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Karte 95 ‘Angeber’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 352. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Angeber

Wer prahlt und sich rühmt, verstößt gegen gesellschaftliche Regeln. Groß­sprecher und Wichtigtuer sind in keiner sozialen Gruppe wohlgelitten. Die Sprache spiegelt das wider. Sowohl in der Standardsprache als auch in den Dialekten gibt es unzählige Synonyme zur Bezeichnung des Prahlers. Allen ist ein negativer Nebensinn gemeinsam. Teilweise sind die Dialektausdrücke aus Elementen des derben bis vulgären Wortschatzes zusammengesetzt, wie Fürzebeutel und Hochseicher zeigen. Bei solchen Bildungen, aber auch bei Käser und Strahlesel kommt die Geringschätzung von Großsprechern durch die Sprachgemeinschaft besonders prägnant zum Ausdruck. Die sprach­schöpferische Phantasie und die Vielzahl der Benennungen zeugen von der intensiven Affektbeteiligung.

Das in Rheinhessen und in der Pfalz dem Atlas am häufigsten genannte Wort ist Angeber (dialektal Ogewwer u. ä.). Dieses ist ein Nomen Agentis auf ‑er zu dem Verb angeben. Nomen und Verb im Sinne von ‘Prahler’ bzw. ‘prahlen’ sind aus der Hochsprache in die Dialekte übernommen worden. Die beiden Bedeutungen der Wörter gibt es erst seit dem 19. Jh. Noch das Grimmsche Wörterbuch führt in seinem 1854 publizierten ersten Band unter den Stichwörtern angeben und Angeber keine dieser Bedeutungen an (vgl. Grimm/ Grimm 1854, 337-338). Es wird vermutet, dass der Inhalt ‘bezeich­nen, nennen’ des Verbs angeben (z. B. den Namen angeben) über ‘sich fälschlich bezeichnen als; sich ausgeben für’ auf ‘prahlen’ übertragen wurde. Warum das aus der Hochsprache eingeführte Angeber die ursprünglichen Dialektausdrücke auf so breiter Front ersetzt hat, ist nicht bekannt.

Auch Strunzer ist ein Nomen Agentis wie im übrigen die meisten im Untersuchungsgebiet vertretenen Bezeichnungen für den Großtuer. Das zugrundeliegende Verb ist strunzen. Dieses ist zu mittelhochdeutsch stranzen, strenzen ‘groß tun’ sowie mittelniederdeutsch strunsen ‘prahlen, großsprechen’ zu stellen. Die histo­rischen Verben tragen auch die Bedeutung ‘müßig herumlaufen’. Wahr­scheinlich ist von hier aus der Schritt zu ‘prahlen’ erfolgt.

Aufschneider (dialektal Offschneida u. ä.) ist zu dem zusammengesetzten Verb aufschneiden gebildet, das seit dem 16. Jh. überliefert ist. Dieses be­deutet zunächst ‘Brot, Fleisch usw. bei Tisch aufschneiden’ und daraus ab­geleitet ‘(am Tisch) vorlegen’. Ab dem 17. Jh. erfolgt die Übertragung wahr­scheinlich über ‘Unwahrheiten auftischen, Unglaubliches erzählen’ auf ‘mit Übertreibungen imponieren wollen, prahlen’. Das Nomen Aufschneider be­deutet zunächst entsprechend dem ursprünglichen Verbinhalt ‘jemand, der Brot, Fleisch usw. aufschneidet’. Es stellt ebenfalls eine Bildung des 16. Jh. dar. Im 17. Jh. vollzieht sich analog zu der Bedeutungsentwicklung beim Verb die Erweiterung zu ‘Wichtigtuer, Prahler’.

Das Wort Spruch – meistens in Plural verwendet – hat in den Dialekten des Erhebungsraums u. a. die Bedeutung ‘dummes Geschwätz, leeres Ge­rede, Prahlerei’. Von jemandem, der dumm redet oder sich wichtig tut, wird gesagt, dass er Sprüche klopft/macht. Davon leiten sich die beiden Nomina Agentis Sprücheklopfer (dialektal Sprichklobber) und Sprüchemacher (dialektal Sprichmacher) ab. Bei dem Kompositum Sprüchebeutel (dialektal Sprichbeidel) wird das Bestimmungswort mit Beutel kombiniert, das in den arealen Varie­täten nicht nur im eigentlichen Sinn, sondern auch als Schimpfwort ge­braucht wird, vgl. z. B. Lügenbeutel ‘Lügner’, Schafsbeutel ‘dummer Mensch’ und Stinkbeutel ‘unangenehm riechender Mensch’. Eine weitere Bezeichnung für den Prahler mit ‑beutel als Grundwort ist Fürzebeutel (dialektal Färzbeidel). Furz hat in den Dialekten neben der eigentlichen Bedeutung ‘Darmwind’ auch eine übertragene. Meistens im Plural verwendet, benennt das Wort ‘überspannte, abwegige Ideen sowie Albernheiten’. Die Phrase Fürze machen bedeutet u. a. ‘sich wichtigtun, prahlen’.

