Hunsrück

0.12. Wortschatz

0.1.12.2. Entlehnungen

0.2.12.2.4. Lehnwörter aus dem Rotwelschen (Jenischen)

Ob man noch heute im Hunsrück aktive Sprecher des Rotwelschen antrifft, ist fraglich. Früher gab es sie in verschiedenen Dörfern, etwa in Damflos (Verbandsgemeinde Hermeskeil), Gonzerath (Ortsteil von Morbach), Laudert (Verbandsgemeinde Sankt Goar-Oberwesel) und Mengerschied (Verbandsgemeinde Simmern). Das Rotwelsche ist kein Dia­lekt, sondern eine Sondersprache, wenn auch auf Dialektbasis. Es wurde von Personengruppen ge­sprochen, die als Umherziehende im unters­ten Bereich der Sozialskala angesiedelt waren: Hausierer, Scherenschleifer, Lumpensammler, Landstreicher, Gauner usw. Die im Mittelalter ausgebilde­te Sprachvarietät hatte die Funktion einer Geheimsprache. Außerstehende sollten von den internen Kommunikationsvorgängen ausgeschlossen bleiben und von dem, worüber gesprochen wurde, keine Kenntnis erlangen. Es ging hauptsächlich darum, Insiderwissen, Betrugs- sowie Täuschungsabsichten usw. geheim zu halten. Ermöglicht hat das ein eigens entwickelter Wort­schatz. Das Rotwelsche hat kei­ne einheitliche Form. Es ist zum einen regio­nal und zum anderen nach dem „Metier“ der Sprachträger (Bettler, Hausie­rer, Bürstenmacher usw.) differenziert.

Das Wort rotwelsch ist zusammengesetzt: Das erste Glied rot- stammt aus dem Rotwelschen selbst und bedeutet ‘Bettler’. Das zweite Glied ‑welsch steht für ‘romanisch’, im übertragenen Sinn für ‘fremdartig, unver­ständlich’ (vgl. auch das Wort Kauderwelsch). Das Substantiv rotwalsch ist bereits im 13. Jahrhundert mit der Bedeutung ‘unverständliche Sprache der Land­streicher und Gauner‘, später auch ‘betrügerische Rede’ belegt. Neben Rot­welsch begegnet die sinngleiche Bezeichnung Jenisch. Der Ausdruck ist seit Anfang des 18. Jahrhunderts nachweisbar. Er ist etymologisch zu zigeunerisch dšan- ‘wissen’ zu stellen, dem die Adjektivendung ‑isch angefügt wurde. Jenisch ist also als ‘kluge Sprache’ oder ‘Sprache der Eingeweihten’ zu verstehen. Mit dieser Eigenbezeichnung wollten sich die Benutzer der Geheimsprache als „Gescheite“ von den „Unwissenden“ der bürgerlichen Kreise absetzen. Seine Auf­gabe, die Sprechergruppe nach außen abzugrenzen und nach innen Identität und Solidarität zu stiften, hatte das Rotwelsche durch seinen spezi­ellen Wortschatz geleistet.

Das Wortinventar des Rotwelschen als „künstlich“ geschaffener Ge­heimsprache wurde aus abge­wandelten und ungebräuchlich oder unbekannt gewordenen (Dialekt-)Wörtern zusammengestellt. Hinzu kam aus anderen Sprachen entlehntes Wortgut. Das Jiddische, das unzählige Einheiten gelie­fert hatte, wurde bereits im vorhergehenden Kapitel genannt. Es bleibt noch, das Zigeunerische (Romani) zu erwähnen. Das an der Untermosel bekannte Wort schoren ‘stehlen’ hat als rotwelsches Lehnwort ins Zigeunerische rei­chende Wurzeln, vgl. romani tšōr ‘Dieb’. Auch das Adjektiv jenisch ist zi­geune­rischen Ursprungs (s. o.).

Durch Kontakt mit dem fahrenden Volk (Hausierer, Scherenschleifer, Schausteller usw.) haben die Hunsrücker etliche rotwelsche Wörter in ihr Platt übernommen. Zu nennen sind z. B. Hauz ‘Mann, (dummer) Bauer’ (vielleicht zu böhmisch honza ‘Dummkopf’ oder huňač ‘Haariger, Zotti­ger’), Kibes ‘Kopf’ (zu dialektal Kappes ‘Kohlkopf’), Kneff ‘Junge’ (wohl zu Knabe), quant ‘schön, gut’ (zu Quantum ‘Größe, Menge’), schäften ‘eilig gehen’ (zu schaffen), Schockert ‘Kaffee’ (zu jiddisch schochor ‘schwarz’) und schoren ‘stehlen’ (s. o.).

Es gibt viele rotwelsche Wörter, die auch Eingang in die Standardspra­che gefunden haben. Dazu zählen beispielsweise Gauner, kess und neppen.

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