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Marienkäfer
Der Marienkäfer sticht unter den Insekten durch seine originelle äußere Erscheinung hervor. Besonders augenfällig unter den vielen Arten ist die, die bei halbkugelförmigem Körperbau rote Deckflügel mit schwarzen Punkten aufweist, mithin also den Prototyp des Insekts darstellt. Die Anzahl der Flügelpunkte variiert. Weit verbreitet sind Exemplare mit deren sieben. Die Zahl sieben gilt im Christentum als heilige Zahl. Der Marienkäfer wurde daher im Volksglauben mit dem himmlischen Paradies in Verbindung gebracht. Man sah ihn als Boten oder Diener der Gottesmutter Maria, ja sogar Gottes selbst an. Die sieben Punkte wurden als Symbol der sieben Schmerzen Mariens angesehen, wodurch die Bezeichnung Marienkäfer motiviert ist. Der Bezug auf Gott zeigt sich in den Dialektausdrücken mit Herrgott- und Gott‑, z. B. Herrgotts‑/ Gottestierchen und Herrgottskäfer. Das Insekt gilt gemeinhin neben Hufeisen und Kleeblatt als Glücksbringer. Marienkäfer ist im Arbeitsgebiet des Atlasses kein indigenes Dialektwort, sondern aus der Standardsprache übernommen und phonetisch an das Lautsystem der Dialekte angepasst (vgl. Mariekäffer u. ä.). Die auf den ersten Blick zahlreichen Bezeichnungen für das Insekt lassen sich systematisieren und Typen zuordnen.
Vor allem in der Nordwestpfalz sind Wortvarianten mit Hans- als Erstglied vertreten: Hanskäfer, Hansboben (dieses nur als Diminutiv) und Hansweibchen. Für die zu Hansboben gehörenden Dialektbelege mit Kanz- (Kanzebiewel, Kanzebebel) kann Gehans- (aus Johannes; zur Erklärung vgl. Karte 7.1. Johannisbeere) als ursprüngliches Bestimmungswort angenommen werden. Folgende lautliche Schritte führen von Geh(ans)- zu K(anz)‑: 1, Ausfall von ‑e- wie z. B. auch in dialektal gsund ‘gesund’ (= Gh‑), 2. Verlust des Stimmtons (= Kh‑) und 3. Zusammenfall von ‑h- mit der Aspiration bei k (= K‑).
Das Element Hans‑/Kanz- steht für Johannes. Parallelfälle zeigt die Karte 7.1. Johannisbeere mit Ausdrücken wie Hansgetraub und Kanstraub. Möglicherweise ist Hans‑/Kanz- in den entsprechenden Bezeichnungen für den Marienkäfer gekürzt aus Hanstraube, Hansgetraube usw. Immerhin belegt das Pfälzische Wörterbuch (III, 1359, 1361) neben Gehansdierche auch Gehanstrauwedierche für ‘Marienkäfer’. Die Bezeichnung wäre durch die Farb- und Formähnlichkeit zwischen dem Insekt und der Johannisbeere motiviert.
Die überwiegende Mehrzahl der im Untersuchungsareal vertretenen autochthonen Wortvarianten rekrutiert sich aus Bildungen mit (Herr‑)Gott oder Hans- als Erstglied. (Herrgott werte ich als eingliedrig.) Die Zweitglieder liefern verschiedene Wörter, die fast durchgängig als Diminutive vorkommen: dialektal (Herrgotts)tierle, (Hans)bibsche usw. Die Diminuierungen sind motiviert durch die kleine Gestalt des Insekts. Lediglich ‑käfer tritt auch in nicht-diminuierter Form auf, vgl. z. B. dialektal Herrgottskewwer. Käfer geht auf die indogermanische Wurzel ĝep(h)‑/ ĝeb(h)- ‘Kiefer, Mund; essen, fressen’ zurück. Die ursprüngliche Bedeutung von Käfer ist demnach ‘Fresser’. Im Deutschen bezeichnet das Wort zunächst die Heuschrecke. Erst im 18. Jh. wird es verallgemeinert und im heute geläufigen Sinn verwendet, wobei älteres Wiebel ‘Käfer’(aus gleichbedeutend westgermanisch *webila‑) verdrängt wird.
Mit Wiebel kann ‑weibchen in Hansweibchen (dialektal Hansgeweibche) in Verbindung gebracht werden. Vielleicht liegt hier volksetymologische Umdeutung vor. Als Käfer Wiebel verdrängt hatte und ‑wiebel in dem Kompositum *Hanswiebel von der Sprachgemeinschaft nicht mehr gedeutet werden konnte, erfolgte Remotivierung des Ausdrucks durch Anschluss an ‑weibchen. (Zum Element ‑ge- in dial. Hansgeweibche; Hansgebiebche s. Karte 7.1. Johannisbeere.)
Ein Teil der Zusammensetzungen mit Herrgott- weist als Grundwort ‑tier in diminuierter Form (z. B. dialektal Herrgottsdierche usw.) auf. Tier lässt sich auf gleichbedeutend germanisch *deuza- zurückführen. Ursprünglich ist wohl das wilde Tier im Gegensatz zum Haustier gemeint (vgl. englisch deer ‘Hirsch, Reh usw.’)
