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Flügel
Die Dialektausdrücke Flüjel, Flijel, Fliil, Fliggel sowie Flichel gehen auf mittelhochdeutsch vlügel zurück; sie korrespondieren somit mit neuhochdeutsch standardsprachlich Flügel. (Die kleinere Buchstabengröße von i und ü in den [...] Belegen zeigt an, dass die Laute kurz gesprochen werden.) Die Formenvielfalt ist das Resultat verschiedener Lautveränderungen. Dialekte, die mittelhochdeutsch ü zu i entwickelt haben, weisen Varianten mit i auf, z. B. Fliil, Fliggel. Der Wandel von mittelhochdeutsch ü zu i und partiell weiter zu e sowie von mittelhochdeutsch ö zu e und partiell weiter zu i hat im größten Teil unseres Gebietes stattgefunden, vgl. z. B. Schlissel, Schlessel ‘Schlüssel’ und Fleh, Flih ‘Flöhe’. Lediglich nördlich einer Linie etwa Prüm – Daun – Mayen – Koblenz bleiben ü und ö bewahrt. Im Nordwesten heißt es deshalb Flüjel. In vielen Fällen wird g zu j (z. B. Flijel) oder zu ch (Flichel) oder es fällt völlig aus (Fliil). Solche Entwicklungen von zwischen Vokalen (Selbstlauten) stehendem g sind in den Dialekten weit verbreitet, vgl. hierzu die Karte 18 Vogel.
Die anderen in der Karte verzeichneten Wörter lassen sich sprachhistorisch nicht eindeutig bestimmen. Die Ausdrücke Flinnik, Flinik, Flinnek scheinen lautliche Varianten einer Wortbildung zu sein, die, ins Standarddeutsche übertragen, Flügeling lauten müsste. Die Belege Fliit, Flut, Flutsch, Flitsch, Fliicht usw. könnten in Zusammenhang mit mittelhochdeutsch vletach oder flottichen, vlöudern stehen. Das Substantiv (Hauptwort) vletach ist eine Nebenform zu vetach mit den Varianten vetech, vitich – neuhochdeutsch Fittich. Die mittelhochdeutschen Verben (Zeitwörter) flottichen und vlöudern bedeuten ‘flattern’. Möglicherweise wurden auf der Grundlage der Verben Substantive mit der Bedeutung ‘Flügel’ gebildet.
Die Fliit-Belege südlich von Trier müssen wohl eher dem Flichte- als dem Flitte-Gebiet zugeordnet werden. Für diese Klassifikation spricht die Tatsache, dass die Fliit-Fläche in das Areal fällt, in dem ch vor t ausfällt, vgl. z. B. (er) määt ‘(er) macht’ (Karte 46), Nòòt ‘Nacht’ usw.
Die mit der Standardsprache korrespondierenden pfälzischen und rheinhessischen Varianten Fliil, Flichel und Fliggel sind auf Kosten von Flitt, Flitsch und Fliddich auf dem Vormarsch. Wie das Pfälzische Wörterbuch (Bd. II, Karte 134, Sp. 1463–1464) für die Pfalz belegt, verlief im Jahr 1927 die Grenze des Flichel/Fliil-Gebietes von westlich Bad Bergzabern über Pirmasens, Kaiserslautern bis Kirchheimbolanden. Die auf den Mittelrheinischen Sprachatlas-Erhebungen um 1983 basierende Karte dieses Atlasses zeigt, dass die Grenze heute weiter westlich verläuft. In der Südwestpfalz lassen sich nur noch vereinzelt Flitsch-Belege finden. Auch im Moselfränkischen tauchen punktuell, vor allem um Birkenfeld, Flügel-Varianten auf.
Literaturverzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).
Hinweise zu den Karten
Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.
Zitierhinweis
[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.
z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.