Hunsrück

0.10. Sprachlaute und Tonakzente

0.1.10.3. Konsonanten

0.2.10.3.9. Ausfall von n vor s

uus, Fiister

In den niederdeutschen Dialekten des Mittelalters fiel s vor n aus. Wörter wie Gans, Dunst und uns wiesen Formen ohne n auf. Das Englische, das mit dem Niederdeutschen eng verwandt ist, zeigt die gleiche Entwicklung wie die Ausdrücke goose ‘Gans’, dust ‘Staub’ und us ‘uns’ belegen. Heutzutage haben die norddeutschen Dialekte nur noch eine kleine Anzahl von n‑losen Ausdrücken. Sie wurden durch die Entsprechungen mit n ersetzt. Die n‑losen Formen von uns und Gans reichten ursprünglich über das Ripuari­sche und Moselfränkische bis ins Lothringische hinein. Im Hunsrück ist heute nur noch uns ohne n als uus/oos fassbar. Der Typus uus gilt für die ge­samte Region mit Ausnahme des südöstlichen Gebiets, wo uns herrscht. Sprachgeographisch ist uus dem moselfränkischen und uns dem rheinfränki­schen Teil des Hunsrücks zuzuordnen. Bezeichnenderweise fällt die Laut­grenze fast exakt mit der Tonakzent-Isoglosse und der Linie, die (ich) sein von (ich) bin trennt, zusammen (vgl. Kap. 5 und Karte 5).

Ein weiterer Fall von n‑Schwund vor s liegt in unserem Gebiet bei dem Wort Fenster vor (vgl. Karte 33). Die n‑losen Varianten lauten Fiister, Fister, Feester und südlich der fest/fescht-Linie (vgl. Karte 30) Fiischter. Ihnen stehen mit n Finster, Fenster, Finschter und (selten) Fenschter ge­genüber. Das Areal mit n‑Ausfall bei Fenster ist um einiges kleiner als das mit n‑Ausfall bei uns (vgl. die Isoglosse uus/uns in Karte 33). Links der Mosel reichen Fiister, Fister und Feester nicht sehr weit in die Eifler Dia­lektlandschaft hinein. Diese weist hauptsächlich n‑Erhalt auf (wie auch das Niederdeutsche). Die unterschiedliche Verbreitung der n‑Tilgung bei uns und Fenster hängt möglicherweise u. a. mit der Herkunft der Wörter zu­sammen. Das Pronomen ist aus dem Germanischen ererbt, das Substantiv aus latei­nisch fenestra ‘Fenster’ entlehnt.


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