Der alte jüdische Friedhof in Worms
Andreasring 21
Der alte jüdische Friedhof in Worms gilt als der älteste erhaltene Friedhof seiner Art in Europa. Der älteste noch erhaltene Grabstein ist der des Jakob ha-bachur und datiert auf das Jahr 1076/77.[Anm. 1] Das Areal wird auch „Heiliger Sand“ genannt, da es nach einer Legende mit Sand aus dem Heiligen Land angelegt wurde. Wahrscheinlicher ist jedoch die Nutzung des Areals als Sandgrube für den Bau der Stadtmauer und der ottonischen Kirche. Danach wurde der Platz der jüdischen Gemeinde zur Anlegung ihres Friedhofs überlassen.[Anm. 2]
Lage, Geschichte und Baubestand
Der Friedhof befindet sich südwestlich der Altstadt, außerhalb der inneren Stadtmauer der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Die heutige Adresse lautet Andreasring 21. Der Friedhof erstreckt sich heute über 16.127 qm und weist noch 2000 in situ aufrecht stehende Grabsteine auf.[Anm. 3] Im Vergleich zur jüdischen Population der Stadt Worms und der zeitweiligen Nutzung des Friedhof als Bezirksfriedhof des Umlandes ist diese Anzahl an Grabsteinen nur ein kleiner Teil des geschätzten Gesamtbestandes.[Anm. 4] Die Verzeichnung der Grabinschriften um das Jahr 1900 durch Samson Rothschild, Hauptlehrer, Gemeindesekretär und Ehrenarchivar der jüdischen Gemeinde, sowie durch Oberkantor Julius Rosenthal stellt sich als eine wichtige Quelle über den Baubestand des Friedhofes zu jener Zeit dar.[Anm. 5]
Der früheste Beleg für das Bestehen einer jüdischen Gemeinde in Worms ist die Bauinschrift der Synagoge von 1034.[Anm. 6] In dieser Zeit ist wohl auch der Friedhof entstanden. Die ältesten Gräber befinden sich im Süden des Friedhofes, in dem sich auch das sogenannten „Tal der Rabbiner“ befindet. Dort sind einige bedeutende Grabstätten zu finden, auf die im Verlauf dieses Textes noch näher eingegangen wird.[Anm. 7] 1260/1278 wurde der Friedhof im Norden erweitert, wobei auch die nördliche Friedhofsmauer erneuert wurde. In den Baumaßnahmen sah die Bürgerschaft von Worms einen feindlichen Akt und sie drohte den Friedhof zu schleifen. Dies konnte nur durch eine Zahlung von 400 Pfund Heller durch die jüdische Bevölkerung verhindert werden.[Anm. 8] Diese Verwüstungen waren leider nicht die einzigen während des Bestehens des Friedhofes. Diesem Thema wird sich im nächsten Kapitel gewidmet.
Um 1625 wurde die Friedhofsmauer erneuert, der Vorhof neugestaltet, ein Brunnen zur rituellen Reinigung errichtet, ein Totenhäuschen erbaut und eine steinerne Tafel mit dem Totengebet am inneren Eingang angebracht.[Anm. 9] Eine Westerweiterung des Friedhofs wurde nach der Stadtzerstörung 1689 im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges möglich, da die Stadt den ehemaligen, äußeren Stadtwall im Westen aufgab und die jüdische Gemeinde jenes Gebiet zur Erweiterung des Friedhofs nutzen durfte.[Anm. 10] 1911 wurde ein neuer jüdischer Friedhof beim Wormser Hauptfriedhof an der Hochheimer Höhe angelegt. Im Zuge dessen fanden auf dem alten Friedhof nur noch wenige Bestattungen statt, ab den 1930er Jahren stoppten diese - aufgrund der Verfolgungen der Nationalsozialisten und dem daraus entstehenden Ende der jüdischen Gemeinde in Worms - ganz.[Anm. 11]
Die meisten Grabinschriften sind in hebräischer Sprache verfasst. Erst im 19. Jahrhundert kam die Sitte auf, eine zweite Inschrift in der jeweiligen Landessprache anzubringen. Auffallend ist, dass die übliche Ausrichtung der Gräber nach Osten – genauer nach Jerusalem – auf dem Wormser Friedhof nicht zu finden ist. Die Gräber hier sind nahezu alle nach Süden ausgerichtet.[Anm. 12] Der Grund für diese Ausrichtung wurde bisher noch nicht abschließend geklärt. Fritz Reuter beruft sich auch eine frühere Überlegung von Otto Böcher, in der dieser die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die früh auf dem Friedhof Bestatteten - welche alle italisch klingende Namen hatten - mit Blick nach Süden in Richtung ihrer Heimat beerdigt wurden.[Anm. 13] Diese Anordnung der Gräber wurde dann scheinbar in späterer Zeit einfach beibehalten.
