Mainz in Rheinhessen

Bierstreiks in Mainz zu Beginn des 20. Jahrhunderts

von Wolfgang Stumme

0.1.Der Streik der Mainzer Biertrinker im Jahre 1906

Ein halber Liter Bier kostete 10 Pfennig, als am 2. Juli 1906 die Mainzer Volkszeitung meldete, dass ein neues Brausteuergesetz [Anm. 1] verabschiedet worden sei.
In der Präambel zu diesem Gesetz hieß es: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, für das innerhalb der Zollinie liegende Gebiet des Deutschen Reichs, jedoch mit Ausnahme der Königreiche Bayern und Württemberg, des Großherzogtums Baden, Elsass-Lothringens, des Großherzoglich-Sächsischen Vordergerichts Ostheim und des Großherzoglich Sachsen-Koburg und Gothaischen Amtes Königsberg, was folgt:"
§ 2 Abs. 1, Satz 1 präzisierte, dass „die Brausteuer von dem zur Bierbereitung verwendeten Malze und Zucker erhoben wird.“ Die Steuer betrug weniger als einen Pfennig pro Liter.
Schon am nächsten Tag meldete Mainzer Volkszeitung, dass „die Brauereien in unserem Verbreitungsgebiet eine gleichzeitige Preiserhöhung vereinbart“ hätten. Zwei Tage später Tage folgte die Meldung, dass die Brauereien in Norddeutschland ebenfalls die Preise erheblich angehoben hätten.
Wie sensibel die Mainzer Biertrinker auf diese Preiserhöhung reagierten, zeigte sich am 7. Juli: Der Bierumsatz in den Mainzer Gaststätten sei auf ein Viertel des bisherigen Umsatzes gesunken, meldete die Zeitung. Weiter hieß es: „Die Biersteuer war den Brauereien willkommener Anlass, eine maßlose Preiserhöhung durchzuführen, die z. B. der Schöfferhofbrauerei bei einem Umsatz von 265.000 hl einen Gewinn von 165.500 Reichsmark bringen wird.“
Damit war der Stein ins Rollen gebracht.
Am 30. August veröffentlichte dieselbe Zeitung einen Leserbrief zum Thema ‚Indirekte Steuern und Brausteuer‘. Einen Tag später folgte dann diese Anzeige:
"EINLADUNG.
Volksversammlung in der Mainzer Stadthalle am Montagabend, 8 Uhr.
Tagesordnung: Die indirekten Steuern unter besonderer Berücksichtigung der Brausteuer.
Die Bevölkerung hat die Pflicht, flammenden Protest einzulegen
gegen die heimliche Ausbeutung des werktätigen Volkes."
[Anm. 2]

In derselben Ausgabe hatte ein Mainzer Gastwirt inseriert, dass er das Bier wieder zum alten Preis abgibt. Das Bier ließ er aus Regionen kommen, in denen es keine drastischen Preiserhöhungen gab.
Zu der Versammlung am 3. September 1906 kamen 6.000 Menschen. Der Mainzer Reichstagsabgeordnete Dr. Eduard David, der selbst am Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen war, forderte die Protestversammlung auf, „keinen Tropfen Bier zu erhöhtem Preis“ zu trinken. Ohne Gegenstimmen wurde diese Forderung beschlossen und ein Boykottkomitee wurde gegründet.
Bereits am 5. September sank der Bierabsatz gegen Null. Einen Tag darauf konnte man in Mainz lesen, dass in Frankfurt alle Vereine beschlossen hatten, keine Versammlungen mehr in Gastwirtschaften abzuhalten, die überhöhte Bierpreise verlangten. Ja, 680 Wirte weigerten sich ihrerseits, das zu teure Bier auszuschenken.
Die Mainzer Volkszeitung unterstützte die Aktionen des Boykottkomitees, indem sie von da an in ihren Ausgaben regelmäßig folgende Zeile abdruckte: „Der Kampf gegen den Bieraufschlag dauert fort. Trinkt nur Biere zu alten Preisen oder andere Getränke!“ Gleichzeitig bot sie Gastwirten Sonderrabatte an, wenn diese in Anzeigen darauf hinwiesen, dass sie kein teures Bier führten. Bereits einen Tag nach der ersten Veröffentlichung dieses Aufrufes wurden die Namen von acht Wirten durch Flugblätter bekannt gemacht, die Bier zu den alten Preisen ausschenkten. Die übrigen Wirte verkauften nur noch ca. zehn Prozent des vorherigen Absatzes. In der Innenstadt waren überall Boykottaufrufe zu sehen.
Am 8. September traf sich der Parteivorstand der Sozialdemokraten mit den Vorständen aller Gewerkschaften. Sie beschlossen, den Boykott zu unterstützen und drohten ihren Mitgliedern: „Wer den Boykott bricht, wird wie ein Streikbrecher behandelt.“ Dies bedeutete den Partei- bzw. den Gewerkschaftsausschluss. Zwei Tage später versuchte die ‚Brauerei zum Birnbaum‘ zu den alten Preisen zurückzukehren. Die anderen Mainzer Brauereien konnten das aber verhindern.
Am 15. September informierte die Mainzer Volkszeitung, dass die Bierpreisboykotts in Hanau und Frankfurt beendet seien. In Hanau gab es das Bier wieder zum alten Preis, in Frankfurt wurde die Preiserhöhung um drei Viertel zurückgenommen.
Zwei Tage später verschärften Sozialdemokraten und Gewerkschaften die Gangart. Sie beschlossen ebenfalls, keine Versammlungen mehr in Gastwirtschaften abzuhalten, in denen überteuertes Bier verkauft wurde und forderten ihre Mitglieder auf, vor den teuren Gaststätten die Gäste vom Biertrinken abzuhalten.
Am 22. September endete der Bierkrieg erfolgreich auch in Offenbach. Fünf Tage später boten die Mainzer Brauereien Verhandlungen an, am 29. September 1906 gab es in Mainz wieder überall Bier zum alten Preis. [Anm. 3]

