Mainz wird Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz
„Le siège de ce Land est fixé à MAYENCE”, hieß es in der Ordonnanz Nr. 57, mit der die französische Besatzungsmacht am 30. August 1946 die Gründung des Landes Rheinland-Pfalz anordnete. Doch bereits der nächste Satz im zweiten Artikel dieser Anordnung wies darauf hin, dass dies erst dann der Fall sein könne, wenn die wohnlichen Voraussetzungen dies erlauben. [Anm. 1] Somit war Mainz zwar bereits 1946 von den Franzosen zum Sitz der Landesregierung und des Landtags bestimmt worden. Wegen des Mangels an Sitzungsräumen und Büros infolge der starken Zerstörungen durch die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg hatte man Landtag und Landesregierung jedoch zunächst in Koblenz untergebracht. Anschließend gab es in der Region Koblenz, dem Gebiet der ehemaligen preußischen Rheinprovinz, starke Bestrebungen, dieses Provisorium zum Dauerzustand zu machen. [Anm. 2]
Infolgedessen gingen die Mainzer in die Offensive: Obwohl in Mainz immer noch nicht genügend bezugsfähige Gebäude für Landtag, Landesregierung und Landesverwaltung vorhanden waren, verkündete der Mainzer Oberbürgermeister bereits im Dezember 1948, dass dem Umzug der Landeshauptstadt in seine Stadt nichts mehr im Wege stünde. Die Landesregierung und die französische Militärregierung sahen das Ende 1948 zwar noch anders, aber als die Hauptstadtfrage immer mehr mit der Akzeptanz und dauerhaften Existenz des Landes verknüpft wurde, musste Ministerpräsident Altmeier handeln, um die Zukunftsfähigkeit des noch jungen Landes zu festigen. Die Existenz des neuen Landes wurde aufgrund der mangelnden historischen Verbundenheit der verschiedenen Regionen von Anfang an immer wieder in Frage gestellt und in allen Teilen des Landes gab es Politiker, die für die Auflösung von Rheinland-Pfalz und die Angliederung ihrer Regionen an Nachbar-Bundesländer kämpften. Und als sich auch 1949 in der Hauptstadtfrage nichts tat, sahen sich die Mainzer bereits betrogen und wurden in ihrem Protest gegen die noch nicht erfolgte Verlegung der Hauptstadt nach Mainz immer vehementer, während die Koblenzer immer offener für einen Verbleib von Landtag und Landesregierung in ihrer Stadt warben. Beide Städte wiesen auf die von ihnen für den Wiederaufbau getätigten Investitionen hin. [Anm. 3]
Ministerpräsident Peter Altmeier (CDU) wollte den Landtag frei über die Hauptstadtfrage entscheiden lassen und nicht nur die Verordnung der Franzosen zur Grundlage des Umzugs der Landeshauptstadt machen. Dadurch sollte eine größere Akzeptanz für die neue Hauptstadt bei der Bevölkerung erzielt werden. Nach Verhandlungen mit der französischen Besatzungsmacht hob diese den Artikel zwei der Ordonnanz Nr. 57 auf, sodass die rheinland-pfälzischen Volksvertreter nun Entscheidungsfreiheit in der Hauptstadtdiskussion hatten – wenngleich der Ministerpräsident und die französische Militärregierung sicher von einem Votum für den Umzug nach Mainz ausgingen. Doch die Abstimmung am 4. April 1950 führte zu einer Blamage: 43 Abgeordnete stimmten für, 43 – darunter auch viele aus Altmeiers Regierungsfraktion – gegen den Umzug von Landtag und Landesregierung nach Mainz. Die französische Militärverwaltung war brüskiert und fühlte sich nun – wie auch die Mainzer – von der Landesregierung getäuscht. Die Besatzungsmacht reagierte mit der Beschlagnahmung von Räumlichkeiten in Mainz und Koblenz. In Mainz diskutierte man jetzt offen den möglichen Anschluss von Rheinhessen an Hessen. Nach ausgiebigen Verhandlungen mit den Fraktionen stimmte der Landtag schließlich in einer weiteren Abstimmung am 16. Mai 1950 doch noch mit 49 Ja-Stimmen, bei 32 Nein-Stimmen, für den Umzug in die Domstadt. [Anm. 4]
Damit war Mainz Landeshauptstadt, wie es bereits die Verordnung Nr. 57 der französischen Besatzungsmacht vorgesehen hatte. Wenngleich dieser Beschluss der Verlegung des Sitzes der Regierung deutlich härter umkämpft gewesen war, als Altmeier und die Franzosen erwartet hatten. Der Umzug des Landtags und der Landesregierung aus ihren Ausweichquartieren in Koblenz nach Mainz spielte langfristig für die Bindung der südlichen Landesteile der Pfalz und Rheinhessens an das neue Land und damit für den dauerhaften Weiterbestand von Rheinland-Pfalz eine wichtige Rolle. In der Debatte zur Landeshauptstadtfrage hatte auch immer wieder die Frage nach der langfristigen Existenz des Landes eine Rolle gespielt: So hatten insbesondere Befürworter einer Auflösung von Rheinland-Pfalz den Umzug der Hauptstadt als unnötig abgelehnt. [Anm. 5]