Während die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gräber als eine der wenigen aus jener Zeit erhaltenen die strengen jüdischen Grabsitten unverfälscht erkennen lassen, sind die Gräber im westlich erweiterten Teil aus dem 18. und 19. Jahrhundert stark den deutschen Grabbausitten auf christlichen Friedhöfen jener Zeit angepasst. Da jene Grabdenkmäler auf christlichen Friedhöfen allmählich durch moderne ausgetauscht wurden oder ganz verschwanden, auf jüdischen Friedhöfen aber keine Gräber aufgelöst oder verändert werden dürfen, ist in diesem Westteil des Friedhofs ein typischer Friedhof des 19. und 20. Jahrhunderts erhalten.[Anm. 14]
Zerstörungen auf dem Friedhofsareal
Im Laufe des Bestehens des jüdischen Friedhofes kam es leider immer wieder zu Zerstörungen durch Schändungen und Vandalismus an den Besitzungen der jüdischen Gemeinde in Worms und somit auch auf dem Friedhof. Im Folgenden werden einige Beispiele dieser Zerstörungen aufgeführt.
1096 wurden die jüdischen Gemeinden in Mainz und Worms im Zuge des 1. Kreuzzuges durch Pogrome nahezu ausgelöscht. Wahrscheinlich wurde dabei auch der Friedhof geschändet.[Anm. 15]
Am 1. März 1349 kam es in Worms zu einem Pogrom an der jüdischen Stadtbevölkerung durch die Bewohner Worms´. Die Synagoge und die Gebäude der Judengasse wurden in Brand gesteckt und ungefähr 400 Menschen jüdischen Glaubens getötet. Die genauen Gründe für dieses Pogrom sind schwer nachzuvollziehen. Wahrscheinlich musste die jüdische Bevölkerung der Stadt als Sündenbock für die Pest herhalten, die in jener Zeit in der Region grassierte.[Anm. 16]
1519 wurde ein Verteidigungsgang vom Stadtgraben zum äußeren Wall angelegt. Als Bausteine dienten unter anderem Grabsteine mit hebräischer Inschrift, die scheinbar aus dem jüdischen Friedhof entwendet wurden.[Anm. 17] Als die Steine im 19. Jahrhundert wieder entdeckt wurden, wurden sie geborgen und in die Nordwestseite der Friedhofsumfassungsmauer eingearbeitet.[Anm. 18]
Während des Bürgeraufstandes 1615 kam es ebenfalls zu Übergriffen auf jüdische Besitzungen. So wurden die Juden zwischenzeitlich auf die andere Rheinseite vertrieben und die Judengasse erneut verwüstet.[Anm. 19] 1620, beim Schanzenbau zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, wurden jüdische Grabsteine als Baumaterial entwendet.[Anm. 20]
Überraschenderweise blieb der Friedhof während des NS-Regimes – außer durch den Schaden einiger Sprengbomben – von großflächigen Schändungen oder Vandalismus verschont.[Anm. 21] Dr. Friedrich M. Illert, Stadtarchivar und Denkmalpfleger aus Worms, sah in dem Friedhof ein Stück schützenswerte Geschichte und schaffte es, die für 1941 geplante Abräumung und Überbauung des Areals so zu verzögern, dass sie schließlich gar nicht stattfand.[Anm. 22]
All diese Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof trugen natürlich zur Reduktion des heutigen Gesamtbestandes der jüdischen Grabsteine bei.
