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Karte 2.1 ‘Löwenzahn’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 28. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Löwenzahn

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Die Dialektbezeichnungen für den Gewöhnlichen Löwenzahn heben unter­schiedliche Merkmale der weit verbreiteten Pflanze hervor. Die Benennun­gen sind stets Zusammensetzungen. Als Grundwort tritt häufig ‑busch auf: Eierbusch, Milchbusch usw. In den Dialekten ist der alte Wortanlaut p- sehr häufig erhalten, wie die Belege Eierpusch, Milchpusch usw. zeigen. Mit dem Grundwort wird auf die buschartig wachsenden Löwenzahnblätter ver­wiesen. Für die Varianten mit Umlaut, also ‑büsche (dialektal ‑pisch in Eier­pisch, Milchpisch usw.) ist auf Grund der indirekten Exploration des Sprachmaterials nicht zu entscheiden, ob die Pluralform erhoben wurde oder der Singular umgelautet ist, weil der Plural auf die Einzahl übergegangen ist. Das kann der Fall sein bei Wörtern, die überwiegend in der Mehrzahl ver­wendet werden (vgl. dialektal Klees für ‘Kloß’ und ‘Klöße’, s. Karte 85. Leber­knödel, vgl. auch standarddeutsch Träne, das ursprünglich eine Pluralform war). Die einschlägigen Dialektwörterbücher geben allerdings keinen Umlautvokal für den Singular an. Im Auslaut mit ‑t- verstärktes ‑pusch/‑pisch stellen wohl die Grundwörter ‑potsch/‑pitsch in Eierpotsch/Eierpitsch dar.

Das Zweitglied ‑stock/‑stöcke, z. B. in Zichoriestock (dialektal Zigoriestock) sowie Lausestöcke (dialektal Lousesteck) steht für ‘Pflanze, Staude’. Das Wort kommt in diesem Sinn in den Dialekten häufig vor, vgl. z. B. pfälzisch: Bal­lenstock ‘Hortensie’, Erdbeerstock ‘ausgewachsene Erdbeerpflanze’ und Himbeerstock ‘Himbeerenstrauch’ sowie standarddeutsch: Blumenstock, Weinstock usw. Für die umgelautete Form ‑stöcke gilt das oben zu ‑büsche Gesagte.

Das Grundwort in Kettenschöpfe (dialektal Ketteschepp) – hier hat nach Ausweis des Pfälzischen Wörterbuches (IV, 188) stellenweise auch die Singularform Umlaut – ist auf Schopf ‘Blätterbüschel’ (vgl. auch Blattschopf) zurückzuführen. Es handelt sich hier um eine Übertragung der eigentlichen Bedeutung ‘Haarbü­schel auf dem Kopf, dichtes Kopfhaar’ offensichtlich im Hinblick auf das buschig wachsende Blattwerk des Korbblütlers. Nicht das buschartige Blatt­werk, sondern die blühende Pflanze ist Motiv für die Bildungen mit ‑blume bei Kuhblume und Kettelblume.

Auf die leuchtendgelbe Farbe der Pflanzenblüte rekurriert das Bestim­mungswort Eier- in Eierpotsch, Eierbüsche usw. Bei der Komposition Gelbdotter (dialektal Geeldotter) wird der intensive Farbeindruck bis zur Tauto­logie gesteigert. Die Zusammensetzungen mit Milch- – belegt sind Milch­busch/‑büsche (dialektal Milchpuch/‑pisch) – weisen auf den weißen Milchsaft hin, der sich in den Blättern und Stängeln des Korbblütlers findet.

Der Löwenzahn stellt an den Boden nur geringe Ansprüche. Er wächst in der Natur so gut wie überall. Als Wildkraut ist er aber vor allem auf Wie­sen verbreitet. Dort dient er den Nutztieren des Menschen als Nahrung. Die­sen Aspekt spiegeln die Bezeichnungen Gänsebusch, Kuhblume, Kühbü­sche (dialektal Kihbisch) sowie Ochsenbusch/‑büsche wider. Ochsenpritschen (dialektal Ochsebritche) repräsentiert die Pluralform. Das Kompositum bedeutet eigentlich ‘Ochsenschwanz’. Das Grundwort bezeichnet auch den Schwanz anderer Tiere, z. B. des Hasen und der Ziege. Vielleicht haben die bis zu 60 Zentimeter langen Blütenstandstiele des Löwenzahns Assoziationen zum Schwanz des Rinds geweckt und zur Bedeutungsübertragung geführt.

