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Kirchenempore
Das Mittelhochdeutsche kennt das Substantiv bor ‘oberer Raum, Höhe’. In die neuhochdeutsche Standardsprache ist das Wort nicht gelangt, aber in dem Adverb empor ‘hinauf, aufwärts’ ist es noch greifbar. Auszugehen ist hierbei von althochdeutsch inbor ‘in die Höhe’, das sich aus der Präposition in und dem Substantiv bor ‘Höhe’ zusammensetzt. Das letztgenannte Wort führt auf die indogermanische Wurzel *bher- zurück, die die Grundlage für verschiedene Wörter mit der Bedeutungskomponente ‹hoch› bildet, zu denen z. B. auch neuhochdeutsch Berg gehört.
Etliche Dialektbezeichnungen für die Kirchenempore setzen mittelhochdeutsch bor fort. Das Wort kommt kaum als Simplex Bor (dialektal Boor) vor, sondern vielmehr als Erstglied in Zusammensetzungen wie beispielsweise Borkirche (dialektal Bohrkerch u. ä.) und Borbühne (dialektal Borbien u. ä.). Häufig erfolgt volksetymologische Anlehnung an Bord ‘Brett’, wahrscheinlich weil Emporen in zahlreichen Fällen Holzkonstruktionen darstellen. Wortbeispiele sind: Bordekerch, Bordbien und Port, dazu die abgeleitete Form Border. Die im Untersuchungsgebiet des Atlasses vertretenen Kompositionen mit Bor- sind: Bordöne, Bordiele und die bereits genannten Borbühne sowie Borkirche.
Das zweite Glied von Bordöne (dialektal Bordie, Bordee) lässt sich auf das Substantiv mittelhochdeutsch don(e) ‘Spannung’ zurückführen. Das Wort gehört zu neuhochdeutsch dehnen, das indogermanisch *ten- ‘ziehen, spannen, dehnen’ zur Grundlage hat. In den Dialekten bezeichnete das mittlerweile ausgestorbene Simplex Döne 1. die Zimmerdecke (die sich ja über dem Wohnraum ausdehnt), 2. den Tragbalken der Zimmerdecke und 3. das Obergeschoss des Hauses. Bordöne ist also wörtlich zu verstehen als ‘Gebälk in der Höhe’ oder ‘oberer Raum, Obergeschoss’, wobei Bor- tautologisch ‑döne verstärkt. Aus ‑döne ergeben sich die Dialektformen ‑die, ‑dee durch die regulären Entwicklungen: 1. Entrundung von ‑ö- zu ‑i- bzw. ‑e- (vgl. auch dialektal kihl ‘kühl’) und 2. Tilgung von ‑e am Wortende und anschließender Abfall von ‑n nach Langvokal (vgl. z. B. auch dialektal grie ‘grün’ und Zeh ‘Zähne’).
Bordiele (dialektal Bordiel, Bord(h)eel) wird vom Südhess. Wb. (I, 1023) mit Umdeutung aus Bordöne erklärt, da dieses Kompositum wie das erstgenannte feminines Genus aufweist, wohingegen das Simplex Diele ‘starkes Brett’ in den rheinhessischen Dialekten Maskulinum ist. (Vgl. auch oben die Anlehnung von Bor an Bord-.)
Bühne, das in Borbühne (dialektal Bordbien, Borbie u. ä.) als Grundwort fungiert, zeigt semantische Überschneidungen mit Döne (s. o.). Mittelhochdeutsch bün(e) bedeutet 1. ‘durch Bretter erhöhter Fußboden’ und 2. ‘Zimmerdecke’. In den Dialekten des Untersuchungsgebietes bedeutet Bühne vor allem 1. ‘Dachboden’, 2. ‘Obergeschoss der Scheune’ und 3. ‘Theater‑/ Saalbühne’. Die Wortinhalte lassen sich auf die Grundbedeutung ‘Brettergerüst, Decke’ zurückführen. Borbühne (bereits als mittelhochdeutsch borbüne belegt) ist wörtlich als ‘oberer Raum, Obergeschoss’ aufzufassen, wobei Bor- (wie bei Bordöne) ‑bühne tautologisch verstärkt. Bei Bordöne und Borbühne liegen übereinstimmende Bezeichnungsmotive vor. Das im Übergang zum Elsässischen auftretende Vorbühne (dialektal Vorbiehn) ist als volksetymologische Umdeutung von Borbühne einzustufen.
