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Stute
Das in den Dialekten des Arbeitsgebietes am häufigsten vorkommende Wort ist Stute (dialektal Stut u. ä.). Der Ausdruck führt auf germanisch *stōda- ‘Pferdeherde’ zurück. Es besteht Verbindung zu der Wurzel indogermanisch *stā, *stə- ‘stehen, stellen’, so dass als ursprüngliche Bedeutung ‘Standort, Aufenthaltsort der Herde’ angenommen werden kann. Das Althochdeutsche und das Mittelhochdeutsche bewahren jeweils mit stuot den germanischen Wortsinn. Gegen Ende des 14. Jh. beginnt die singularische Bedeutung ‘weibliches Pferd, Mutterpferd’ sich herauszubilden. Offensichtlich spielt bei dieser semantischen Entwicklung die Tatsache eine Rolle, dass eine Pferdeherde aus einem Hengst und mehreren Stuten besteht. An die untergegangene Kollektivbedeutung knüpft die im 16. Jh. erfolgte Neubildung Gestüt ‘Zuchtanstalt für Pferde’ an.
Im Süden des Erhebungsareals ist dreimal Machgaul belegt. Gaul ist in den rheinfränkischen Dialekten die (wertneutrale) Gattungsbezeichnung des Pferdes (vgl. Karte 34.1.). Mit der Komponente Mach- wird das weibliche Tier gekennzeichnet. Sie findet sich im Pfälzischen auch in anderen Zusammensetzungen wie Machhase, Machhund, Machgeiß usw. (vgl. auch Karte 31.1. Mutterschwein). Das Element Mach- stellt eine Rückbildung aus dem Verb machen ‘tun, erzeugen, herstellen, durchführen, bewirken’ dar. Das mittelhochdeutsche Wort machen, das wie althochdeutsch mahhōn das breite Bedeutungsspektrum des neuhochdeutschen Ausdrucks aufweist, enthält den Inhalt ‘erzeugen’ auch im Sinne von ‘gebären’. Machgaul ist demnach ‘das gebärfähige Pferd’, folglich ‘das weibliche Pferd’. Dem Verb machen liegt die Wurzel indogermanisch *maǵ- ‘kneten’ zugrunde, die im Germanischen im Zusammenhang mit dem Lehmbau die darauf bezogene Bedeutung ‘mit Lehm verschmieren; formen, zusammenfügen’ entwickelt. Noch im Althochdeutschen wird das Verb im Sinne von ‘zusammenfügen, ‑bringen’, später dann: ‘verfertigen’ verwendet.
Aus Guntersblum (Gu) (südl. von Oppenheim) wird Füllergaul (dialektal Fillergaul) und aus Finkenbach (Fb) (nördl. Rockenhausen) Füllegaul (dialektal Fillegaul) gemeldet. Der erste Kompositumsbestandteil entspricht Füllen mit Entrundung von ‑ü- zu ‑i- in den Dialekten. Das Wort – althochdeutsch fulīn, mittelhochdeutsch vülī(n), vül(n), vüle – ist eine alte Diminutivbildung zu Fohlen mit dem Verkleinerungssuffix germanisch *-īna. Das Nomen Fohlen, das über mittelhochdeutsch vol(e), althochdeutsch folo auf gleichbedeutend germanisch *fulōn zurückführt, gehört offensichtlich zu einer indogermanischen Wurzel mit der Bedeutung ‘klein, gering, wenig’. Fülle(r)gaul ist also ursprünglich ‘das Pferd, das Fohlen hervorbringt’.
Südlich Speyer ist einmal Mähre belegt. Das Wort geht auf germanisch *marhī/jō- ‘Stute’, eine movierte Form zu germanisch *marha- ‘Pferd’, zurück. Das Althochdeutsche hat mer(i)ha, das Mittelhochdeutsche merhe. Der (wertneutrale) Inhalt ‘Stute’ bleibt in der Schriftsprache bis ins 16. Jh. bestehen. Vom 16. bis zum 18. Jh. bezeichnet das Wort allgemein die Gattung ‘Pferd’. Vom Ende des 17. Jh. an etabliert sich die Bedeutung ‘altes, abgetriebenes Pferd’. Möglicherweise hängt die Bedeutungsänderung damit zusammen, dass Stuten schneller altern. Im Dialekt ist der ursprüngliche Sinn ‘Stute’ erhalten geblieben.
Vereinzelt wird die allgemeine Gattungsbezeichnung Gaul oder Pferd gemeldet (vgl. die Karte 34.1.). Für das Auftreten der Belege gibt es drei Erklärungsmöglichkeiten: 1. Den Gewährspersonen ist die geschlechtsspezifische Bezeichnung nicht bekannt. 2. Die Gewährspersonen geben Perd bzw. Gaul an, weil sie Stut für nicht oder weniger dialektal halten. 3. Es wird nach dem Muster Pferd (‘Stute’) – Hengst bzw. Gaul (‘Stute’) – Hengst differenziert. Diese Erklärungsmöglichkeit gewinnt an Plausibilität durch die Fälle, in denen Gaul und Stute als Varianten an einem Belegpunkt vorkommen. Womöglich ist Stute die jüngere, aus dem Standarddeutschen entlehnte Form. Die Übernahme des neuen Worts ermöglicht die Beseitigung der Doppeldeutigkeit von Gaul (1. ‘Pferd’, 2. ‘Stute’).
Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.