Das Substantiv Brulljes kommt in den Dialekten nur in der festen Ver­bindung Brulljes machen vor, und zwar mit den Bedeutungen: 1. ‘Staat ma­chen, Aufwand treiben, angeben’ 2. ‘übertreiben’, 3. ‘Verwirrung, Durch­einander anrichten, Zerwürfnis hervorrufen’. Das Nomen wird auf französisch brouille ‘Streit, Zwist’ zurückgeführt. Aus Brulljes machen ist die Benen­nung Brulljesmacher ‘Prahler’ abgeleitet.

Großmogul ist eigentlich der Herrschertitel einer muslimischen Dynas­tie türkisch-mongolischen Ursprungs, die vom 16. bis zum 19. Jh. auf dem indischen Subkontinent geherrscht hatte. Das Wort Mogul leitet sich von persisch mughul ‘Mongole’ ab. Über französisch grand mogol gelangte die Bezeich­nung im 18. Jh. nach Deutschland. In den Dialekten (im Untersuchungsge­biet als Großmogel u. ä. belegt) ist die ursprüngliche Bedeutung auf ‘Prah­ler’ übertragen worden.

Großmaul bezieht sich im Pfälzischen im eigentlichen Sinne auf einen großen, breiten Mund. Von dort ist die Übertragung auf ‘Wichtigtuer, Bes­serwisser, Wortemacher’ erfolgt. Mit Maul wird im Dialekt nicht nur der Mund des Tieres bezeichnet. Es ist auch der neutrale Ausdruck für den Mund des Menschen ohne abwertenden Nebensinn.

Prahlhans ist zusammengesetzt aus dem Stamm des Verbs prahlen und dem männlichen Vornamen Hans. Dieser Vorname war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sehr oft vergeben worden. Sein häufiges Vorkommen führte dazu, dass er wie Hinz und Kunz (Kurzform von Heinrich bzw. Kon­rad) über seine eigentliche Funktion hinaus als Anrede, Anruf und Bezeich­nung, also appellativisch verwendet wurde, wenn man den Vornamen einer Person nicht kannte oder nicht nennen wollte. Von hier aus kam es zu der allgemeinen Bedeutung ‘Mensch, Mann’. Da Hans in diesem Sinn häufig auf Männer niedrigen Standes (Bauern, Knechte usw.) bezogen wurde, ent­wickelte sich eine negative Nebenbedeutung. Das Wort diente fortan zur Kennzeichnung von Personen mit schlechten Eigenschaften, man vergleiche z. B. Faulhans, Schmalhans, Hanswurst, Großhans und eben Prahlhans. Ähnliche Entwicklungen zeigen auch andere Vornamen wie etwa Michel, vgl. pfälzisch Süßmichel ‘Schmeichler’, Schlaumichel ‘gescheiter, kluger, gewitzter, gerissener Mensch’ und Giftmichel ‘zu Zornesausbrüchen neigen­der Mensch’. Auch weibliche Vornamen sind betroffen, vgl. z. B. Dreck­liese, Heulsuse sowie für das Pfälzische Zottelgrete und das Rheinhessische Zottelliese ‘ungepflegte, schlampige weibliche Person’.

Grundlage für das Wort Pratzer ist das Dialektverb pratzen ‘sich rüh­men, angeben’. Vielleicht besteht Zusammenhang mit prassen unter dem Einfluss von protzen. Der Ausdruck prassen ist in der Schriftsprache seit dem 16. Jh. zuerst als brassen belegt. Neben der noch heute gültigen Be­deutung ‘üppig und verschwenderisch genießen’ lag dazumal der heute nicht mehr aktuelle Wortsinn ‘lärmend, prunkend sich bewegen/sich benehmen’ vor. Von hier aus könnte Weiterentwicklung zu ‘prahlen’ erfolgt sein. Das wohl lautmalende Verb ist niederdeutschen Ursprungs. Mittelniederdeutsch brassen ‘lär­men, schlemmen’ gehört zu dem Substantiv mittelniederdeutsch brās, prass ‘Lärm, Saus und Braus, Pomp’. Möglich ist allerdings auch, dass pratzen eine Lautvari­ante zu protzen (zuerst im 17. Jh. im Oberdeutschen belegt) ist. Das letztgenannte Verb leitet sich von ursprünglich oberdeutsch Protz ‘anmaßender, aufgeblasener Mensch’ ab. Die Bedeutung des Nomens ist übertragen von oberdeutsch Protz, Brotz ‘Kröte’. Offensichtlich lieferte das Bild der sich dick machenden, den Kehlsack auf­blasenden Kröte das Motiv für die Übertragung.