Streik der Brauereiarbeiter im Jahre 1909

Im Zusammenhang mit den ab 1908 geführten Verhandlungen über einen Anschluss-Tarifvertrag, die sich über zehn Monate hinzogen,[Anm. 4] begannen die Brauer in den über 30 Mainzer Bierbrauereien gemeinsam auf ihre schlechte Arbeitssituation aufmerksam zu machen. [Anm. 5] In der in Mainz gedruckten Volkszeitung informierten sie darüber sachlich und ausführlich. [Anm. 6] Auf die Unternehmen des Braugewerbes machte das jedoch keinen großen Eindruck. Diese hielten die Arbeitsbedingungen für vertretbar, denn sie unterschieden sich nicht sehr von denen im Karosseriebau, der Lederindustrie oder im Bauhandwerk. Der Direktor einer großen Weisenauer Brauerei beteuerte sogar, dass seine Brauereiarbeiter geradezu ‚fürstlich‘ leben würden.

Am 17. Mai 1909 wurde in der Stadthalle eine Versammlung abgehalten, bei der sich über 5.000 Personen mit dem Lohnkampf im Brauereigewerbe befassten. [Anm. 7] Der dabei beschlossene Bierboykott richtete sich ausschließlich gegen die größte Mainzer Brauerei, die Mainzer Aktienbrauerei, und die rechtsrheinische Groß-Gerauer Unionbier. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen wurden die Namen von 112 Flaschenbierhändlern und 118 Wirten, die Bier von diesen Brauereien anboten, veröffentlicht - mit dem Kommentar: „Kein denkender Arbeiter darf Bier aus der Mainzer Aktienbrauerei und der Brauerei ‚Union‘-Groß-Gerau trinken. Es gilt die um bessere Lebenshaltung ringenden Brauereiarbeiter in ihrem berechtigten Vorgehen zu unterstützen.“

