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Ameise

Karte 62: Ameise. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 144.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Das Wort Ameise weist eine beachtliche Formenvielfalt auf, die keineswegs ein Spezifikum des hier behandelten Dialektraums ist. Für das gesamte deutsche Sprachgebiet lassen sich unzählige Bezeichnungsvarianten belegen. Wenn in der Karte strukturell ähnliche Wortformen nicht zusammengefasst und singuläre Belege kartiert worden wären, böte sich dem Betrachter ein diffuses und zerklüftetes, kaum lesbares Kartenbild dar. Obwohl die Karte aus Gründen der Anschaulichkeit und Klarheit die Sprachwirklichkeit vereinfacht darstellt, bietet sie dennoch ein eindrucksvolles Bild des Formenreichtums.

Das Wort Ameise, das althochdeutsch āmeiaa lautet, setzt sich sprachhistorisch aus zwei Teilen zusammen. Das erste Segment, das der ersten Silbe entspricht, geht auf westgermanisch *ā- zurück und bedeutet ‘ab’, ‘weg’. Dem zweiten Wortbestandteil liegt das westgermanische Element *mait‑a- zugrunde, das aufgrund von bestimmten Lautentwicklungen zu althochdeutsch meiaan führt und die Bedeutung ‘schneiden’, ‘hauen’ hat. (Der Buchstabe a steht für den bei der zweiten Lautverschiebung aus germanisch t hervorgegangenen s-Laut; s. die Einführung.) Für das althochdeutsche Wort meiaan gibt es im Neuhochdeutschen keine unmittelbare Entsprechung; es ist untergegangen. Aber in dem Ausdruck Meißel ist es noch heute greifbar. Auf Grund der sprachhistorischen Analyse lässt sich der ursprüngliche Sinn von Ameise rekonstruieren, wobei zwei Deutungen miteinander konkurrieren. Ameise heißt wörtlich entweder ‘Abschneiderin (von Pflanzenteilen)’ oder ‘die aus Abschnitten Bestehende’ (bezogen auf den segmentierten Körperbau mit seinen Einkerbungen zwischen Kopf, Thorax und Hinterleib).

Die Karte dokumentiert nicht die Bezeichnung für eine spezielle Ameisenart, sondern den allgemeinen Gattungsnamen. Das Wort zeigt in den Dialekten mannigfaltige lautliche Ausprägungen. Der erste Vokal (Selbstlaut) ist nur selten a (z. B. (See)ammes). Häufig ist a zu o „verdumpft“ (z. B. Oomins, Òòmessel). Für die Entwicklung von a zu o lassen sich zahlreiche Beispiele nennen: Oder ‘Ader’, Owend ‘Abend’, Noos ‘Nase’ usw. Aus o kann u werden (z. B. Uumeez). Auch diese Lautentwicklung ist in den Dialekten nicht ungewöhnlich (vgl. z. B. uhne ‘ohne’, Uwe ‘Ofen’, Rus ‘Rose’). Im Falle von ä bzw. e am Wortanfang (z. B. Äämetz, Eemens) liegt umgelautetes a vor. Ein Umlaut an Stellen, wo die Standardsprache einen solchen nicht aufweist, lässt sich durchaus für viele Dialekte belegen, vgl. z. B. Ängscht ‘Angst’, Ärwet ‘Arbeit’, (er) sät ‘(er) sagt’. Aus e kann i werden (z. B. Iimeez). Auch diese Entwicklung ist keine Seltenheit, vgl. z. B. frimd ‘fremd’, Finschter ‘Fenster’ (vgl. Karte 13). Für i am Wortanfang kann aber auch eine andere Entwicklungsmöglichkeit in Betracht gezogen werden, nämlich die Herausbildung eines Umlauts zu u (ausgehend z. B. von der Form Uumeez). Der Umlaut von u ist ü. In den Dialekten des Kartenfeldes wird – abgesehen vom nördlichen Moselfränkischen –  ü zu i und e zu ö verändert, vgl. z. B. Fiis ‘Füße’, dinn ‘dünn’, bees ‘böse’, Lecher ‘Löcher’. Durch Umlautung könnte z. B. aus Uumeez die Variante Iimeez entstanden sein.

