Hunsrück

0.10. Sprachlaute und Tonakzente

0.1.10.2. Vokale

0.2.10.2.7. Umlaut

Ärwet, Schiller, Äsch

Im heutigen Deutsch gibt es die vier Umlautvokale ü, ö, ä und äu, die sich aus u, o, a bzw. au entwickelt haben. Den sprachlichen Zusammenhang die­ser beiden Vokalgruppen spiegelt die Ähnlichkeit der Schriftzeichen wider. Historisch betrachtet, wird, beginnend mit a, bereits im Althochdeutschen umgelautet. Auslösender Faktor ist ein i ī oder j in der Folgesilbe, vgl. den Singular althochdeutsch gast (neuhochdeutsch Gast) mit dem Plural althochdeutsch gesti (neuhochdeutsch Gäste). Der Umlaut hat im Laufe der Zeit verschiedene (grammatische) Funktionen übernommen:

  1. bei der Unterscheidung von Singular und Plural: MutterMütter, HautHäute usw.,
  2. bei der Differenzierung von Indikativ und Konjunktiv: (wir) nahmennähmen, (wir) trugentrügen usw.,
  3. bei der Adjektivsteigerung: jungjüngerjüngst, großgrößergrößt usw.,
  4. bei der Wortbildung: HausHäuschen, ForstFörster, jungJüngling, Loblöblich usw.

Im Hunsrücker Platt sind ü, ö, äu zu i, e, äi/ai entrundet (vgl. Kap. 10.2.4.). Es heißt daher z. B. jinger ‘jünger’, greeßer ‘größer’ und Häisje/Haisje ‘Häuschen’. In etlichen Fällen weisen die Dialekte einen Umlaut auf, wo die Standardsprache einen solchen nicht hat, und zwar in den Wörtern glauben, kaufen, suchen usw. Sie lauten z. B. glääwen, kääfen und sichen (verhoch­deutscht: gläuben, käufen, süchen). Sprachgeschichtlich handelt es sich um sog. jan-Verben, eine bestimmte Klasse schwacher Verben (vgl. gotisch sōkjan ‘suchen’). Neben diesen umgelauteten Formen kommen in unserem Gebiet auch Varianten ohne Umlaut vor wie glaawen, kaafen und suchen. Die Karte 15 zeigt am Beispiel von suchen die Verteilung des umgelauteten und nicht umgelauteten Worts. Außerdem kann man sehen, dass beide Vo­kaltypen sowohl als Länge als auch als Kürze vorkommen, wobei der pho­netischen Eindeutigkeit wegen die Buchstaben für Langvokal doppelt ge­setzt sind und die für Kurzvokal in klei­nerer Schriftgröße erscheinen.


Umlaut tritt im Dialekt auch ein vor manchen wortbildenden Suffixen wie etwa ‑ig und ‑en. Das Substantiv Schuld heißt im Platt Schuld oder Schold, das Adjektiv ‘schuldig’ dagegen mit Umlaut schillig (verhoch­deutscht: schüldig). Lediglich der rheinfränkische Teil des Hunsrücks hat schullig. Analog verhalten sich Geduld und geduldig. Dieses ist als gedillig (verhochdeutscht: gedüldig) verbreitet. Zu den Substantiven Gold und Wolle gibt es die Adjektivbildungen auf ‑en golden und wollen. Beide haben im Dialekt Umlaut und erscheinen als gellen bzw. wellen (verhochdeutscht: gölden bzw. wöllen).

Im Platt fällt e am Wortende ab. Statt Katze, böse, Bäume sagt man z. B. Katz, bees, Bääm. Durch diese Sprachentwicklung wären in manchen Fällen die Singular- und die Pluralform eines Wortes zusammengefallen, z. B. bei HundHunde, SchafSchafe usw. Um den Numerus-Gegensatz auf der Lautebene aufrechtzuerhalten, tritt teilweise bei umlautfähigen Vo­kalen als Pluralmarker der Umlaut ein: HundHin, SchoofSchääf. Hin stellt insofern einen Sonderfall dar, als bei der Pluralform zusätzlich das auslautende d fehlt (= Assimilation, vgl. Kap. 10.3.6.). Außerdem zeigen Singular und Plural Tonakzentdifferenz. (Zu den Tonakzenten vgl. die Kap. 10.1. sowie 11.1.) In einigen Fällen gibt es in der Standardsprache keinen formalen Gegensatz zwischen Singular und Plural, vgl. z. B. der Wagen – die Wagen. Manche Dialekte bauen einen solchen auf, indem sie den Plural umlauten, so dass – um bei dem genannten Beispiel zu bleiben – sich der Waandie Wään (verhochdeutscht: die Wägen) gegenüberstehen.

Umlaut von a bewirken nachfolgendes r sowie sch. Wörter wie Arme, scharf, Farbe lauten im Dialekt Ärm, schärf, Färf. Diese kommen in erster Linie im Westteil der Region vor. Asche und waschen (jedoch nicht Fla­sche) werden im gesamten Hunsrück zu Äsch und wäschen verändert.

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Wörter, die im Gegensatz zum Standarddeutschen Umlaut haben. Einige von ihnen seien hier ohne nähere Erläuterung aufgezählt: Ärwet ‘Arbeit’, Fresch ‘Frosch’, erim ‘herum’, Schiller ‘Schulter’ und inner ‘unter’ (zu den beiden Letztgenannten vgl. auch Kap. 10.3.6.).

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