Verschiedene Bezeichnungen haben diminuiertes ‑boben als Grundwort. Sie lassen sich den Typen Herrgottsboben (dialektal Herrgottsbebel u. ä.) und Hansboben (dialektal Hansbibsche, Hanspepel, Kanzebiewel usw.) subsumieren. Hinzu kommt Billenböbchen (dialektal Billebiebche). Boben bedeutet ‘Käfer’. Vielleicht gehört der Ausdruck zu dem Dialektverb bubbeln, das schnell aufeinanderfolgende Bewegungen bezeichnet. Es lässt sich nicht ausschließen, dass in den Zusammensetzungen das Wort nach ‑bübchen, das dialektal ‑biebche u. ä. lautet, volksetymologisch uminterpretiert wurde.
Das erste Glied in Billenböbchen lässt sich nur schwer deuten. Vielleicht ist die Wurzel indogermanisch *bhel- anzusetzen, die Ausdrücken zugrunde liegt, die Wülste und Gegenstände mit Rundungen bezeichnen. Dazu gehören z. B. die ausgestorbenen Wörter Bille ‘Hinterbacken’ und Biller ‘Zahnfleisch’ sowie – lautlich weiter entfernt – Ball ‘Spielgerät, Kugel’. Das Motiv für die Kompositumsbildung Billenböbchen könnte die halbrunde Körpergestalt des Marienkäfers geliefert haben.
Von der Nahe wird ein singulärer Beleg gemeldet, den der Laienexplorator Filibbienche transkribiert. Laut Pfälzischem Wörterbuch (II, 1383) gehört das Wort zu dem weiblichen Vornamen Filippine [!]. Dementsprechend wird die typisierte Form Filippinchen angesetzt. Die Zuordnung ist fraglich. Wahrscheinlicher ist eine Verbindung zu dialektal Billebiebche (= Billenböbchen) (s. o.), umso mehr als dieser Ausdruck im Nachbarbelegpunkt vorkommt. Die Beziehung ist volksetymologisch sehr stark verwischt. Die Laientranskription Filibbienche macht deutlich, wie die Dialektsprecher das undurchsichtige Billenböbchen, dialektal wäre *Billebebche anzusetzen, reinterpretieren: Bille- wird mit dem anlautenden ‑b- der Folgesilbe (über Billeb- also) zu dem männlichen Vornamen Philipp (dialektal Filib) umgedeutet. Das Zweitglied ‑bebche wird (vielleicht mit einem Zwischenschritt ‑biebche ‘Bübchen’) zu ‑bienche ‘Bienchen’, also einer Insektenbezeichnung uminterpretiert. Möglicherweise spielt bei der Anlehnung an Philipp eine Rolle, dass der Name in den Dialekten appellativisch als (scherzhafte) Bezeichnung für den Spatz (ebenfalls ein fliegendes Wesen) verwendet wird.
Übertragene Tierbezeichnungen als Zweitglied finden sich auch sonst bei den Dialektwörtern für ‘Marienkäfer’, vgl. Herrgottsschäfchen, Osterlämmchen und Sommerkälbchen. Es sind dies allesamt Ausdrücke für Haustiere. Das vertraute Verhältnis, das den Menschen mit seinen Nutztieren verbindet, wird hier auf ein Insekt projiziert, das als Blatt- und Schildlausvertilger durchaus nützliche Dienste leistet. Mit den Bestimmungswörtern Oster- und Sommer- wird Bezug genommen auf die Jahreszeit, in der der Marienkäfer in Erscheinung tritt, wobei mit Oster- zugleich ein Anklang an das himmlische Jenseits gegeben ist (vgl. Herrgottsschäfchen). Denkbar ist auch, dass Osterlämmchen auf das Agnus Dei verweist, also das Symbol für Christus, womit ebenfalls ein Bezug zum Himmelreich vorläge.
Fast nur in Rheinhessen kommt die Zusammensetzung Herrgottsvögelchen (dialektal Herrgottsvelje u. ä.) vor. Die Verwendung von Vogel in Bezug auf ein Insekt geht auf die im Mittelalter aufgestellte, auf dem Alten Testament basierende Systematik der Tiere zurück. Alles, was fliegt oder Flügel hat, wurde als Vogel klassifiziert, ebenso wie alles, das schwimmt, als Fisch angesehen wurde (vgl. auch die Karte 25.1. Ohrwurm). Zur Gruppe der Vögel zählten folglich Biene, Fledermaus (vgl. hierzu die ausgestorbene pfälzische Bezeichnung Speckvogel), Fliege, Heuschrecke, Schmetterling (vgl. Sommervogel) usw. In diese Reihe ordnet sich der Marienkäfer als Herrgottsvögelchen ein.
Auf Herrgottsschuh verweist die diminuierte Dialektform Herrgottsschiggel, wobei das pfälzische Schugg ‘Schuh’ anzusetzen ist. Das Motiv der Zusammensetzung mit ‑schuh ist nicht klar. Das Kompositum kommt auch als Bezeichnung für verschiedene Pflanzen vor, z. B. die Schlüsselblume, die Akelei, das Knabenkraut und das Stiefmütterchen.
Für einen Belegpunkt nördlich Kaiserslautern liegt kein Wort (weder Simplex noch Kompositum) für ‘Marienkäfer’ vor. Die Bezeichnung ist vielmehr eine idiomatische Wortverbindung: dem lieben Gott sein Geld (dialektal em liewe Gott sei Geld). Auch in diesem Fall ist Jenseitsbezug gegeben, wobei die runde Form des Käferkörpers mit Münzgeld in Beziehung gebracht wird.
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.