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Rübenlicht
Ein Volksbrauch im Untersuchungsgebiet des Atlasses ist das Aufstellen von Rübenlichtern. In den dunklen Herbstwochen ausgeübt, fasziniert er besonders Kinder. Ein Rübenlicht wird angefertigt, indem man eine Futterrübe aushöhlt und anschließend aus der Knollenwand nach dem Vorbild eines Totenkopfs Mund‑, Nasen- und Augenöffnungen heraussticht. Im Innern der Schädelnachbildung entzündet man eine Kerze. Das ergibt einen gruseligen und schauderhaften Effekt, der besonders bei Kindern seine Wirkung entfaltet. Die Rübenlichter werden auf Fensterbänke oder vor die Haustüren gestellt.
Die Dialektbezeichnungen für das Rübenlicht sind gewöhnlich Zusammensetzungen. Als erstes Glied findet sich überwiegend das regional verbreitete Wort für ‘Futterrübe’, also Rummel- (z. B. Rummelboz), Klumpen- (z. B. Klumpenmann), Dickwurz(el) (z. B. Dickwurz(el)kopf) und Dickrübe‑, verkürzt Rübe- (z. B. Dickerübenmann, Rübenteufel). Zusammensetzungen mit Runkel- (z. B. Runkelmännchen) kommen wie das Simplex für ‘Futterrübe’ sehr selten vor. (Zur Verteilung der Dialektwörter für die Futterrübe vgl. Karte 14.1.)
Das Letztglied der Komposita bilden Wörter unterschiedlicher Semantik. Das Grundwort ‑kopf, z. B. in Rummelkopf (dialektal Rummelkopp u. ä.) und Rübenkopf (dialektal Riewekopp u. ä.) verweist auf die intendierte formale Ähnlichkeit der geschnitzten Futterrübe mit einem menschlichen Schädel. In der Bedeutungsübertragung von Totenkopf (dialektal Dodekopp u. ä.) wird die Ähnlichkeitsbeziehung noch exakter spezifiziert. Die Bedeutung ‘Kopf’ liegt auch dem Grundwort von Rübenhäfel (dialektal Riiwehäwl) zugrunde. Das Nomen Hafen (dialektal Hawe u. ä.) hat im Pfälzischen eigentlich den Inhalt ‘Topf’. In übertragener Bedeutung wird es aber auch im Sinne von ‘Kopf’ verwendet. Das Element ‑häfel stellt die Diminutivform des Wortes mit ‑el-Suffix dar. Mit dem Zweitglied ‑gesicht in Rummelgesicht und Rübengesicht wird speziell auf den vorderen Teil des Kopfes, dem die Schauseite des Rübenlichts entspricht, Bezug genommen.
Etliche Wortbildungen haben ein Grundwort, das die Sache als Leuchte bestimmt. Aufzuzählen sind: ‑fackel, (ein Lehnwort aus dem Lateinischen) in den Komposita Klumpenfackel sowie Dickwurzfackel und ‑licht sowie ‑funzel in Rübenlicht bzw. Rübenfunzel. Bei Funzel handelt es sich wohl um eine erst seit dem 18. Jh. nachgewiesene Ableitung auf ‑sel zu Funke. Des weiteren ist zu nennen ‑laterne, das nicht nur in Rübenlaterne, sondern auch als Simplex vorkommt. Dazu gehört das sprachlich verwandte Lanter. Die Wörter entsprechen den mittelhochdeutschen Varianten latern(e) bzw. lanterne, die aus gleichbedeutend lateinisch lāterna bzw. lanterna entlehnt wurden.
Bei dem Kompositum Lichtrummel weicht die Reihenfolge der Komponenten von dem üblichen Schema ab. Das sonst als Grundwort auftretende ‑licht übernimmt in diesem Fall die determinative Funktion des Bestimmungsworts und das in den anderen Fällen als Bestimmungswort fungierende Rummel- wird hier zur Basis der Zusammensetzung. Dadurch ändert sich die Perspektive auf den Gegenstand.
Bei zahlreichen Komposita bildet ‑mann oder das Diminutiv ‑männchen das Grundwort, z. B. Klumpenmann, Rummelmännchen, Rübenmännchen. Vielleicht hat hier die aus der Rübe herausgeschnitzte anthropomorphe Kopfform die Wortbildung bestimmt. In Frage kommt aber auch eine andere Erklärung: Mit Mann oder Männchen werden – nicht nur in den Dialekten – Schreckgestalten und Fabelwesen bezeichnet, vgl. z. B. Schwarzer Mann, Hakenmann ‘Wassergeist, der am Ufer spielende Kinder mit seinem Haken ins Wasser hineinzieht’, Heinzelmännchen und Sandmännchen. Das Rübenlicht soll Kinder ängstigen, es fungiert als Gespenst. Möglicherweise erfolgt hier die Bezeichnung in Anlehnung an die Schreckgestalten. Besonders offenkundig wird die Parallele bei den Benennungen Feuriger Mann (dialektal Feierische Mann) und Feuermännchen (dialektal Feiermännche). Das Bestimmungswort Feuer‑, das auch in Feuerteufel (dialektal Feierdeiwel u. ä.) vorkommt, verweist auf die brennende Kerze im Innern der ausgehöhlten Rübe.
Auf das Rübenlicht als Schreckgegenstand beziehen sich auch die Zusammensetzungen mit ‑teufel und ‑geist ‘Gespenst’, vgl. das soeben genannte Feuerteufel sowie Rübenteufel (dialektal Riewedeiwel) und Rübengeist (dialektal Riewegäschd). Auch Boz, das in dem Kompositum Rummelboz/ Rummelnboz (dialektal Rommelbooz u. ä./ Rommelebooz u. ä.) sowie einmal als Simplex vorkommt, gehört in diesen inhaltlichen Zusammenhang. Die Herkunft des Wortes, das sich ebenfalls in Butzemann ‘Poltergeist’ findet, ist ungeklärt (vgl. auch mittelhochdeutsch butze ‘klopfender Kobold, Poltergeist, Schreckgestalt’). Im Pfälzischen wird mit Boz unter anderem eine ‘Schreckgestalt, die Kinder ängstigt’ bezeichnet.
Auffällig ist, dass aus überdurchschnittlich vielen Orten keine Meldung vorliegt. Auf Grund der indirekten Sprachdatenerhebung lässt sich nicht beurteilen, ob in diesen Fällen Dialektwörter untergegangen sind (einen geeigneten standardsprachlichen Ersatz gibt es nicht) oder ob das Brauchtum unbekannt ist.
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.