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Dialektgrenzen
Die in vor- und frühmittelalterlicher Zeit auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands siedelnden germanischen Stammesverbände waren die Nordseegermanen (Ingwäonen) mit den Stämmen der Friesen, Angeln und Sachsen, die Weser-Rhein-Germanen (Istwäonen) mit den Franken und Hessen sowie die Elbgermanen (Irminonen) mit den Schwaben, Alemannen, Baiern und Thüringern. Die Siedlungsräume der Stämme waren über die Zeiten nicht dieselben. Im Zuge der Völkerwanderung kam es zu erheblichen Verschiebungen. Man hat die drei germanischen Zweige mit den drei Sprachräumen Niederdeutsch, Mitteldeutsch und Oberdeutsch in Verbindung gebracht. Auf der Grundlage der heutigen Dialektgrenzen ist es kaum möglich, die alten Siedlungsgebiete der germanischen Stämme zu erschließen. Die modernen Dialektscheiden resultieren aus Entwicklungen, die auf Sprach- und Sprecherbewegungen beruhen. Migration (aus politischen, wirtschaftlichen, religiösen Gründen) hat es im Laufe der deutschen Geschichte stets gegeben. Man denke etwa an die Kolonisation der Gebiete östliche der Saale und Elbe im Mittelalter (sog. deutsche Ostkolonisation). Da dort Siedler aus nieder-, mittel- und oberdeutschem Sprachraum zusammentrafen, entwickelten sich in den Einwanderungsgebieten Ausgleichs- und Mischdialekte. Ein weiteres Beispiel: Am Niederrhein südlich von Kleve haben sich 1741 nach Nordamerika aufbrechende Auswanderer aus der Gegend von Simmern – Kreuznach niedergelassen, nachdem infolge politisch bedingter Reiseverzögerungen ihre finanziellen Mittel aufgebraucht waren und die wirtschaftlich und religiös motivierte Emigration (über die Niederlande) nicht wie vorgesehen fortgesetzt werden konnte. Der rheinfränkische Dialekt der Neusiedler blieb in der Folgezeit nicht ganz unbeeinflusst von den niederdeutschen Nachbardialekten.
Sprachgrenzen können determiniert sein durch die naturräumliche Struktur. Gebirge, Täler, Ebenen, Sumpf- und Waldgebiete, Flüsse, Seen usw. prägen den Verlauf von Verkehrswegen. Auf diesen werden nicht nur Wirtschaftsgüter wie Nahrungsmittel, Rohstoffe und Werkzeuge transportiert, sondern zugleich auch sprachliches Gut. Sprachliche Neuerungen bewegen sich entlang von Landwegen und Wasserstraßen. Die verkehrsfernen Gebiete bleiben davon unberührt. Es lässt sich – um ein Beispiel zu nennen – vielfach belegen, dass links und rechts entlang des Rheins Neuerungen mit Stoßrichtung von Süd nach Nord keilförmig vordringen, wohingegen das „Hinterland“ seine alten Formen bewahrt. Flüsse bilden also keineswegs, wie man annehmen könnte, Dialektgrenzen. Verkehr und Wirtschaft (Handel, Erwerbsarbeit usw.) führen Menschen aus verschiedenen Dialektlandschaften zusammen mit der Folge gegenseitiger sprachlicher Beeinflussung. Abseits der Verkehrs- und Wirtschaftsräume, wo die naturräumlichen Gegebenheiten (Berge, Wälder usw.) den zwischenmenschlichen Kontakt hemmen, ist der sprachliche Austausch eingeschränkt.
Richtung und Intensität des Verkehrs sind nicht nur durch die Struktur des Naturraums geprägt. Auch vom Menschen geschaffene Grenzen spielen eine wichtige Rolle. Die Dialektlandschaften lassen sich mit den im Spätmittelalter gebildeten Territorien, die bis um 1800 Bestand hatten, in Verbindung bringen. Territorialgrenzen, die zugleich häufig die Konfessionen trennten, Herrschafts- Verwaltungs- und Gerichtsgrenzen haben Sprachgrenzen ausgebildet. Die dialektale Vielfalt im Westen und Südwesten Deutschlands spiegelt die ehemalige politische Zerrissenheit des Gebiets wider. Das Untersuchungsareal dieses Atlasses war hauptsächlich bestimmt durch die Territorien Kurtrier, Kurmainz und Pfalz.
Neben den soeben behandelten sog. äußeren Faktoren sind auch innere Faktoren für das Entstehen von Dialektgrenzen verantwortlich. In diesem Fall beruhen dialektale Unterschiede nicht auf sprachexternen Effekten, sondern sie resultieren aus sprachinternem Wandel, d. h. der Dialekt verändert sich sozusagen aus sich selbst heraus. Solch eine intern bedingte Änderung kann verschiedene, im Nachhinein häufig nicht mehr zu ergründende Ursachen haben. Dazu zählt beispielsweise Sprachökonomie, die – kurz gesagt – auf die „Vereinfachung“ von Sprache abzielt. Aus Gründen bequemerer Aussprache oder der Bereinigung komplexer grammatischer Strukturen usw. vollziehen sich in einer Sprachgemeinschaft unbewusst Änderungen im Sprachgebrauch, die schließlich im Sprachsystem fest verankert werden. Mitunter bringt eine Neuerung das System derart ins „Ungleichgewicht“, dass weitere Verschiebungen oder Ergänzungen nachfolgen, damit die Funktionsfähigkeit der Sprache bewahrt bleibt.
Literaturverzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).
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Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.
Zitierhinweis
[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.
z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.