Hunsrück

0.10. Sprachlaute und Tonakzente

0.1.10.2. Vokale

0.2.10.2.12. Zwei historische i-Laute

Kind, Kund, Kand

In der folgenden Übersicht werden einigen standardsprachlichen Wörtern mit Stammvokal i die entsprechenden Ausdrücke aus den Ortsdialekten von Nannhausen (Verbandsgemeinde Simmern) und Weiperath (Ortsteil von Morbach) gegen­übergestellt:

StandarddeutschDialekt NannhausenDialekt Weiperath
RippeRippRipp
sitzensitzesitze
bisschenbissjebissi
KindKindKund
gepfiffengepiffgepuff
SpinneSpinnSpunn

Der Vergleich zeigt übereinstimmendes i für die Standardsprache und den Dialekt von Nannhausen bei allen Wörtern. Im Dialekt von Weiperath je­doch tritt davon abweichend bei Kind, gepfiffen und Spinne u als Stamm­vokal auf. Der Ort stellt in dieser Hinsicht keinen Einzelfall dar. Ein Blick auf die Verteilung der Dialektformen für Kind in Karte 22 belegt das. Süd­lich der Mosel zwischen Trier und Bernkastel-Kues treten flächenhaft Kund, Kond sowie Kand auf. Ansonsten ist Kind verbreitet, wobei im Südwesten und in einem kleinen Gebiet im Rheinhunsrück Senkung zu Kend erfolgt (zur Senkung vgl. Kap. 10.2.5.). Die im Kund/Kond/Kand-Areal liegenden Dialekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie in bestimmten Fällen statt i den Vokal u, o oder a aufweisen. Neben den bereits oben aufgeführten Weipe­rather Beispielen können für ‘Kind’, ‘gepfiffen’ und ‘Spinne’ folgende Pa­rallelfälle genannt werden: Kond, gepoff, Sponn für Kenn (Verbandsgemeinde Schweich) und Kand, gepaff, Spann für Heidenburg (Verbandsgemeinde Thalfang).


Die Liste mit u‑/o‑/a-Wörtern ließe sich lang fortsetzen. Hier seien nur wenige weitere Belege exemplarisch aufgezählt: Wunter/Wonter/Wanter ‘Winter’, gebuss/geboss/gebass ‘gebissen’, mut/mot/mat ‘mit’ und drun/ dron/dran ‘drin’. Das Areal mit den u‑/o‑/a-Formen ist im Hunsrück nur an­satzweise zu fassen, es setzt sich großflächig jenseits der Mosel in die Eifel (hier vorwiegend a) und dann über die Ahr hinaus fort.

Warum hat ein Teil der Dialekte durchgehend i (vgl. oben die Belege für Nannhausen), der andere aber sowohl i als auch u, o oder a (vgl. oben die Beispiele für Weiperath)? Für diese zweite Gruppe von Dialekten müs­sen sprachhistorisch zwei germanische i-Laute angesetzt werden. Der eine blieb, wenn i, ī oder j folgte, als i erhalten. Das ist der Fall bei Weiperather Ripp, sitze und bissi. Das zweite germanische i hat sich vor stimmlosen Lauten, Nasal­lauten und vor l zu u, o oder a entwickelt. Das ist der Fall bei Weiperather Kund, gepuff und Spunn. Ein Blick auf alle im Text genannten Beispielwör­ter mit u, o oder a zeigt, dass auf den Vokal immer ein Laut folgt, der zu ei­ner der aufgeführten Konsonantenklassen zählt.

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