Bedeutende Grabstätten
Auf dem Friedhof sind einige berühmte Rabbiner und andere bekannte Persönlichkeiten jüdischen Glaubens begraben, die auch heute noch im Judentum verehrt werden. Darum ist der Friedhof auch heute noch ein oft besuchter, lebendiger Ort des Judentums.[Anm. 23] Diese bedeutenden Grabstätten liegen fast alle im südlichen und ältesten Teil des Friedhofes, dem sogenannten „Tal der Rabbiner“.[Anm. 24] Im Folgenden seien einige bedeutende Grabstätten genannt:
Rabbi Meir ben Baruch von Rothenburg, genannt Maharam und Alexander ben Salomon Wimpfen Süßkind, einer seiner Schüler sind als einzige der hier aufgeführten Beispiele nicht im „Tal der Rabbiner“ begraben, sondern in der Nähe des Eingangs.[Anm. 25] Maharam wurde um 1220 in Worms geboren. Er wirkte in Mainz und Rothenburg als Rabbiner und Talmudist und seine Schriften sind auch heute noch im Judentum verbreitet. Weil man ihn als Urheber einer nicht vom Kaiser autorisierten Auswanderung einer Gruppe von Menschen jüdischen Glaubens ins Heilige Land ansah, wurde er verhaftet und ins Gefängnis von Ensisheim überführt. Dort starb er 1293.[Anm. 26] Sein Schüler Alexander ben Salomon Wimpfen Süßkind löste den Leichnam Maharams aus und ließ ihn nach dessen Wunsch auf dem Friedhof in Worms bestatten. Alexander ben Salomon selbst starb 1308 und wurde neben seinem Lehrer beigesetzt.[Anm. 27]
Rabbi Jakob Molin, genannt Maharil, war ein bedeutender Mainzer Rabbi. Er starb 1427. Maharil war mit der Südung der Grabsteine auf dem Wormser Friedhof nicht einverstanden und bestand auf einer Ausrichtung seines Grabsteines in Richtung Jerusalem. Sein Grabstein ist somit der einzige mit Ostausrichtung und steht im „Tal der Rabbiner“ knapp unterhalb des ehemaligen äußeren Walles. Eventuell ist jene Geschichte aber auch nur eine Legende, mit der man eine Umstellung des Steines während Renovierungsarbeiten am Wall begründete.[Anm. 28]
Rabbi Elia Loanz, genannt Baal-schem war ein bekannter Kabbalist und Verfasser zahlreicher Schriften. Er starb 1636 und wurde auf dem Friedhof in Worms bestattet.
Rabbi Simson Bacharach lebte von 1697-1670 und war vermutlich der Urenkel des bekannten Prager Rabbis Löw. Außerdem war er Verfasser mehrerer Schriften. Auch er ist auf dem Friedhof in Worms beigesetzt.
Rabbi Jait Chajim Bararach und seine Ehefrau Sarlan wurden auch hier bestattet. Der Rabbi lebte von 1628-1702 und betreute die jüdische Gemeinde in Worms während der schwierigen Zeit des Pfälzer Erbfolgekrieges und der Stadtzerstörung von Worms 1689. In dieser Zeit verfasste er außerdem einige wissenschaftliche Werke. Seine Ehefrau starb 1703.
Rabbi Naphtali Hirsch Spitz war ein Verfasser theologischer Schriften. Er starb 1712 und wurde auf dem Friedhof in Worms beerdigt.
Isaak Adler war Gelehrter und der Großvater von Felix Adler, der in New York als Philosoph und Philanthrop bekannt wurde. Isaak Adler starb 1823 und wurde auf dem Friedhof in Worms beigesetzt.[Anm. 29]
Nachweise
Verfasser: Lutz Luckhaupt
Verwendete Literatur:
- Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 10: Stadt Worms. Bearb. v. Irene Spille. Worms 1992.
- Reuter, Fritz: Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Womrs. Worms 1984.
- Reuter, Fritz: Warmaisa-Das jüdische Worms. Von den Anfängen bis zum jüdischen Museum des Isidor Kiefer (1924). In: Gerold Bönnen (Hrsg.): Geschichte der Stadt Worms. Darmstadt ²2015, S. 664-690.
Erstellt am: 09.02.2017
Anmerkungen:
- Reuter, Fritz: Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms. Worms 1984, S. 30. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 10: Stadt Worms. Bearb. v. Irene Spille. Worms 1992., S. 176. Siehe auch Reuter 1984, S. 29-30. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 176. Zurück
- Reuter, Fritz: Warmaisa-Das jüdische Worms. Von den Anfängen bis zum jüdischen Museum des Isidor Kiefer (1924). In: Gerold Bönnen (Hrsg.): Geschichte der Stadt Worms. Darmstadt ²2015, S. 664-690., hier S. 666. Zurück
- Ebd., S. 690. Zurück
- Ebd., S. 664. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 176. Zurück
- Reuter 1984, S. 44. Siehe auch Reuter 2015, S. 666. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 178. Zurück
- Reuter 2015, S. 685. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 176. Zurück
- Ebd., S. 176 und 178. Zurück
- Reuter 1984, S. 30. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 176 und 178. Zurück
- Reuter 2015, S. 669. Zurück
- Ebd., S. 670. Zurück
- Ebd., S. 666. Zurück
- Reuter 1984, S. 49. Zurück
- Reuter 2015, S. 666 und 677. Zurück
- Ebd., S. 666. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 176. Zurück
- Reuter 1984, S. 198-199. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 178. Zurück
- Siehe dazu Reuter 2015, S. 684, Karte 18. Zurück
- Ebd. Zurück
- Landesamt für Denkmalpflege, S. 178. Siehe auch Reuter 1984, S. 44-47. Zurück
- Reuter 2015, S. 669. Zurück
- Reuter 1984, S. 49-50. Zurück
- Für alle genannten Grabstätten siehe Landesamt für Denkmalpflege, S. 178. Zurück