Der Vokal der zweiten Silbe lautet in großen Teilen des Gebietes e oder ä, z. B. Oometz, Iimeez, Uumääs. Seltener sind i, z. B. in Oomins, sowie a, z. B. in Huumaazel, vertreten. Der Vokal der zweiten Silbe kann aber auch, weil diese unbetont ist, zu einem lautlich reduzierten e (Murmelvokal) abgeschwächt werden: (Sääch)oomes, (Säi)munnes usw. Die Reduktion kann sogar bis zum völligen Ausfall des Vokals gehen, vgl. z. B. Iims. Vokalabschwächung und ‑ausfall in unbetonten Silben kommen verbreitet vor, vgl. z. B. Arwet ‘Arbeit’, Händsche ‘Handschuh’ (Karte 54), elään ‘allein’ sowie Gschicht ‘Geschichte’ und Händsch ‘Handschuh’.

Zu den Konsonanten (Mitlauten) lässt sich Folgendes feststellen: Etliche der Dialektformen weisen Lautzuwachs auf, und zwar an verschiedenen Stellen des Wortes. In Huumaaz usw. wird h vorangestellt, in Oomins, Eemens usw. wird n in den Wortkörper eingefügt. Solche Entwicklungen sind lauthistorisch kaum erklärbar. Man muss hier wie auch bei der Variante Oowensel – mit w an Stelle von m – vielmehr mit der Wirkung sprachschöpferischer und sprachspielerischer Faktoren rechnen, die jenseits gesetzmäßiger Lautentwicklungen stehen. Solche liegen hingegen bei Formen mit (t)z am Wortende (z. B. Äämetz, Iimeez) vor. In diesem Fall haben wir es mit der lauthistorischen Entwicklung von t zu (t)z im Zuge der zweiten Lautverschiebung (vgl. die Einführung) zu tun. Das vordeutsche (westgermanisch) Wort für Ameise ist *āmaitjōn. Das t wird im Hochdeutschen verschoben und erscheint in den Dialekten als s, z. B. in Iimees, Imms bzw. als (t)z, z. B. in Äämetz, Iimeez. Dass westgermanisch t hier einmal zu s und ein anderes Mal zu (t)z verschoben wird, hängt damit zusammen, dass bereits in vordeutscher Zeit Varianten vorlagen, die zu unterschiedlichen Verschiebungsergebnissen geführt haben. Für das Mittelhochdeutsche ist neben âmeiae auch âmeitze belegt.

Die Karte zeigt nordwestlich von Koblenz ein kleines Gebiet, in dem die Ameise Òòbääzel u. ä. bezeichnet wird. Auffällig ist der Konsonant b an Stelle von m. Eine zweifelsfreie Deutung des Befundes scheint nicht möglich zu sein. Immerhin ist aber höchst bemerkenswert, dass die Bezeichnung für den Meißel, mit der das Wort Ameise verwandt ist (s. o.), in weiten Teilen des Moselfränkischen Bäzel, Bäßel u. ä. lautet.

An der unteren Nahe zwischen Bingen und Bad Kreuznach ist in einem breiten Streifen der Ausdruck Oombissa gebräuchlich. Dass diese Variante lauthistorisch mit Ameise zusammenhängt, kann man bezweifeln. Liegt Oombissa nicht vielmehr Anbeißer, also ein völlig anderes Wort zugrunde? Der Dialektforscher Heinz Rosenkranz, der Ameise im thüringischen Sprachraum untersucht hat, fragt angesichts der auch dort vorliegenden Variantenvielfalt etwas ratlos: „Wo aber liegt die Grenze zwischen lautlichen Spielformen und selbständigen Grundformen?“ (Rosenkranz 1942, S. 68) Die gleiche Frage gilt auch für unser Gebiet, und das nicht nur im Fall von Oombissa.

Wie die Karte zeigt, tritt das Wort Ameise in den beiden Zusammensetzungen Behrameise (dialektal: Behroomes usw.) und Seichameise (dialektal: Säächoomes, Seeòòmes, Sickòòmes usw.) auf. Das erste Glied in Behrameise geht wahrscheinlich auf wehren zurück (die sich wehrende, kämpferische Ameise). In den Dialekten, in denen diese Form vorkommt, kann w in b übergehen. Vgl. die Wörter wer, was und wo, die in diesem Gebiet ber, bat, bo heißen. In der ersten Komponente des zusammengesetzten Ausdrucks Seichameise steckt das Verb (Zeitwort) seichen ‘urinieren’. Offensichtlich nimmt diese Bezeichnung Bezug auf das Ameisengift, das das Insekt bei Bedrohung ausspritzt und das fälschlicherweise als Urin aufgefasst wurde.

In nicht wenigen Dialekten liegen Formen mit der Verkleinerungssilbe ‑el vor (z. B. Huumaazel, Omessel, Äämetzel). Motivierend für Bildungen solcher Art war augenscheinlich das geringe Körpermaß der Ameise.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.