Tonakzente
0.1.10.2. Vokale
0.2.10.2.14. Nebensilbenabschwächung
Huchzet, Hänsche, Arwet
Vergleichen wir exemplarisch drei Dialektwörter mit ihren hochsprachlichen Gegenstücken:
Dialekt | Standarddeutsch |
Huchzet | Hochzeit |
Hänsche | Handschuh |
Arwet | Arbeit |
Im Dialekt sind im Gegensatz zur Standardsprache die zweiten Silben (jeweils durch Fettdruck hervorgehoben) lautlich stark reduziert. Das dort auftretende e ist nicht der volle, sondern unbetonte e-Laut (auch Schwa oder Murmelvokal genannt), wie er auch in hochdeutsch Katze vorkommt. Das unbetonte e wird hier durch Hochstellung (e) symbolisiert (am Wortende ist das nicht nötig, da dort e regelhaft als Murmelvokal realisiert wird). Von solchen Vokalabschwächungen sind die Nebensilben einer ganzen Reihe von Ausdrücken betroffen. Dafür gibt es folgende Erklärung: Im Dialekt wie im Standarddeutschen wird in der Regel die erste Silbe eines Wortes betont (Anfangsbetonung). Die nachfolgenden Silben sind unbetont oder tragen einen Nebenakzent. Ein solcher findet sich beispielsweise bei Hundehütte auf dem Element ‑hüt-, während der Hauptdruck auf Hun- liegt.
Bei Zweisilblern wie Hochzeit, Handschuh und Arbeit ist der zweite Teil unbetont. Durch den schwachen Atemdruck können diese Einheiten im Dialekt, wie die Beispiele zeigen, lautlich bis zum Murmelvokal abgebaut werden. Die Karte 24 dokumentiert exemplarisch anhand von Hochzeit das Phänomen. Silbenabschwächungen sind allerdings nicht obligatorisch. Im westlichen Bereich des Hunsrücks ist mit Huchzäit usw. das Zweitglied mit vollem Vokal (Diphthong) erhalten. Ein großer Teil des Gebietes hat reduziertes Huchzet/Hochzet (seltener kommt hier ‑zit mit vollem Vokal vor). Nördlich einer Linie etwa Bernkastel-Kues – Kirchberg – Rheinböllen (mit Ausnahme der Gegend um Koblenz) verändert sich das ch in Hoch- zu ck (Huck-). Das nachfolgende Element ‑zet wird aus Gründen der Ausspracheerleichterung zu ‑set, was Huckset ergibt (seltener sind Belege mit Vollvokal: ‑sät). Nordwestlich vom Huckset-Areal erfolgt Einschub von n in ‑set, was zu Hucksent führt. Die Gründe für den n-Zuwachs sind noch nicht geklärt. (Zur Hebung von o zu u in Huch‑/Huck- vgl. Kap. 10.2.6.)
Silbenabschwächung kann sogar den völligen Verlust des Vokals zur Folge haben. Das Kompositum Handschuh lautet östlich einer Linie Kirn – Bernkastel-Kues mit Ausnahme des Moselhunsrücks zwischen Bernkastel-Kues und Cochem Hänsche, auf zwei kleineren Flächen auch Hinsche (vgl. Karte 25). Unbetontes ‑schuh ist in beiden Fällen zu ‑sche reduziert. Im übrigen Gebiet ist das e am Ende von Hänsche und Hinsche geschwunden, so dass es Hänsch bzw. Hinsch heißt. Hier ist also von ‑schuh nur noch der anlautende Konsonant ‑sch übriggeblieben. Bei Hänsch(e) ist im übrigen a (Handschuh) zu ä umgelautet, bei Hinsch(e) anschließend zu i gehoben (vgl. Kap. 10.2.6.). Der Konsonant d ist aus Gründen der Ausspracheerleichterung ausgefallen.
Silbenabschwächungen können nicht nur Wörter als Kompositumsglieder (vgl. oben Hochzeit, Handschuh) betreffen, sondern auch „normale“ Silben. Bei Arbeit beispielsweise ist ‑beit im Dialekt zu ‑wet reduziert, und zwar im gesamten Hunsrück. Die Formen lauten z. B. Arwet, Aawet und Orwet. Der Wandel von b (‑beit) zu w (‑wet) ist regelgerecht. Er tritt ein zwischen Vokalen sowie zwischen r bzw. l und Vokal, vgl. etwa Näwel ‘Nebel’, sterwe ‘sterben’ und Kälwer ‘Kälber’ (vgl. Kap. 10.3.2.1.).
Weitere Belege für Nebensilbenabschwächung sind: barwes ‘barfuß’, Backes ‘Backhaus’ und Wohret ‘Wahrheit’ mit jeweils unterschiedlicher Arealverteilung von Varianten mit reduzierter und nicht reduzierter Endsilbe. Abschwächungen bis hin zum Ausfall erfolgen nicht nur in Endsilben, auch andere unbetonte Silben können betroffen sein, vgl. beispielsweise dialektal elään, lään ‘allein’ und Abedeek, Abdeek ‘Apotheke’.