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wachsen / Ochse
Die Wörter wachsen und Ochse haben im Mittelhochdeutschen die Form wahsen bzw. ohse. Vor s wurde h generell als schwacher Reibelaut (ch) artikuliert. Die „flüchtige“ Aussprache führte bereits im Mittelhochdeutschen über große Flächen zum Ausfall von h. Lediglich weite Teile des Bairischen blieben von diesem Prozess ausgenommen. Dort hatte sich hs zu ks entwickelt. Auch im Obersächsischen war ks verbreitet. Der Lautstand in jenen Gebieten entspricht also dem unserer heutigen Standardsprache, in der zwar chs geschrieben, aber ks gesprochen wird, also wacksen ‘wachsen’ Ockse ‘Ochse’, Fucks ‘Fuchs’, Acksel ‘Achsel’ usw. Ab dem 16. Jahrhundert wurden in den Dialekten die h-losen Formen, die sich im Übrigen durchgehend auch im Niederdeutschen finden (wassen ‘wachsen’, Oss ‘Ochse’, Foss ‘Fuchs’ usw.), unter dem Einfluss der Literatursprache durch Formen mit ks fortschreitend ersetzt. Der Ersetzungsprozess mit Stoßrichtung von Süden nach Norden verlief aber nicht systematisch, sondern wortweise-singulär. Dabei spielten offenbar die Bedeutung und Gebrauchshäufigkeit der Wörter eine entscheidende Rolle. Ich will das anhand dreier Wortbeispiele für das Rheinland illustrieren. Das Zahlwort sechs hat sess fast vollständig verdrängt. Die Grenze sess/sechs überschreitet den Rhein nördlich von Düsseldorf. Zum „Siegeszug“ der sechs-Form hat zum einen die Schule (man denke vor allem an den Mathematikunterricht) mit dem Standarddeutschen als angestrebter Norm und zum anderen der überregionale Handel mit Waren, bei dem naturgemäß mit Zahlen umgegangen wird, beigetragen. Die Linie, die nördliches Oos vom südlichen Ochs trennt, überquert den Rhein nördlich von Koblenz, diejenige, die waße von wachse scheidet, liegt weiter südlich bei St. Goar.
Die Karten 16 und 17 zeigen die Verbreitung von waße und wachse bzw. Oos und Ochs in unserem Dialektraum. Es ist deutlich erkennbar, dass das waße-Gebiet im Vergleich zum Oos-Gebiet eine wesentlich größere Fläche einnimmt. Das wachse-Areal um Koblenz ist auf stadtsprachlichen Einfluss auf das Umland zurückzuführen. Der Kontakt der ländlichen Bevölkerung mit der Stadt führte zur Übernahme der als höherwertig eingestuften stadtdialektalen wachse-Variante. Die beiden Oos-Inseln südlich von Koblenz bewahren den alten Zustand. Sie stellen somit Reliktgebiete dar, über die die Sprachentwicklung gewissermaßen hinweggeschritten ist. Es wäre lohnend zu untersuchen, warum sich die Dialekte der Neuerung entzogen haben. Das Üüs-Areal an der Obermosel hat über das Luxemburgische Verbindung zum Westeifler Uuas. Dieser Form liegt die Entwicklung von o zu u zugrunde, die in großen Teilen des Moselfränkischen eintritt, vgl. etwa fruh ‘froh’, Rus ‘Rose’, gruß ‘groß’ usw. An der Obermosel nimmt u jedoch einen ü-ähnlichen Klang an. Bei wachse liegt teilweise „Verdumpfung“ von a zu o/ò vor (woße, wòße). Die größere Reichweite der Form Ochs im Vergleich zu wachse lässt sich dadurch erklären, dass Ochse als Bezeichnung für ein Handelsobjekt ein Marktwort ist, das beim überregionalen Warenaustausch verwendet wird. Der Ausdruck wachsen hingegen ist eher als neutral zu bewerten.
Der im gesamten ehemaligen h-Ausfall-Gebiet des Hochdeutschen (unsystematisch) erfolgte Formenersatz betrifft den Grundwortschatz. Der Sonderwortschatz der Landwirtschaft blieb zum Teil ausgespart. Fast überall im einstigen Gebiet mit h-Ausfall heißt noch heute bei den alten Dialektsprechern die Deichsel Daisel, Disel, Daistel usw. und die Leuchse – das ist die Runge am bäuerlichen Leiterwagen – Lais, Liis, Lees usw.
Anmerkung zu den Dialektbelegen in den Karten: Das im Schriftgrad verkleinerte a z. B. im Beleg wò(a)ße symbolisiert einen lautlich reduzierten a-ähnlichen Vokal (Selbstlaut). Der Laut ist eingeklammert, da es Belege mit ihm und ohne ihn gibt.
Literaturverzeichnis
Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).
Hinweise zu den Karten
Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.
Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.
Zitierhinweis
[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.
z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.