0.10. Sprachlaute und Tonakzente
0.1.10.3. Konsonanten
0.2.10.3.12. Historische Varianten II
Unsere Dialekte sind zum Teil konservativ. Sie bewahren Strukturen und Formen, die im Althochdeutschen und/oder Mittelhochdeutschen nachweisbar sind, aber in die heutige Standardsprache keinen Eingang gefunden haben. Im Folgenden gebe ich Beispiele für historische Varianten und ihre Entwicklungsergebnisse in unserem Dialektgebiet. (Vgl. auch Kap. 10.2.13.)
Zant, Zahn
Die Hunsrücker Ausdrücke für ‘Zahn’ sind einerseits Zant (mit ‑t) und andererseits Zahn (ohne ‑t). Zu dieser Form lässt sich die nur selten belegte Lautvariante Zòhn stellen. Es gibt eine klare Zweiteilung des Gebietes. Rein moselfränkischem Zant steht im rheinfränkisch-moselfränkischen Übergangsareal sowie im Rheinfränkischen Zahn gegenüber (zur Gliederung des Hunsrücker Platt vgl. Kap. 5). Die Grenze verläuft von Birkenfeld bis zum Rhein bei Oberwesel größtenteils über die Hunsrückhochfläche (vgl. Karte 35). Mit Zant konservieren die Dialekte die älteste, ursprüngliche Wortform, die als zand/zant im Althochdeutschen vorkommt. Auch andere germanische Sprachen weisen Äquivalente mit ‑d am Wortende auf, vgl. etwa schwedisch tand ‘Zahn’. Der Ausdruck Zahn ist jünger, er tritt aber als zan ebenfalls schon im Althochdeutschen auf. In der heutigen Hochsprache hat sich diese Form durchgesetzt.
Schooch, Schuck, Schuh
Den standardsprachlichen Ausdruck Schuh gibt es in gleicher Lautform auch in den Hunsrücker Dialekten. Daneben ist Schoh vertreten. In diesem Fall ist u zu o gesenkt (vgl. Kap. 10.2.5.). Bemerkenswert sind Dialektformen mit ‑ch oder ‑k im Auslaut, also Schuuch, Schuch, Schooch, Schoch sowie Schuuk, Schuck, die insgesamt einen großen Teil unseres Gebietes einnehmen (vgl. Karte 36). Die konsonantischen Differenzen zwischen den Varianten lassen sich sprachhistorisch erklären. Das Mittelhochdeutsche hat neben schuo, aus dem sich heutiges Schuh und Schoh entwickelt haben, auch die ältere Variante schuoch. Die Dialektausdrücke mit ‑ch im Auslaut setzen diese ursprüngliche Form fort.
In Teilen des Rheinfränkischen wandelt sich in manchen Fällen auslautendes ‑ch nach (historischem) Langvokal zu ‑k. Die mittelhochdeutschen Ausdrücke schuoch, hōch (‘hoch’) und vlōch (‘Floh’) werden in den Dialekten Schuck, hook und Flook. Der rheinfränkische Bereich des Hunsrücks hat dementsprechend die Variante Schuck. Ein weiteres Mal finden sich Formen mit ‑k auf kleiner Fläche im Rheinhunsrück südlich Boppard, hier auch mit Dehnung des Vokals: Schuuk.
