Rheinhessen

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Dialektgliederung

Karte 1: Dialektgliederung. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 18.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Die zweite Lautverschiebung erfolgte nicht konsequent, was bereits angedeutet wurde. Die Verschiebungsergebnisse liegen vielmehr in einer geographischen Staffelung vor, auf deren Grundlage die Einteilung der deutschen Dialekte vorgenommen wird. Bevor ich darauf zu sprechen komme, muss betont werden, dass im frühen Mittelalter, mithin in der Zeit, als die zweite Lautverschiebung verlief, es keine Einheitssprache im Sinne unseres heutigen Standarddeutschen gab, sondern ausschließlich eine Zersplitterung in Dialekte. (Ich komme weiter unten kurz darauf zu sprechen.)

Zu den Ergebnissen der zweiten Lautverschiebung in den Dialekten (man vergleiche hierzu Karte 1): Vollständig durchgeführt wurde die zweite Lautverschiebung im Süden des deutschen Sprachgebietes, in den alemannischen und bairischen Dialekten. Die Entwicklung von germanisch b zu p und germanisch g zu k wurde allerdings wieder teilweise rückgängig gemacht. Auch kch (aus germanisch k) mit teilweisem Übergang zu ch (z. B. Chind ‘Kind’) ist heute nur auf die südlichen Teile des Alemannischen und Bairischen beschränkt. In dem sich nördlich anschließenden Ostfränkischen unterblieb der Wandel von k zu kch sowie von b zu p und g zu k. Die alemannischen, bairischen und ostfränkischen Dialekte werden zum Oberdeutschen zusammengefasst. (Zum Alemannischen zählen auch die schweizerdeutschen, zum Bairischen auch die österreichischen Dialekte.) Gemeinsames Charakteristikum der oberdeutschen Dialekte ist die Verschiebung von p zu pf, die ansonsten im Deutschen unterblieben ist. Als nördliche Grenze des Oberdeutschen wird die sog. Appel/Apfel-Isoglosse angesetzt, die nördliches Appel vom südlichen Apfel trennt. (Als Isoglosse wird in der Sprachkartographie die Grenzlinie zwischen zwei Arealen mit unterschiedlicher Realisierung einer sprachlichen Einheit bezeichnet.) Innerhalb des Alemannischen und Bairischen werden auf Grund sprachlicher Merkmale Binnendifferenzierungen vorgenommen, und zwar in Nieder-, Hoch-, Höchstalemannisch und Schwäbisch bzw. in Nord-, Mittel- und Südbairisch. Die geographische Verteilung kann der Karte 1 entnommen werden.

Karte 2: Rheinischer Fächer. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 20.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

An den oberdeutschen Sprachraum schließt sich nördlich der mitteldeutsche an, in dem die zweite Lautverschiebung nur teilweise durchgeführt wurde, und zwar in einer bemerkenswerten Staffelung der Lautverschiebungsergebnisse im Westen, die Rheinischer Fächer genannt wird. Viele Forscher vertreten deshalb die (nicht unumstrittene) Theorie, dass die Lautverschiebung sich vom Alpenraum, wo sie am vollständigsten durchgeführt wurde, nach Norden ausgebreitet hat, wobei sie allmählich abgeebbt ist. Die wichtigsten der den Rheinischen Fächer bildenden Lautverschiebungslinien zeigt Karte 2, die das in Karte 1 dargestellte Westmitteldeutsche gewissermaßen heranzoomt und um weitere Sprachdaten ergänzt. Die folgenden Ausführungen sind mit der Karte 2 [...] zu vergleichen.

