Rheinhessen

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Bruder

Karte 10: Bruder. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 38.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Am Beispiel des Wortes Bruder dokumentiert die Karte eine bemerkenswerte Lautentwicklung. Östlich einer Linie (grob beschrieben) Saarbrücken – Bernkastel-Kues – Koblenz erscheint Bruder überwiegend als Brurer. Das Brurer-Areal setzt sich rechtsrheinisch weit in das Hessische fort und bildet eine große Insel im ihn umgebenden Bruder-Gebiet. (Darüber hinaus findet sich Brurer im östlichen Niederdeutschen.) Der Lautwandel von d zu r, den der Sprachwissenschaftler als Rhotazismus (nach dem griechischen Buchstaben Rho für r) bezeichnet, tritt dann ein, wenn der Konsonant (Mitlaut) d oder t, der allerdings in den Dialekten zu d wird (vgl. z. B. Blädder ‘Blätter’, Zaide ‘Zeiten’), zwischen Vokalen (Selbstlauten) steht. Als Beispiele neben Brurer seien genannt: Blärrer ‘Blätter’, Zaire ‘Zeiten’, Klärer ‘Kleider’ sowie lare ‘laden’. Die auffälligen, als tief dialektal geltenden Formen mit r werden bei jüngeren Dialektsprechern zunehmend durch solche mit d ersetzt.

Wie ist aus d ein r entstanden? Die Entwicklung erfolgte über einen Zwischenschritt. Zunächst wurde aus d ein Laut, der eine Zwischenstellung zwischen d und Zungenspitzen-r („gerolltes“ r) einnimmt und in der Aussprache in etwa dem englischen stimmhaften th ähnelt, wie es z. B. in father ‘Vater’ realisiert wird. Dieser „Zwischenlaut“ lässt sich mit keinem Buchstaben unseres Alphabets wiedergeben. Sprachwissenschaftler verwenden für diesen Konsonanten das Zeichen đ. Noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist der đ-Laut mancherorts in der Pfalz von Dialektforschern erhoben worden. In einem weiteren Entwicklungsschritt wurde đ durch das im Mundraum am gleichen Ort, nämlich an den oberen Schneidezähnen gebildete und ähnlich klingende Zungenspitzen-r ersetzt.

In einigen Orten im Hunsrück, im südöstlichen Saarland sowie nördlich von Kusel und darüber hinaus vereinzelt in der Pfalz ist die Form Brola bzw. Brula vertreten. Die Entwicklung von d zu l erfolgte in jenen Dialekten, die in ihrem Lautinventar an Stelle des Zungenspitzen-r das im Rachenraum gebildete sog. Zäpfchen-r haben. In solchen Fällen konnte đ in Zungenspitzen-r nicht übergehen, weil dieses ja im Lautbestand nicht vorhanden war und somit von den Sprechern auch nicht artikuliert werden konnte. Infolgedessen wurde ersatzweise auf den Konsonanten l ausgewichen, der wie das Zungenspitzen-r an den Schneidezähnen gebildet wird. Als Beispiele seien genannt: Blälla ‘Blätter’, Zaile ‘Zeiten’ sowie Kläla ‘Kleider. Den Wandel von d zu l bezeichnet der Sprachwissenschaftler als Lambdazismus nach dem griechischen Buchstaben Lambda für l.

Neben einem Teilstück der Westgrenze des Brurer-Areals erscheinen in der Karte zwei Abschnitte der Südostgrenze. Die zwischen Ludwigshafen und Speyer sowie in der Südostpfalz vorliegenden Bruder-Belege gehören zu der das Brurer-Gebiet umschließenden Bruder-Fläche.

Der Vokal der Hauptsilbe von Bruder lässt sich kurz abhandeln: Überwiegend ist u (Bruda/Brura) vertreten, im Moselfränkischen häufig o (Broda/Brora). Westlich von Mayen gibt es Belege mit kurz gesprochenem o: Brodda. Der Wandel von u zu o ist typisch für eine Vielzahl moselfränkischer Dialekte und lässt sich mit zahlreichen Beispielen dokumentieren: Bloom ‘Blume’, Stohl ‘Stuhl’, Lost ‘Lust’, schold ‘schuld’ usw. Im mittleren Saarland an der Bruder/Brurer-Grenze gibt es ein kleines Areal, in dem der Vokal als Diphthong (Zwielaut) vorliegt, dessen erste Komponente meistens eine e-ähnliche Qualität annimmt. Die Varianten lauten: Breoda/Breora.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.