Das größte Wortareal im Kartengebiet konstituiert der Typus Borkirche (dialektal Bord(e)kerch, Bohrkerch u. ä.). Das Bestimmungswort Bor(d)- (s. o.) ist hier nicht wie bei den bisher behandelten Fällen mit einem Wort für ‘Obergeschoss’ kombiniert, sondern mit der Bezeichnung für das Gotteshaus: ‑kirche. Auch für das Mittelhochdeutsche lässt sich borkirche in gleicher Bedeutung belegen. Kirche, seit dem 8. Jh. überliefert, ist ein Lehnwort aus spätgriechisch kӯrikón ‘Gotteshaus’, das zu griechisch kӯriakós ‘zum Herrn gehörig’ (abgeleitet aus griechisch kӯrios ‘Herr’) gehört.
Um Mainz, d. h. es sind in erster Linie die untersuchten Mainzer Stadtteile, ist Chor das Wort für ‘Kirchenempore’. Der Ausdruck bezeichnete im Althochdeutschen zunächst den Gruppengesang und die Sängergruppe, dann auch den Altarraum, wo sich die Sänger versammelten. In der frühen Neuzeit, als die durchgängig zum Klerus gehörenden Chorsänger durch Laien ersetzt wurden, kam der den Geistlichen vorbehaltene Altarraum als Chorstandort nicht mehr in Frage. Dieser wurde auf die Kirchenempore verlegt, die darauf vielerorts die Bezeichnung Chor bekam. Das Wort ist im Althochdeutschen aus dem Lateinischen (chorus) übernommen worden, in dem es ursprünglich die Bedeutung ‘Rundtanz, Reigen; Sängerschar’ hatte.
Nach der gotischen Epoche fand die Orgel ihren festen Platz auf der Empore über dem Hauptportal der Kirche. Die Emporen wurden speziell nach den Anforderungen des Musikinstruments konstruiert und gestaltet (Orgelempore). Der Orgelprospekt dominierte, wie man heute noch in alten Kirchen eindrucksvoll sehen kann, in der Regel den gesamten Balkonbau. Wahrscheinlich damit hängt es zusammen, dass die Bezeichnung Orgel (dialektal Eul) auf ‘Empore’ übertragen wurde. Das Wort (althochdeutsch organa) ist aus lateinisch organa, dem Plural von organum ‘Musikinstrument, Orgelpfeife’ entlehnt.
Podium ist lediglich einmal belegt. Das Wort, das auch in der Standardsprache in der Bedeutung ‘erhöhter Vortragsplatz’ vorkommt, ist aus lateinisch podium ‘Erhöhung, Untergestell’ entlehnt. Der lateinische Ausdruck ist aus griechisch pódion ‘Füßchen’ übernommen.
Die Kanzel ist eigentlich – auch in den Dialekten – die Bezeichnung für den erhöhten, mit einer Brüstung versehenen Stand in der Kirche, von dem aus gepredigt wird. Kanzel wird aus vier Erhebungsorten für ‘Kirchenempore’ gemeldet. Das Pfälzische Wörterbuch, in dessen Arbeitsgebiet die Belegpunkte liegen, weist diese Bedeutung für das Pfälzische nicht aus. Es kann nicht entschieden werden, ob es sich bei den Meldungen um Explorationsfehler oder um eine seltene Bedeutungsentwicklung handelt, die das Pfälzische Wörterbuch nicht erfasst hat. Immerhin steht Kanzel für einen erhöhten Ort (vgl. auch Jagdkanzel). Mit dem Wort (althochdeutsch kanzella), aus lateinisch cancellī ‘Schranken’ entlehnt, war ursprünglich die Absperrung gemeint, die den dem Klerus vorbehaltenen Chorraum vom Kirchenschiff trennte. Dort stand der Ambo, von dem aus die Bibel ausgelegt wurde. Das Wort blieb Bezeichnung für den Predigtstand, nachdem dieser verlegt worden war.
Obenhinauf (dialektal Owwenuff u. ä.) ist ein feminines Substantiv, das aus den Adverbien oben und hinauf gebildet ist. Die Bezeichnung, die auf die erhöhte Position der Empore hinweist, ist nur vereinzelt, vor allem in der Vorderpfalz belegt.
Empore (dialektal Empor u. ä.) ist aus dem Adverb empor (s. o.) abgeleitet. Die Bezeichnung kommt schwerpunktmäßig in drei Regionen des Untersuchungsraums vor: in Rheinhessen, um Ludwigshafen sowie in der Südpfalz zwischen etwa Zweibrücken und Landau. Weitergehende Ausführungen zu Empore finden sich im Kommentar zum Kontrastblatt. [Anm. 1]
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.
Anmerkungen:
- Bei Interesse gerne weiterlesen in Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2014, S. 219. Zurück