Äischd, Eed, Eesch, Ii
Die oben in der Überschriftzeile aufgeführten Dialektausdrücke stehen für das standarddeutsche Wort Egge. Es gibt noch, wie wir gleich sehen werden, weitere sprachlandschaftliche Varianten. Die vielen Formen, deren räumliche Verteilung die Karte 37 darstellt, lassen sich zu vier Variantentypen systematisieren, wobei die Entwicklung des Konsonanten im Auslaut ausschlaggebend ist:
Typus 1: Konsonantischer Auslaut: ‑schd; Formen: Eeschd, Äischd
Typus 2: Konsonantischer Auslaut: ‑d; Form: Eed
Typus 3: Konsonantischer Auslaut: ‑sch; Formen: Eesch, Ääsch
Typus 4: Ohne konsonantischen Auslaut; Formen: Ii, Ee, Ää
Die Typen repräsentieren jeweils unterschiedliche historische Varianten. Das Wort für ‘Egge’ lautet im Mittelhochdeutschen egede. Bereits in jener Zeit bildet sich hierzu die Variante eide aus, indem das Segment ege‑ zu ei‑ kontrahiert wird. Ein solcher Lautwandel lässt sich auch für andere Wörter belegen, z. B. für Eidechse, das im Mittelhochdeutschen zum einen als egedehse und zum anderen als eidehse erscheint. Unser heutiges standardsprachliches Egge ist „moderner“. Es hat sich nicht aus einer der genannten mittelhochdeutschen. Varianten entwickelt, sondern beruht auf einer Neubildung des 13./14. Jahrhundert auf der Basis des Verbs eggen. In den Dialekten unseres Gebietes stellen sich die sprachhistorischen Verhältnisse folgendermaßen dar:
Die Typus 1 konstituierenden Ausdrücke Eeschd und Äischd sind auf mittelhochdeutsch egede zurückzuführen. In den Dialekten schwindet das e in der Wortmitte, weil es unbetont ist (vgl. Kap. 10.2.14.). Das e am Wortende fällt regelhaft ab, vgl. z. B. dialektal Schul für ʻSchuleʼ. Der Verschlusslaut g wird zu sch spirantisiert, wie das z. B. auch bei folscht ‘folgt’ der Fall ist (vgl. Kap. 10.3.2.3.).
Der Typus 2 mit der Form Eed setzt mittelhochdeutsch eide fort. Auch hier ist das End‑e im Dialekt regelhaft abgefallen. Die Varianten, die zu Typus 3 und 4 gehören, resultieren wohl aus der nachmittelhochdeutsch gebildeten Form eg(ge), die auf dem Verb eggen basiert (s. o.).
Bei Typus 3 mit den Einheiten Eesch und Ääsch wandelt sich das (nach regelhaftem e-Abfall) am Wortende stehende g zu sch wie im Falle von z. B. Dääsch ‘Teig’ (vgl. Kap. 10.3.2.2.). Es spricht einiges dafür, dass die Varianten des Typus 4, Ii, Ee und Ää, eine Weiterentwicklung der Formen des Typus 3 darstellen mit Tilgung von ‑sch im Auslaut. Möglicherweise muss ein Zwischenschritt angenommen werden, bei dem sch (ursprünglich wie ch in hochsprachlich ich ausgesprochen) zunächst zu j gewandelt und erst dann getilgt wurde.
Heef/Hiip
Im Mittelhochdeutschen gibt es für ‘Hefe’ die beiden Varianten hefe und hebe. In der heutigen Standardsprache hat sich die Form mit f durchgesetzt. In den Dialekten unseres Gebietes jedoch kommen in einer klaren räumlichen Zweiteilung Nachfolger sowohl der einen als auch der anderen historischen Ausgangsform vor (vgl. Karte 38). Die Grenze zwischen den Typen Hefe und Hebe hat einen ähnlichen Verlauf wie die bei Zant/Zahn (vgl. Karte 35). Hefe mit den Dialektvarianten Heef sowie Heeaf (im Südwesten) tritt im rein moselfränkischen Teilareal auf, Hebe mit den Dialektformen Hiip und (selten) Heep hingegen in der moselfränkisch-rheinfränkischen Übergangszone sowie im Rheinfränkischen (zur Gliederung des Hunsrücker Platt vgl. Kap. 5). Der Vokal i in Hiip resultiert aus der Hebung von e (vgl. Kap. 10.2.6.). Etymologisch ist Hefe, was bei Hebe klarer zutage tritt, mit heben verwandt und als ‘die Hebende’ zu verstehen. Als Backtriebmittel „hebt“ die Hefe den Teig.