Das Mainzer Liebfrauenstift
Das verschwundene Kollegiatsstift wurde auch Maria zu den Staffeln oder Mariengreden genannt. Auf der Ostseite des Domes stößt man noch heute auf einige - 1975 aufgestellte - Sandsteinblöcke. An dieser Stelle stand die Kirche bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Ihr Aussehen ist leider nur von alten Stichen bekannt.
Die Kirche ging aus einem ursprünglich zum Dom gehörenden Gebäudekomplex hervor. Dieser war Teil einer Anlage, die auf die Durchführung von Großveranstaltungen (z.B. Krönungen) ausgerichtet war. Offensichtlich war in den Anfangsjahren hier der Haupteingang; denn die beiden Türflügel des heutigen Dom-Marktportals, die aus der Zeit des Erzbischofs Willigis stammen, waren wahrscheinlich damals hier eingebaut. Während der Willigis-Dom aus Mitteln des Domstiftes errichtet wurde, finanzierte die Bürgerschaft der Stadt das Kollegiatsstift. Erzbischof Siegfried I. von Eppstein (1060-1084) erweiterte die Gebäude und weihte die Kirche samt Anbau am 23.11.1069 ein. Um die Kirche von den anderen Mainzer Marienkirchen zu unterscheiden, nannte man sie - in Anlehnung an die vielen Stufen, welche von der Rheinseite her zu ihrem Hauptportal im Osten hoch führten - St. Maria ad Gradus (zu den Stufen) bzw. Mariengreden.
Anfang des 13. Jahrhunderts wurde die Kirche renoviert, aber im Frühjahr 1285 brannte sie ab, Turm und Gewölbe stürzten ein. Daraufhin wurde der romanische Bau durch einen gotischen Neubau ersetzt und 1311 durch Erzbischof Peter eingeweiht. Südlich der Kirche schloss sich ein kleiner Kreuzgang an. Am 5.9.1367 schlug der Blitz in die Kirche ein. Der Schaden konnte rasch behoben werden.
Am 7.8.1561 brannte die Kirche erneut ab. Mit dem Holzwerk der Kirche wurden 18 Häuser in der Nachbarschaft ein Raub der Flammen. Da ein Wiederaufbau aus finanziellen Gründen nicht sofort möglich war, mussten die Stiftsgeistlichen ihren Gottesdienst mehrere Jahre in der St. Moritzkirche abhalten. Erst unter Erzbischof Daniel (1555-1582) entstand die Kirche als prächtiger Neubau. Optischer Mittelpunkt war der prachtvolle, von allen Seiten durchsichtige Turm über dem Gewölbe der Sakristei, und das unvergleichliche Portal des Osteingangs, zu welchem eine Steintreppe von 12 Staffeln (Stufen) und einem 1 Meter breiten Absatz in der Mitte führte. Das kunstvolle Portal hatte einen doppelt geteilten Zugang und darüber ein reich verziertes Bogenfeld mit einem gotischen Giebel, dessen Spitze 14 Meter über dem Erdboden lag. Auf der Südseite der Kirche stand eine mit der Kirche verbundene Kapelle, die dem hl. Aegidius geweiht war. 1763 zählte das Stift 16 Stiftsherren, 5 Domizellare und 16 Vikare. Die Liebfrauen-Kirche war die Taufkirche des Domes - das heute im Querhaus des Domes stehende Taufbecken stand ursprünglich hier - und Wallfahrtskirche. Die Kirche und die Stiftsgebäude wurden, nachdem sie bei der Belagerung der Stadt in der Nacht vom 28. auf den 29.06.1793 abgebrannt waren, im Jahr 1804 vollständig niedergerissen.
Nachweise
Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff
Verwendete Literatur:
- Brilmayer, Karl Johann: Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichte der bestehenden und ausgegangenen Städte, Flecken, Dörfer, Weiler und Höfe, Klöster und Burgen der Provinz Rheinhessen nebst einer Einleitung. Neudruck. Würzburg 1985.
- Dengel-Wink, Beate: Die ehemalige Liebfrauenkirche in Mainz. Ein Beitrag zur Baukunst und Skulptur der Hochgotik am Mittelrhein und in Hessen. Mainz 1990.
Aktualisiert am: 25.09.2014