Am 18. Mai 1909 brachte die Mainzer Volkszeitung einen ausführlichen Bericht über die soziale Lage der Bierbrauer:
„Die Arbeiter in den Brauereien wurden tariflich in vier Gruppen eingeteilt. Die Brauer waren in der Lohnklasse I; die Arbeiter in der Lohnklasse II; entsprechend niedriger waren die Handwerker und schließlich die Hilfsarbeiter eingestuft.
Die über mehrere Jahre geltenden Tarife wurden auch dann nicht angepasst, wenn die Lebensmittelpreise um 25 % anstiegen.
Der Arbeitsverdienst reichte in allen Lohngruppen nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Dabei waren Aufwendungen für Schuhe, Kleidung, Hausbrand und Neuanschaffungen nicht berücksichtigt.
Dies zwang zu übermäßigen Überstunden und sonntäglicher Arbeit mit dem Ergebnis, dass die Arbeiter nur selten ihre Kinder sahen. Denn sie gingen, wenn diese noch schliefen und sie kamen, wenn sie schon wieder schliefen. Hierunter litt das Familienleben, zumal auch die Frauen arbeiten gehen mussten.
Die Bildungschancen der Kinder konnten so nicht gewahrt werden.
Die ständige Unterernährung, das Wohnen in zu engen und häufig feuchten Wohnungen, aber auch der ständige Temperaturwechsel am Arbeitsplatz führten besonders im Brauereigewerbe zu Rheuma und Lungentuberkulose.
Das Durchschnittsalter lag bei nur 37 Jahren.
Je größer die Brauereien waren, desto mehr mussten die Brauereiarbeiter leisten: Während in der Sonnenbrauerei – umgerechnet – ein Arbeiter764 Hektoliter im Jahr produzierte, waren es in der Schöfferhofbrauerei 1267, in der Altmünsterbrauerei 1307 und in der Mainzer Aktienbrauerei 1638 Hektoliter.
Die Brauereiarbeiter prangerten in diesem Zusammenhang die exorbitant hohen Gewinne der großen Aktienbrauereien sowie die stattlichen Dividenden für die Kapitaleigner an.“

Eine weitere Protestversammlung der Mainzer Brauereiarbeiter folgte am 6. Juni 1909 im „Goldenen Pflug“. [Anm. 8]
Der im Juni 1909 abgeschlossene Tarifvertrag brachte zwar einige Veränderungen. Eine grundlegende Verbesserung der sozialen Lage der in den Brauereien Beschäftigten konnte nicht erreicht werden. Schon bald hatte sich das Brauereigewerbe davon erholt und der Bierabsatz florierte wieder. Unterstützung erhielten die Brauereien von etwas besser bezahlten Brauereiarbeitern [Anm. 9], die ihre Kollegen bei den Verhandlungen nicht unterstützten und vor allem durch das Großherzogliche Gewerbeamt, das massiv geschönte Darstellungen über die Lohnsituation verbreitete. [Anm. 10]
Die Aktionäre waren mit dem Ausgang des Streiks sehr zufrieden.

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Brüchert, Hedwig: Haustrunk, Wohnzwang, Streiks. In: Brüchert, Hedwig, Engelen, Ute (Hg.): Frisch vom Fass – Geschichte des Bierbrauens in Mainz, Begleitband zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz vom 15. Juni 2012 bis 3. Februar 2013. Mainz 2012, S. 79 - 83.
  • Stumme, Wolfgang: Der Mainzer Hauptfriedhof II – Menschen und ihre letzten Ruhestätten. 31 neue Porträts. Ingelheim 2013.

Aktualisiert am: 21.07.2016

Anmerkungen:

  1. Deutsches Brausteuergesetz vom 3. Juni 1906 (Reichsgesetzblatt Nr. 32, S. 675). Zurück
  2. Volkszeitung vom 31. August 1906. Zurück
  3. Vgl. hierzu auch: Stadtbuch für Mainz, Wiesbaden, o. J, S. 68 – 70. Zurück
  4. Vgl. Brüchert, Hedwig: Haustrunk, Wohnzwang, Streiks. In: Brüchert, Hedwig, Engelen, Ute (Hg.): Frisch vom Fass – Geschichte des Bierbrauens in Mainz, Begleitband zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz vom 15. Juni 2012 bis 3. Februar 2013. Mainz 2012, S. 79 - 83. Zurück
  5. Vgl. Stumme, Wolfgang: Der Mainzer Hauptfriedhof II – Menschen und ihre letzten Ruhestätten. 31 neue Porträts. Ingelheim 2013, S. 80 ff. Zurück
  6. Vgl.: Volkszeitung vom 19. August 1908 und 30. September 1908. Zurück
  7. Vgl.: Volkszeitung vom18. Mai 1909. Zurück
  8. Vgl.: Volkszeitung vom 7. Juni 1909. Zurück
  9. Der ‚Bund der Braugesellen‘ setzte sich überwiegend aus Vorgesetzten der Brauereiarbeiter zusammen. Vgl.: Volkszeitung vom 19. August 1908, 18. Mai 1909, 7. Juni 1909 und, 30. September 1909. Zurück
  10. Vgl.: Volkszeitung vom 7. Juni 1909. Zurück