Im zerstörten Mainz wurde nach dem Beschluss in aller Eile das Deutschhaus für den Landtag wieder aufgebaut, während die Staatskanzlei im benachbarten ehemaligen Zeughaus ihren Sitz fand. Neben dem Umzug der Landeshauptstadt trug auch der wirtschaftliche Aufschwung dazu bei, dass die Gegensätze zwischen Nord und Süd, zwischen Rheinländern und Pfälzern, zunehmend verblassten. Das Bindestrich-Land, ohne historische Tradition, dessen Teile herausgelöst waren aus ihren früheren Zugehörigkeiten zur preußischen Rheinprovinz, zu Bayern und zu Hessen, in dem Rheinländer und Pfälzer sich lange argwöhnisch gegenüberstanden, fand nach und nach zusammen. Die Landeshauptstadt Mainz, trug als eine Art Klammer zwischen Norden und Süden, ihren Teil zur Stabilisierung und Konsolidierung des neuen Landes bei: Besonders für die Pfälzer war die Hauptstadt im näher gelegenen Mainz viel akzeptabler als im stets bekämpften Koblenz. [Anm. 6]
Nachdem der Landtag den Umzug nach Mainz beschlossen hatte, stand auch der Südwestfunk (SWF) vor der Frage, wie er seine Landespräsenz in Rheinland-Pfalz organisieren sollte. Nach kontroversen Diskussionen in den SWF-Gremien, Auseinandersetzungen mit der Landesregierung und Konflikten mit verschiedenen Regionen (so wurde etwa das Koblenzer Studio in der Folge zu einer regionalen Zweigstelle abgestuft) kam es zur Gründung des neuen „Landesstudios Rheinland-Pfalz“ in Mainz, das am 1. September 1951 seinen Betrieb aufnahm. [Anm. 7]
Nachweise
Verfasser: Felix Schmidt
Verwendete Literatur:
- Dorfey, Beate: Stationen, Determinanten und Ausmaß der Konsolidierung des Landes, in: Beiträge zu 50 Jahre Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. von Heinz-Günther Borck, Koblenz 1997, S. 89-114.
- Kahlenberg, Friedrich P./Kißener, Michael: Kreuz - Rad - Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte Bd. 2. Vom ausgehenden 18. bis zum 21. Jahrhundert, Mainz 2012.
- Kißener, Michael: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. 2 verb. Aufl., Karlsruhe 2008.
- Wagner, Edgar: „Packt an! Habt Zuversicht!“ Über die Entstehung des Landes Rheinland-Pfalz und seinen Beitrag zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland, Mainz 2007.
- Wirth, Eva: Koblenz oder Mainz? Die rheinland-pfälzische Hauptstadtfrage, in: „…dass diese Entscheidung sich auswirken möge zum Wohl von Volk und Land.“ 60 Jahre Hauptstadtbeschluss des Landtags, hg. von Der Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz, Mainz 2010, S. 65 - S. 140.
Erstellt am: 21.09.2016
Anmerkungen:
- Kißener, Michael: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. 2 verb. Aufl., Karlsruhe 2008, S. 57. Zurück
- Kahlenberg, Friedrich P./Kißener, Michael: Kreuz - Rad - Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte Bd. 2. Vom ausgehenden 18. bis zum 21. Jahrhundert, Mainz 2012, S. 130; Wirth, Eva: Koblenz oder Mainz? Die rheinland-pfälzische Hauptstadtfrage, in: „…dass diese Entscheidung sich auswirken möge zum Wohl von Volk und Land.“ 60 Jahre Hauptstadtbeschluss des Landtags, hg. von Der Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz, Mainz 2010, S. 69. Zurück
- Kahlenberg/Kißener 2012, S. 130; Wirth 2010, S. 77 und S. 81ff. Zurück
- Kahlenberg/Kißener 2012, S. 130f.; Wirth 2010, S. 91f. Zurück
- Vgl. Dorfey, Beate: Stationen, Determinanten und Ausmaß der Konsolidierung des Landes, in: Beiträge zu 50 Jahre Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. von Heinz-Günther Borck, Koblenz 1997, S. 100; Wirth 2010, S. 118ff. Zurück
- Vgl. Wirth 2010, S. 132f.; Kahlenberg/Kißener 2012, S. 131. Zurück
- Vgl. Kahlenberg/Kißener 2012, S. 462; Wagner, Edgar: „Packt an! Habt Zuversicht!“ Über die Entstehung des Landes Rheinland-Pfalz und seinen Beitrag zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland, Mainz 2007, S. 107. Zurück