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Karussell
Im gesamten Kartengebiet ist fast ausnahmslos eine Bezeichnung vertreten: Reitschule (dialektal Reitschul u. ä.). Das Motiv für die ungewöhnlich anmutende Benennung des Fahrgeschäfts wird klar, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Sache wirft. Die modernen Volksfestfahrgeschäfte sind aus den Reiterspielen des 17./18. Jh. hervorgegangen, die in den ritterlichen Wettkämpfen des Mittelalters Vorläufer hatten. Bei den nur für die höfische Gesellschaft veranstalteten Reiterübungen ging es darum, in verschiedenen Spielen Geschicklichkeit auf dem Pferd zu beweisen. Unter anderem musste man in einer der Übungen im Galopp mit einer Lanze einen Ring herunterstechen. Die Reiterspiele bezeichnete man mit einem französischen Lehnwort Karussell (im 17./18. Jh. Carrousel, Caroussel u. ä. geschrieben). Französisch carrousel bedeutet zur Zeit der Wortübernahme ‘Ringelstechen’ und bezieht sich damit auf eine der Geschicklichkeitsübungen zu Pferde (s. o.). Die Bezeichnung ist aus dem Italienischen übernommen. Sie geht wahrscheinlich auf ein Wort für ‘Fest’ zurück. Das Spiel selbst stammt aus Spanien und ist wohl maurischen Ursprungs.
Um 1700 entwickelte man eine mechanische Variante des Karussellspiels. An den Enden eines ebenerdig sich drehenden Kreuzes wurden Holzpferde angebracht. Um diese Drehvorrichtung stellte man die Ziele auf, also etwa die erwähnten Ringe, die von den Karussellreitern in kreisender Fahrt zu treffen waren. Später kamen die Geschicklichkeitsspiele aus der Mode, und die Kreisfahrt blieb das alleinige Vergnügen. In der weiteren Entwicklung des Karussells wurde das sich drehende Kreuz durch einen Boden ersetzt. Zu den Pferdefiguren kamen Nachbildungen anderer Tiere (Tiger, Hahn usw.) sowie verschiedener Fahrzeugtypen (Feuerwehrauto, Traktor usw.) hinzu.
Das Wort Reitschule und im übrigen auch das österreichische Ringelspiel verweisen auf den Ursprung des Karussells als Geschicklichkeitsspiel zu Pferde. Ebenso ist die Bezeichnung Karussell von dem Reiterspiel auf den sich daraus entwickelten Gegenstand übergegangen. Dieser Ausdruck ist im Erhebungsareal des Atlasses lediglich einmal südwestlich von Bad Kreuznach vertreten. Er kündigt ein großes Karussell-Areal an, das sich nördlich der Nahe anschließt.
Das zweimal gemeldete Kinderreitschule mit dem spezifizierenden Erstglied ist offensichtlich auf die Erhebungsmethode zurückzuführen. Das Dialektwort wurde onomasiologisch mit Hilfe einer Kinderkarussell-Abbildung erfragt.
Im Bliesgau und in Lothringen wird das Karussell Drill bezeichnet. Bei dem Beleg Reitschuldrill aus Gersheim (Ge) an der Blies handelt es sich offensichtlich um eine Verschmelzung der in dieser Region aufeinandertreffenden Ausdrücke Reitschule und Drill. Das zuletzt genannte Substantiv ist eine Rückbildung aus dem Verb drillen in der Bedeutung ‘drehen’. Vgl. hierzu auch Driller ‘Kreisel’ (Karte 70.1.).
Auf die Drehbewegung des Fahrgeschäfts bezieht sich auch die Bezeichnung Kaffeemühle. Laut Pfälzischem Wörterbuch (IV, 8) stellt das Wort eine scherzhafte Bedeutungsübertragung auf ein kleines Karussell dar.
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.