10. Die Bedeutung der Besatzung für Worms sowie für Deutschland und Frankreich
Welche bleibenden Auswirkungen hatte die französische Besatzungszeit für Worms und die beiden Nachbarländer? In Worms dauerten die ökonomischen und mentalen Nachwirkungen der Besatzungszeit noch lange an.[Anm. 1] Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen und politische Radikalisierung waren Konstanten der Wormser Entwicklung über die schwierigsten Phasen der Besatzungszeit hinaus, obwohl Ende 1924 die Ausweisungen zurückgenommen wurden und die Reichsbahn den Verkehr in den besetzten Gebieten wieder übernahm. Die lange und z. T. harte Besatzungsrealität, besonders während der Ruhrkrise, führte unweigerlich zu einem Ansteigen eines ausgeprägten Nationalismus in Worms und Rheinhessen.[Anm. 2] Die Entstehung der ersten rheinhessischen Ortsgruppe der NSDAP in Worms im Herbst 1922 ist sicherlich kein Zufall. Der Vorwurf, zur Zeit der Rheinlandbesetzung ein Separatist gewesen zu sein, wurde von den Nationalsozialisten zur Ausgrenzung von Gegnern genutzt.[Anm. 3]
Das Jahr 1923 stellte Deutschland und die Reichsregierung während der Hochphase der Inflation auch vor die Frage, ob das Rheinland auf Kosten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des ganzen Landes gerettet werden sollte. Für Frankreich war die Besetzung des Rhein- und Ruhrgebiets gekoppelt an die Reparationsleistungen Deutschlands. Die gewaltigen Verwüstungen, die durch die deutschen Besatzungstruppen während des Krieges in Belgien und Frankreich angerichtet wurden, rechtfertigten bis zu einem gewissen Grad diese Forderungen der Siegermächte. Gerd Krumeich vergleicht die extreme Härte der Auseinandersetzung während der „Friedensbesetzung“ des Ruhrgebiets 1923 mit der Kriegsbesetzung Belgiens und Nordfrankreichs durch deutsche Truppen zwischen 1914 und 1918. Die Härte des „Ruhrkampfs“ sei so zu erklären.[Anm. 4] Die Brutalität der Zerstörungen der französischen und belgischen Landesteile drang allerdings kaum ins deutsche Bewusstsein. Durch die deutsche Propaganda während des Krieges und die „Dolchstoßlegende“ sowie durch die deutsche Fokussierung auf die Inflation und die Wirtschaftskrise nahm man dieses Phänomen nicht wirklich wahr.[Anm. 5] Der französische Historiker Jean-Jacques Becker geht auf das Ziel der französischen Militärkreise um Marschall Foch ein, nach dem Sieg 1918 „das Werk Bismarcks zu zerstören und Deutschland wieder in seine Einzelteile zu zerlegen.“[Anm. 6] Foch und dessen Berater General Weygand schlugen im Juni 1919 etwa „getrennte Verhandlungen mit den Herrschern in Baden, Württemberg und Bayern vor, mit dem Ziel, Süddeutschland von dem Rest des Landes zu trennen.“[Anm. 7] Das Ansinnen der französischen Generäle scheiterte am Primat der Politik. Clemenceau kannte die angloamerikanische Ablehnung dieser Position des Militärs und handelte danach. Der Wille zur Zerstörung des Deutschen Reichs trug neben „anderen […] Demütigungen [Deutschlands] zur Entstehung von Revancheabsichten bei.“ Die Zerstörung gelang nicht und so konstatiert Becker in einem Teil der französischen öffentlichen Meinung in der Phase nach „Versailles“ das Gefühl, dass die Opfer des Krieges umsonst gewesen seien. Diese Mentalität war Ausdruck einer Krise, die schon auf die Niederlage Frankreichs gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland im Jahr 1940 hinwies.[Anm. 8]
Anmerkungen:
- Vgl. Bönnen, Von der Blüte in den Abgrund, S. 558-581. Zurück
- Hierzu ausführlich: Würz, Kampfzeit unter französischen Bajonetten (2012), S. 100-112. Zurück
- Ebd., S. 239. Zurück
- Krumeich, Der „Ruhrkampf“ als Krieg, S. 9-24, hier: S. 9ff. Zurück
- Ebd., S. 17f. Zurück
- Becker, Frankreich und der gescheiterte Versuch, das Deutsche Reich zu zerstören (2004), S. 65-70, hier: S. 66. Zurück
- Ebd., S. 67. Es ist ungewöhnlich, dass Foch im Juni 1919 in Bezug auf die deutschen Länder von „Herrschern“ spricht. Dies beruht vermutlich auf einer ungenauen Übersetzung aus dem Französischen. Zurück
- Ebd., S. 70. Zurück