Das Kriegsende in Mainz
In den Morgenstunden des 22. März 1945 fuhren die ersten amerikanischen Panzer, von Hechtsheim und Bretzenheim kommend, in das Stadtgebiet von Mainz ein. Gegenwehr gab es nicht. Für die Mainzer Bevölkerung war der Krieg zu Ende. Viele empfanden diese Stunden als Befreiung von der bedrückenden NS-Herrschaft, aber auch von der Angst vor den Luftangriffen und den vielen Nächten in den Luftschutzkellern, die das Leben in den letzten Kriegsmonaten bestimmt hatten. Nun konnten die Menschen aufatmen, auch wenn sie einer ungewissen Zukunft unter einer fremden Besatzung entgegensahen.
Die Amerikaner begannen umgehend mit dem Aufbau einer Militärverwaltung. Dafür hatte man über zwei Jahre lang Offiziere und Soldaten unter Mitwirkung von deutschen Emigranten vorbereitet. Zur Organisation der Versorgung der Bevölkerung benötigte man jedoch auch örtliche deutsche Mitarbeiter. So wurden rasch unter der Leitung des eingesetzten Oberbürgermeisters Dr. Rudolph Walther die wichtigsten Dienststellen mit in Mainz verbliebenen politisch unbelasteten städtischen Mitarbeitern besetzt. Mit dem Wiederaufbau der Polizei wurde der frühere SPD-Abgeordnete Jakob Steffan beauftragt; das Baudezernat wurde Carl Dassen, zuvor Leiter des Tiefbauamtes, übertragen. Der Alltag der Bevölkerung wurde durch zahlreiche von der Militärverwaltung erlassene Verbote und Vorschriften, z.B. Ausgangssperren, eingeschränkt. Als einziges Blatt, mit dem amtliche Anordnungen bekanntgemacht wurden, durften ab 27. April 1945 die „Mainzer Nachrichten“ erscheinen, andere Zeitungen waren verboten.
Am 9. Juli 1945 übergaben die Amerikaner gemäß den Absprachen der Alliierten Mainz und Rheinhessen an die Franzosen. Der Rhein war nun die Grenze zwischen den beiden Besatzungszonen, die nur mit besonderer Erlaubnis überschritten werden durfte. Die Franzosen bauten eine hierarchische Militärverwaltung auf. Das französische Oberkommando hatte seinen Sitz in Baden-Baden; dem Stadtkreis Mainz stand
als Kreisdelegierter Colonel Louis Théodore Kleinmann vor. Die Militärverwaltung überwachte anfangs
die Bevölkerung streng. Belastend waren auch die Beschlagnahmungen von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden. Die Kulturabteilung der französischen Militärverwaltung bemühte sich andererseits sehr bald
nach dem Krieg um den Wiederaufbau eines kulturellen Lebens in der stark zerstörten Stadt Mainz.
Lebensverhältnisse in Mainz vom Kriegsende bis zur Währungsreform
In der französisch besetzten Zone herrschte eine bedrohliche Lebensmittelknappheit. Die landwirtschaftliche Produktion ging infolge des Mangels an Arbeitskräften, Zugtieren, Maschinen, Saatgut und Düngemitteln drastisch zurück. Erschwerend kam hinzu, dass auch die französischen Besatzungssoldaten von den Erzeugnissen des Landes ernährt werden mussten. Außerdem requirierten die Franzosen nicht nur fast die gesamte Wein- und Tabakernte, sondern auch große Mengen an Butter, Fleisch und Eiern. Daneben fehlte es an Heizmaterial, Kleidung und Schuhen. Alle lebensnotwendigen Güter waren, wie schon während des Krieges, bewirtschaftet und nur „auf Karte“ erhältlich. Die Preise wurden vom Oberregierungspräsidium Hessen-Pfalz festgesetzt. Daneben entwickelte sich allerdings ein blühender Schwarzmarkt. Der Regierungspräsident für Rheinhessen, Jakob Steffan, ging gegen jene Bauern vor, die große Mengen an Kartoffeln, Fleisch und anderen Produkten zurückhielten. Im Oktober 1945 ließ er in den Dörfern Plakate aufhängen, mit denen Bauern angeprangert wurden, die ihrer Ablieferungspflicht nicht nachkamen.
Bei gemeinsamen Razzien von deutscher und französischer Polizei stellte man große Mengen an Kartoffeln sicher. Die schlechte Ernte des Jahres 1947 verschlimmerte die Lage. Die Bäcker mussten dem Brotteig 50% Maismehl beimischen. Kuchen backen wurde verboten. Bierbrauen war ebenso verboten, da man die Braugerste zum Brotbacken benötigte. Erst nach der Währungsreform vom 20. Juni 1948 normalisierte sich die Versorgungslage der Bevölkerung allmählich. Aber noch bis Anfang 1950 waren bestimmte Grundnahrungsmittel rationiert. Für den Verbrauch von Gas und Strom wurden pro Haushalt Höchstmengen festgesetzt. Der Gonsenheimer und der Ober-Olmer Wald wurden durch Holzdiebstahl stark geschädigt.
Auch die medizinische Versorgung war unzureichend. Im Sommer 1947 brach eine Typhusepidemie aus; acht Patienten der Mainzer Universitätsklinik starben. Infolge der Unterernährung stieg auch die Tuberkulose stark an. Viele Kinder litten an Mangelkrankheiten. Der schlechte Gesundheitszustand war auch eine Folge der katastrophalen Wohnverhältnisse.
In Mainz waren bei Kriegsende rund 80% der Wohnungen ganz zerstört oder durch Bomben beschädigt. Ein Teil der Bevölkerung war auf das Land evakuiert worden und wollte zurückkehren. In der Stadt lebten viele Menschen in Kellern, teilzerstörten Häusern und Bunkern. Ausgedehnte Barackenlager befanden sich u.a. auf der Ingelheimer Aue, an der Wallstraße und an der Neutorstraße – erst 1960 konnten die meisten dieser Notunterkünfte abgerissen werden. Die dringlichste Aufgabe bestand daher in der Instandsetzung von Wohnungen, die jedoch durch den Mangel an Material, Maschinen und Arbeitskräften erschwert wurde. Jeder Sack Zement, jede Ladung Steine mussten von der Militärregierung „deblockiert“ werden. Neubauprojekte waren vor der Währungsreform überhaupt nicht durchführbar.