Hunsrück

0.11. Formenlehre

0.1.11.3. Substantiv

0.2.11.3.1. Kasusbildung

dat Housdem Haus

Im Standarddeutschen gibt es vier Kasus: 1. Nominativ (der Mann/die Frau/ das Kind), 2. Genitiv (des Mannes/der Frau/des Kindes), 3. Dativ (dem Mann/der Frau/dem Kind) und 4. Akkusativ (den Mann/die Frau/das Kind).

Im Hunsrücker Platt gibt es drei Kasus: 1. Nominativ, 2. Dativ und 3. Akkusativ. Die Formen von Nominativ und Akkusativ fallen immer zu­sammen. Der Dativ weicht ab, aber nicht durchgängig. Den Genitiv gibt es nicht. Konstruktionen wie der Hut des Vaters oder der Stiel des Hammers kommen nicht vor. Der Genitiv wird mit dem Dativ umschrieben: dem Va­ter sein Hut bzw. der Stiel vom Hammer.

Vergleichen wir im Folgenden die Formen von Nominativ/Akkusativ mit denen des Dativs im Singular und blenden die kaum interessanten Un­terschiede im Plural aus. Exemplarisch sei hier wieder der Dialekt von Beu­ren (Verbandsgemeinde Hermeskeil) herangezogen (vgl. Peetz 1989, S. 149-156). Die folgende Übersicht demonstriert anhand jeweils eines Wortbeispiels (hier in literarischer Umschrift) die vielen Möglichkeiten der Dativ-Markierung:

Nominativ/Akkusativ SingularDativ Singular Differenz Nominativ/Akkusativ – Dativ
1.plo1chplo1ch'Pflug'keine
2.ha1lshaa1ls'Hals'Vokallänge
3.bää1tbää2t'Bett'Tonakzent
4.daa1chdòò1'Tag'1. Vokal, 2. Konsonant
5.wa1ldwaa1l'Wald'1. Vokallänge, 2. Konsonant
6.höu1shau2s'Haus'1. Vokal, 2. Tonakzent
7.za1ntza2nn'Zahn'1. Konsonant, 2. Tonakzent

              Anmerkung zu den Wortbeispielen oben: Hochgestellte 1 symbolisiert               Tonakzent 1 (= Stoßton), hochgestellte 2 symbolisiert Tonakzent 2               (= Schleifton) (vgl. Kap. 10.1.).

Hier wie auch bei der noch zu behandelnden Pluralbildung bei den Substan­tiven, (vgl. Kap. 11.3.2.) zeigt das Beurener Platt die komplexen grammati­schen Verhältnisse der Westhunsrücker Dialekte. Im etwa zehn Kilometer Luftlinie entfernten Horath (Verbandsgemeinde Thalfang) sind die Möglichkeiten der Da­tiv-Markierung reduziert (vgl. Reuter 1989, S. 129-133). Nominativ/Akku­sativ und Dativ unterscheiden sich dort nicht durch Wechsel bei: 1. Vokal­länge, 2. Vokal/Konsonant sowie 3. Vokallänge/Konsonant (vgl. hierzu die Ordnungspunkte 2., 4., 5. der Übersicht auf S. 133). Zur Komplexität bei der Kasusbildung tragen generell die beiden Tonakzente bei (vgl. Kap. 10.1. und 11.1.).

Die Karte 47 dokumentiert am Beispiel von Haus, wie sich in unserem Gebiet die Nominativ/Akkusativ-Form und die Dativform des Wortes von­einander unterscheiden. Wir sehen: Im rheinfränkischen Teil ohne Tonak­zente gibt es keine formale Differenz: (das) Haus – (dem) Haus. Ebenfalls kein Unterschied ist im Tonakzentareal in einem breiten Streifen nördlich der Nahe zwischen Kirn und Birkenfeld zu verzeichnen. Hier haben die Formen den gleichen Vokal und Tonakzent: (dat) Hau2s – (dem) Hau2s. Am weitesten verbreitet ist die nur auf Tonakzentdifferenz beruhende Ka­susunterscheidung: (dat) Hau2s – (dem) Hau1s im Geltungsareal von Regel A und (dat) Hau1s – (dem) Hau2s bzw. (dat) Hou1s – (dem) Hou2s im Gel­tungsbereich der Regel B. (Zu den Regeln A und B vgl. Kap. 10.1.1.) Vor allem im westlichen Teil unseres Gebietes sowie im Rheinhunsrück wird die Kasusdifferenz doppelt ausgedrückt, und zwar durch Wechsel 1. des Vokals und 2. des Tonakzents: (dat) Hou2s – (dem) Hau1s im Falle von Regel A und (dat) Hou1s – (dem) Hau2s bei Regel B. Wir haben es hier mit einer tonakzentbedingten Vokalspaltung zu tun: ou versus au (vgl. Kap. 10.1.2.).


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