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Karte 41: schreiben. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 100.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Die Endung ‑en bei Verben (Zeitwörtern) kann in der neuhochdeutschen Standardsprache drei grammatische Funktionen haben. Sie bezeichnet 1. den Infinitiv (Grundform) (z. B. rufen), 2. die 1. Person Plural (Mehrzahl) (wir rufen/riefen) und 3. die 3. Person Plural (sie rufen/riefen). Darüber hinaus erscheint ‑en zusammen mit der Vorsilbe ge‑ beim Partizip II (Mittelwort der Vergangenheit) der starken (unregelmäßigen) Verben (gerufen).

In vielen moselfränkischen Dialekten unseres Gebietes (und darüber hinaus) ist ein interessantes sprachliches Phänomen zu beobachten. Die Endung ‑en eines im Satzzusammenhang gebrauchten Verbs variiert je nach Anfangslaut des nachfolgenden Wortes. Wenn das Folgewort mit einem Vokal (Selbstlaut), h, d, t oder z beginnt, bleibt ‑n in der Endung des vorangehenden Verbs erhalten. In allen anderen Fällen wird ‑n abgestoßen, und als Endung bleibt ‑e. In einem Satz wie z. B. Wir schreiben dir folgt auf das Verb schreiben ein Wort mit d am Anfang, also bleibt in der Verbendung ‑n erhalten, und es heißt dann im Dialekt etwa Mä schräiwen. In dem Satz Wir schreiben bald hingegen folgt auf schreiben ein mit b beginnendes Wort, so dass ‑n getilgt wird. Das Ergebnis ist: Mä schräiwe_ baal (der Strich nach dem ‑e kennzeichnet den ‑n‑Abfall). (Zu der Entwicklung von b zu wschreiben/schreiwen – vgl. die Karte 19 geben.)

Für diese Gesetzmäßigkeit hat sich in der Dialektologie die Bezeichnung Eifler Regel eingebürgert. (Die Bezeichnung ist nicht angemessen, da der Geltungsbereich der Regel keineswegs nur auf die Eifel beschränkt ist, wie man sieht.) Die Karte basiert auf den vom Mittelrheinischen Sprachatlas in den Dialekten abgefragten Sätzen Wir schreiben dir und Wir schreiben bald. Sie zeigt, dass die Eifler Regel mit Ausnahmen westlich einer Linie Saarlouis – Koblenz gilt.

Die Eifler Regel wird hier anhand eines Verbs (schreiben) dargestellt. Sie gilt jedoch auch für die Endung ‑en bei anderen Wortarten, z. B. Adjektiven (Eigenschaftswörtern) sowie für verschiedene Fälle, in denen ‑n nach bestimmten anderen Vokalen steht. Dialektbeispiele: dem aalen Iäsel ‘dem alten Esel’, aber: dem aale_ Maan ‘dem alten Mann’; säin Hous ‘sein Haus’, aber: säi_ Broder ‘sein Bruder’.

Außerhalb des Geltungsbereichs der Eifler Regel hat der lautliche Zusammenhang keinen Einfluss auf die Verbendung, die stets gleich bleibt. Es heißt also z. B.: Mä schraiwe_ dä und Mä schraiwe_ ball oder Mä schraiwen und Mä schraiwen ball.

Bemerkenswert ist, dass im Südwesten unseres Dialektraums die Endung ‑en vollständig erhalten bleibt (mä schraiwen), wohingegen beim Infinitiv nach einer allgemeinen Regel ‑n wegfällt. Der Infinitiv heißt also schraiwe_ analog zu Owwe ‘Ofen’, Sache (Plural) ‘Sachen’, beese Huschde ‘bösen Husten’ usw. Wie ist es zu erklären, dass lediglich der Infinitiv der allgemeinen Regel folgt, nicht aber die 1. sowie die 2. und die 3. Person Plural, denn auch diese haben ‑en (ihr schraiwen/ se schraiwen)? Um die Frage zu beantworten, muss ein Blick in die Sprachgeschichte geworfen werden. Im Mittelhochdeutschen haben der Infinitiv sowie die 1. Person Plural die Endung ‑en. Die 2. Person Plural endet auf ‑et und die 3. Person Plural auf ‑ent. Zur Veranschaulichung diene das folgende Beispiel der Flexion (Beugung) von mittelhochdeutsch schrîben (neuhochdeutsch schreiben). Neben dem Infinitiv sind die Formen für die 1.-3. Person Plural im Präsens (Gegenwart) angegeben.

Infinitiv                      schrîben

1. Person Plural        (wir) schrîben

2. Person Plural        (ir) schrîbet

3. Person Plural        (si) schrîbent

Es wird angenommen, dass in dem Dialektareal mit unterschiedlichen Endungen für den Infinitiv einerseits und die Pluralformen andererseits die Endung der 3. Person ‑ent auf die 1. und die 2. Person Plural überging. Da nur ein am Ende des Wortes stehendes ‑n abfallen konnte, war in diesem Falle Tilgung nicht möglich; das n- war gewissermaßen durch das nachfolgende ‑t geschützt. Als im Laufe der Sprachentwicklung ‑t weggefallen war und ‑n in die Letztposition rückte, wurde dieses nicht beseitigt, da die sprachgeschichtliche Phase der ‑n-Tilgung bereits abgeschlossen war. (Vgl. hierzu auch Karte 48 kommt.)

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.