Die zweite Lautverschiebung zeigt im Westmitteldeutschen folgende Ergebnisse: Die Änderung von p zu pf und k zu kch fand nicht statt (s. o.), die von t zu z/tz wurde mit Ausnahmen (vgl. z. B. gesaat ‘gesetzt’, tischenzwischen’ in zahlreichen Dialekten) durchgeführt. Die Verschiebung von p zu f(f), t zu s(s) und k zu ch wurde nicht konsequent vollzogen. In verschiedenen Fällen liegen unverschobene Wörter vor. Man vgl. z. B. up ‘auf’, Aap ‘Affe’, deep ‘tief’, ke ‘suchen’, floke ‘fluchen’. Besonders charakteristisch für die rheinischen Dialekte und relativ zahlreich sind die Formen mit unverschobenem t: dat ‘das’, wat ‘was’, et ‘es’, alt ‘als’, eent ‘einskeent ‘keins’, mot ‘muss’ usw. Die Grenzen zwischen den verschobenen und unverschobenen Formen verlaufen in den drei Verschiebungsfällen unterschiedlich. Die Karte 2 zeigt, dass z. B. die up/auf-Isoglosse nördlicher liegt als die dat/das-Linie. Auch innerhalb derselben Fallgruppe differiert die Verschiebungsgrenze mehr oder weniger von Wort zu Wort. Die Form mot zum Beispiel (in Karte 2 nicht eingetragen) ist auf den nördlichen Teil des Rheinischen Fächers ab etwa der Ahr beschränkt, sonst gilt muss. Die dat/das-Isoglosse dagegen verläuft weiter südlich, nämlich über Hunsrück, Taunus und Westerwald. Mit ihr stimmt indes die et/es-Linie über weite Strecken überein. (Auch die oben genannte p-Verschiebungslinie ist nicht fest. Die Pund/Pfund-Isoglosse liegt über einen langen Abschnitt südlicher als die Appel/Apfel-Linie.)

Verschiedene Linien des Rheinischen Fächers dienen der sprachlichen Binnendifferenzierung des westlichen Mitteldeutschen. Die Dialekte zwischen der Appel/Apfel- und der dat/das-Isoglosse werden zum Rheinfränkischen zusammengefasst. Hierzu gehören das Pfälzische, Hessische (mit Rheinhessen) sowie die im äußersten Westen und Süden des Saarlandes gesprochenen Dialekte. Die Dialekte zwischen der dat/das- und der Dorp/Dorf-Linie werden als moselfränkisch bezeichnet. Die im Hunsrück, in der Eifel (mit Ausnahme der Nordeifel), an der Mosel, im Westerwald, am Mittelrhein sowie im größten Teil des Saarlandes gesprochenen Dialekte bilden also den moselfränkischen Dialektverband.

Der/die aufmerksame Leser/Leserin wird sich an dieser Stelle fragen, warum es im Hochdeutschen Dorf heißt. Gemäß der oben dargestellten Gesetzmäßigkeit der zweiten Lautverschiebung, nach der germanisch p nach Konsonant zu hochdeutsch pf wird, wäre eigentlich die Form Dorpf zu erwarten. Es handelt sich hier um eine Sonderentwicklung. Nach r und l wurde p nicht zu pf, sondern zu f verschoben. So haben die Standardsprache und die Dialekte südlich der Dorp/Dorf-Isoglosse nach r und l die verschobenen Formen Dorf, scharf, werfen, helfen usw. Nördlich der Isoglosse gelten hingegen ohne Verschiebung Dorp, scharp, werpen und helpen. Auch in diesen Fällen gibt es von Wort zu Wort Abweichungen beim Grenzverlauf. Die Dialekte nördlich der Dorp/Dorf-Linie, also mit unverschobenem p nach r und l werden zum Ripuarischen zusammengefasst. Hierzu zählen die Dialekte, die in einem breiten Streifen von Aachen über Köln bis zum Oberbergischen Land gesprochen werden. Die Nordgrenze des Ripuarischen bildet die maken/machen-Isoglosse, auf die ich sogleich zu sprechen komme.