Zu den Benennungen Kuhscheißer und Kühscheißer gehört auch Kuhplatscher. Die Komponente ‑platscher ist vom lautmalenden Verb plat­schen abgeleitet. Sie bezieht sich auf das Geräusch der niederfallenden Tier­exkremente. Die eigentliche Bedeutung von Kuhplatscher ist ‘Kuhfladen’. Von dort erfolgte die Übertragung auf ‘Löwenzahn’. Die drei oben genann­ten Wortzusammensetzungen bringen also die Pflanze mit den Darm­ausscheidungen des Rinds in Zusammenhang. Zu erklären ist das wohl da­mit, dass der Löwenzahn in der Nachbarschaft des an organischen Stoffen reichen Kuhmists besonders reichlich und gut gedeiht.

Die Komposita mit Kette- als Bestimmungswort, also Kettenbusch, Kettenschöpfe (dialektal Ketteschepp) sowie Kettelblume (hier das Erstglied in der Diminutivform) verweisen auf ein Spiel der Kinder mit den Blütenstän­geln des Löwenzahns. Hierbei wird eine Blumenkette gefertigt, indem durch einen Schlitz am dicken Ende des Blumenstiels fortlaufend jeweils ein wei­terer Stiel durchgezogen wird, bis eine Kette entsteht.

Auf die harntreibende und verdauungsfördernde Wirkung des Löwen­zahns, die auch die Volks- und Naturheilkunde nutzt, zielen die Bezeichnun­gen Bettseicher (dialektal Bettsäächer u. ä.), Bettpisser, Pissblume, Bettschisser und Hosenschisser ab. Die Wörter – Pissblume ausgenommen – stellen Be­deutungsübertragungen dar. Im eigentlichen Sinn bezeichnen die Ausdrücke den ‘Bettnässer’ bzw. ‘jemand, der den Darm ins Bett bzw. in die Hose ent­leert’.

Mit Zichorie- als erster Komponente sind die Zusammensetzungen Zi­choriebusch (dialektal Sechoriebusch), Zichoriebüsche (dialektal Zigoripisch u. ä.) und Zichoriestock (dialektal Zigoriestock) gebildet. Das in der Standardsprache die Wegwarte bezeichnende Wort ist eine Entlehnung aus italienisch cicoria. Ety­mologisch verwandt ist Chicorée. Wegwarte und Löwenzahn weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Dazu zählen z. B. die bitteren Inhaltsstoffe, die sich die Volks- und Naturmedizin nutzbar macht. Die getrockneten und gemahle­nen Wurzeln der Pflanzen fanden vor allem früher als Kaffeeersatz Verwen­dung. Vielleicht ist darauf zurückzuführen, dass im Volk die Bezeichnung Zichorie für den Löwenzahn verwendet wurde.

Das Bestimmungswort in Schirmchenblume (dialektal Schermscherblume) bezieht sich auf die gelben Blütenzungen des Löwenzahns, die, kreisförmig angeordnet, an einen Schirm erinnern.

Bei Grüne Blumenstöcke (dialektal Grine Blumensteck) handelt es sich um eine volksetymologische Reinterpretation. Die ursprüngliche Bezeichnung lautete: Grindblumenstock (so auch heute noch teilweise nachweisbar). Nachdem ‑d- ausgestoßen wurde, hat die Sprachgemeinschaft das Erstglied zu grün umgedeutet. Grind ist im Pfälzischen das Wort für Hautausschläge verschiedener Art. Da der Saft des Löwenzahns als Volksarznei zur Heilung des „Grinds“ verwendet wurde, hat man die Pflanze entsprechend Grind­blume(nstock) benannt.

Der Löwenzahn gilt gemeinhin als Unkraut. Er beeinträchtigt das Wachstum der Kulturpflanzen. Deshalb schätzen ihn Gärtner und Landwirte nicht. Auch auf dem Weideland ist er in größeren Mengen nicht gern gese­hen. Die Bezeichnungen Edelsbusch sowie Lausestöcke (dialektal Lousesteck), die sich nicht sicher erklären lassen, sind vielleicht vor diesem Hintergrund zu deuten. Das erste Kompositum mit dem Adjektiv edel als Bestimmungs­wort könnte eine beschönigende Verhüllung (Euphemismus) darstellen. Da­gegen drückt Lausestöcke offen die Geringschätzung des Löwenzahns aus. Der Verweis auf die Laus, einen äußerst unliebsamen und lästigen Parasiten, konstituiert den pejorativen Sinn der Bezeichnung (vgl. auch Läusekraut, die Bezeichnung für den Halbschmarotzer Pedicularis).

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

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Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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