Eine Steigerung von Protz ‘Prahler’ stellt Großprotz dar. Das Adjektiv groß wird in vielen Fällen bei den Bezeichnungen für den Angeber verwen­det, vgl. z. B. Großsprecher, Großtuer, Großhans und Großkotz.

Käser (dialektal Keser) ist eine Bildung zu dem Dialektverb käsen ‘prahlen, dumm reden’. Dieses ist abgeleitet vom Nomen Käse, das wie in der über­regionalen Umgangssprache auch in den Dialekten die übertragene Bedeu­tung ‘dummes Gerede, Unsinn’ hat. Das Wort mit seinem eigentlichen Inhalt ist aus dem Lateinischen entlehnt und als althochdeutsch kāsi bezeugt (vgl. auch Karte 81.1. Quark).

Der Dialektausdruck Schwarder hat in mittelhochdeutsch swaderer ‘Schwätzer’ eine Entsprechung. Dieses Wort erscheint in den Dialekten aus sprachökonomi­schen Gründen um die letzte Silbe gekürzt. Der Zuwachs von ‑r- in der Wortmitte lässt sich nicht erklären. Grundlage ist wahrscheinlich das Verb mittelhochdeutsch swateren ‘rauschen, tosen, klappern’, das sich in den neuhochdeutschen Dia­lekten zu schwadern oder schwaden entwickelt hat. Die ursprüngliche Be­deutung bezog sich wohl auf Flüssigkeiten, so dass von dem Wortsinn ‘plät­schern, geräuschvoll fließen, klatschend überfließen’ auszugehen ist. Von dort erfolgte die Übertragung vielleicht über ‘ein Getränk glucksend in sich hineingießen’ auf ‘prassen, schlemmen, unmäßig trinken’. In einem weiteren Schritt folgte der Übergang zu ‘schwatzen, wichtig tun’. Den bedeutungs­geschichtlichen Zusammenhang von ‘üppig genießen, schwelgen’, ‘Geräu­sche machen’ und ‘prahlen’ zeigt auch das oben behandelte prassen. Mittelhochdeutsch swateren, das wohl Lautnachahmung als Motiv hat, scheint auch zu neuhochdeutsch schwatzen geführt zu haben.

In einigen pfälzischen Dialekten wird das Verb strahlen in uneigentli­cher Bedeutung im Sinne von ‘prahlen’ verwendet. Dieser Inhalt liegt dem Bestimmungswort von Strahlesel zugrunde. Als Grundwort fungiert Esel, das nicht nur in den Dialekten auf den Menschen übertragen soviel wie ‘dummer, einfältiger Mensch’ bedeutet. Dieser Sinn schwingt wohl bei Strahlesel mit.

Aus dem Phraseologismus sich wichtig tun ‘sich aufspielen, prahlen’ ist das Kompositum Wichtigtuer abgeleitet. Beide kommen in den rheinhessi­schen und pfälzischen Dialekten seltener vor. Dem Atlas wurde Wichtigtuer lediglich einmal gemeldet. Das Wort und der Phraseologismus scheinen aus der überregionalen Umgangssprache in den Dialekt gelangt zu sein.

Ein Beispiel sowohl für die sprachschöpferische Originalität des Dia­lekts als auch seine bildhaft-drastischen Wortbildungen liefert neben Fürze­beutel (s. o.) Hochseicher (dialektal Hochsääscher). Das Verb seichen, auf dem ‑seicher beruht, ist im Dialekt ein derbes Wort für ‘urinieren’. Es wird so­wohl mit Bezug auf das Tier als auch den Menschen verwendet. Seicher ist dementsprechend ‘jemand, der uriniert’. Der Derbheit des Ausdrucks ist es wohl zuzuschreiben, dass mit ihm zahlreiche Scheltwörter in den Dialekten gebildet werden, z. B. Säckelseicher ‘alberner, einfältiger, törichter Mensch’ und Anseicher ‘Denunziant’. Mit dem Adjektiv hoch wird Seicher zu dem den Prahler und Angeber bezeichnenden Kompositum Hochseicher kombi­niert.

Die Motivation von Gassenglänzer ist offenkundig. Wer prahlt, geht durch die Gassen des Ortes und versucht zu glänzen, d. h. durch große Sprü­che, Eindruck zu machen und Bewunderung zu erregen.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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