Das Mitteldeutsche unterteilen die Dialektologen in das Westmitteldeutsche (Wmd.) und das Ostmitteldeutsche (Omd.). Kennzeichnend für das Ostmitteldeutsche, das die thüringischen, die obersächsischen und (bis 1945) die schlesischen Dialekte umfasst, ist f am Wortanfang in den Fällen, in denen das Westmitteldeutsche p (und die Standardsprache pf) hat, also z. B. ostmitteldeutsch Fund – westmitteldeutsch Pund ‘Pfund’, ostmitteldeutsch Ferd – westmitteldeutsch Perd ‘Pferd’, ostmitteldeutsch Flug – westmitteldeutsch Plug ‘Pflug’. Die Grenze verläuft zwischen den Flüssen Fulda und Werra.

Das Oberdeutsche und das Mitteldeutsche fasst man zum Hochdeutschen zusammen. Die Bezeichnung hochdeutsch ist also eine sprachgeographische. Sie wird deshalb in der Sprachwissenschaft anders als in der Alltagssprache nicht sprachsozial verwendet im Sinne von Einheitssprache, Hochsprache (Er spricht hochdeutsch). Hierfür stehen die Ausdrücke Standarddeutsch oder deutsche Standardsprache zur Verfügung. Bestimmend und kennzeichnend für das Hocheutsche ist die vollständige oder partielle Durchführung der zweiten Lautverschiebung. Sie wird deshalb auch als hochdeutsche Lautverschiebung bezeichnet. Die nördliche Grenze der zweiten Lautverschiebung bildet die bereits erwähnte maken/machen-Linie, die – in groben Zügen beschrieben – von Aachen über Düsseldorf, Olpe, Kassel, Wittenberg nach Frankfurt/ Oder verläuft. Auch beim k/ch-Gegensatz variieren die Isoglossen streckenweise von Wort zu Wort. So verläuft z. B. die ik/ich-Grenze am Niederrhein nördlicher und östlich von Wittenberg südlicher als die maken/machen-Linie. Die Dialekte nördlich der letztgenannten Isoglosse bilden das Niederdeutsche (Niederd.). (Manche Forscher lassen es an der ik/ich-Grenze beginnen.) Das Niederdeutsche hat also die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht. Sein Konsonantensystem steht somit z. B. dem Englischen näher als dem Hochdeutschen. Hierzu einige niederdeutsche, englische (engl.) und hochdeutsche Beispiele in Gegenüberstellung:

niederdeutsch Pund                          englisch pound                        hochdeutsch Pfund

niederdeutsch apen                           englisch open                          hochdeutsch offen

niederdeutsch Tung                          englisch tongue                       hochdeutsch Zunge

niederdeutsch Water                        englisch water                         hochdeutsch Wasser

niederdeutsch Book                          englisch book                          hochdeutsch Buch

Wie das Hochdeutsche so wird auch das Niederdeutsche in verschiedene Dialektverbände eingeteilt. Deren Bezeichnungen und geographische Lage ist der Karte 1 zu entnehmen.

Die Linien des Rheinischen Fächers, zu denen noch andere als die in die Karte 2 eingezeichneten zählen (z. B. die Korf/Korb-Isoglosse), laufen im Rothaargebirge nördlich von Siegen an der maken/machen-Grenze zusammen. Die von diesem Atlas erfassten Dialekte von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes fallen in den mittleren und südlichen Teil des Rheinischen Fächers und bilden folglich eine vielgestaltige und somit äußerst interessante Dialektlandschaft. Mit der dat/das-Linie (vgl. Karte 6 das) verläuft durch beide Bundesländer die Grenze zwischen den Dialektverbänden Moselfränkisch und Rheinfränkisch. Die Dialekte an und nördlich der Ahr haben bereits Anteil am Ripuarischen (vgl. z. B. Karte 9 Fest). Im äußersten Südosten herrschen schon oberdeutsche Sprachverhältnisse. Die Südpfalz hat verschobenes p, also Apfel, Pfund, Strumpf (vgl. Karte 75).

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.