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weinen
Die Dialektbezeichnung für weinen wurde in dem Kontext Die Mädchen weinen erfragt. Den vom vorliegenden Atlas bearbeiteten Sprachraum teilen sich drei Wortareale, deren typisierte Leitformen heulen, greinen sowie flennen lauten. Im Standarddeutschen hat das Verb heulen (althochdeutsch hūwilōn, hūlōn) die Bedeutung ‘durchgehende, langgezogene und hohe Töne hervorbringen’. Die Verwendung im Sinne von ‘weinen, schluchzen’ ist eher umgangssprachlich. Das Wort (dialektal heile u. ä.) hängt mit Eule zusammen. Die ursprüngliche Bedeutung ist ‘schreien wie eine Eule’. Das schallnachahmende Verb wurde bald auf entsprechende Lautäußerungen anderer Tiere (Hund, Wolf, Fuchs) und schließlich auf den Menschen übertragen. Auch auf Sachen (Wind, Sirene) kann es metaphorisch bezogen werden. Der neutralen Bedeutung ‘weinen’, wie sie sich u. a. in den pfälzischen Dialekten findet, wird wohl eine spezifizierte zeitlich vorangegangen sein, die das Weinen in lauten, langgezogenen Tönen bezeichnet hatte.
Wie heulen ist auch greinen (dialektal groine u. ä.) ein onomatopoetisches Wort. Der mittelhochdeutsche Vorläufer grīnen (aus althochdeutsch grīnan) bedeutet ‘den Mund verziehen, und zwar lachend, weinend, knurrend oder winselnd’. In den deutschen Dialekten entwickeln sich davon ausgehend verschiedene Bedeutungen: ‘lachen, weinen, knurren, jammern, schimpfen’, aber auch der ursprüngliche Sinn ‘das Gesicht verziehen’ bleibt zum Teil erhalten. Manchmal ist greinen semantisch spezialisiert und bezeichnet eine besondere Art des Lachens (z. B. ‘spöttisch lachen’) oder Weinens (z. B. ‘leise vor sich hinweinen’). Auch das ähnlich klingende grinsen gehört etymologisch zu greinen. Im Atlasgebiet stellt greinen den neutralen Ausdruck für ‘weinen’ dar.
Das Verb flennen weist historisch semantische Parallelen zu greinen auf. Althochdeutsch flanēn bedeutet ‘den Mund verziehen’. Das Nomen mittelhochdeutsch vlans ‘Mund, Maul’ sowie umgangssprachlich neuhochdeutsch Flunsch ‘schmollend verzogener Mund’ schließen sich etymologisch an. Da der Mund sowohl beim Lachen als auch beim Weinen verzogen wird, entwickeln die dialektalen Nachfolger von althochdeutsch flanēn den Inhalt ‘lachen’ oder ‘weinen’, wobei wie bei greinen eine besondere Art des Lachens bzw. Weinens gemeint sein kann. In die überRegionale Umgangssprache ist das Wort in der Bedeutung ‘weinen’ eingegangen, die es auch in den meisten Dialekten hat.
Im äußersten Nordwesten des Untersuchungsgebietes finden sich wenige kreischen-Belege. Ihr Vorkommen markiert den Beginn eines Wortareals, das sich westlich in den Hunsrück und weit darüber hinaus erstreckt. Das Verb geht auf mittelhochdeutsch krīschen zurück und bedeutet eigentlich ‘schrill schreien’. Es gehört zu mittelhochdeutsch krīzen ‘schrill schreien, stöhnen’, das sich als neuhochdeutsch kreißen ‘in Geburtswehen liegen’ fortsetzt (vgl. auch Kreißsaal). Als Ursprung von kreischen wird Schallnachahmung angenommen. Das Wort kommt in der originären Bedeutung in zahlreichen Dialekten vor. Über die semantische Zwischenstufe ‘laut, schrill weinen’, die sich zumindest noch in der ersten Hälfte des 20. Jh. für einige areale Varietäten nachweisen lässt, hat das Verb den neutralen Inhalt ‘weinen’ entwickelt. Die Bedeutungen ‘schreien’ einerseits und ‘weinen’ andererseits sind in der Sprachlandschaft überwiegend komplementär verteilt.
Das Verb brüllen hat in der neuhochdeutschen Standardsprache den Sinn ‘laut und dumpf schreien’. Auch für den historischen Vorgänger mittelhochdeutsch brüelen ist diese Bedeutung belegt. Das Wort wird vor allem in Bezug auf Tiere (Löwe, Kuh usw.) gebraucht. Auf den Menschen übertragen, bedeutet es auch ‘mit großer Lautstärke rufen’. In den Dialekten des Arbeitsgebietes (und darüber hinaus) entwickelt sich ein weiterer Wortinhalt, nämlich ‘weinen’. Die für den Erhebungsraum dieses Atlasses zuständigen Dialektwörterbücher geben an, dass das Wort (dialektal brille u. ä.) ‘laut, schrill weinen’ bedeutet (vgl. Pfälzisches Wörterbuch I, 1282, Südhessisches Wörterbuch I, 1168). Möglicherweise hat der Abfragekontext, der das Verb in Zusammenhang mit Mädchen (also einem Kind) bringt (s. o.), die Selegierung ebendieser Variante aus dem weinen-Wortfeld gesteuert.
Aus der Pfalz wird viermal plärren (dialektal blärre u. ä.) gemeldet, und zwar stets als Variante zu einem anderen Wort. Auch in diesem Fall scheint der Abfragekontext die Synonymenwahl beeinflusst zu haben. Das onomatopoetische Verb lautet im Mittelhochdeutschen blēren/ blerren und bedeutet ‘blöken, schreien’. Es bezieht sich auf Tiere, besonders das Schaf. Ab dem 16. Jh. wird das Wort in der Bedeutung ‘schreien’ auch auf den Menschen übertragen. In zahlreichen Dialekten ist es der neutrale Ausdruck für ‘weinen’. In der Pfalz (aber nicht nur dort) wird plärren mehr im Sinne von ‘laut schreiend weinen’ verwendet.
Das Verb piensen (dialektal pienze u. ä.) ist eine Intensivbildung mit ‑sen zu dem lautmalenden Element pien (vgl. hierzu auch die Bildungen hopsen zu hoppen ‘hüpfen’ und grinsen zu greinen usw.). Bertram (1937, 170-171) hingegen sieht in piensen eine Bildung zu mittelhochdeutsch pīn ‘Pein’ mit der ursprünglichen Bedeutung ‘Leid empfinden’.
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.