Die Mainzer Stadtmauer
Von der Römerzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war Mainz eine befestigte Stadt. In Gefolge der Anlage der römischen Festung auf der Höhe des Kästrichs im ersten Jahrhundert nach Christus entstand allmählich eine bürgerliche Siedlung im Bereich der heutigen Altstadt. Nach der Aufgabe des Limes Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Rhein Grenze. Die Mainzer Festung auf der Höhe verlor ihre militärische verlor, die bürgerliche Siedlung dagegen gewann an Bedeutung. Wie so viele andere Gemeinwesen wurde Mainz in aller Eile mit einer starken Mauer, mit Toren und Türmen umgeben, die Reste der Festung wurden abgetragen. So entstand in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts die erste Stadtmauer. Sie sollte für mehr als anderthalb Jahrtausende die äußere Umfassungslinie der Stadtsiedlung bilden.
Die spätere mittelalterliche Stadtmauer gründete fast durchweg auf den spätrömischen Mauern. Das von dieser ersten Mauer umschlossene Gebiet wurde, abgesehen von der mittelalterlichen Vorstadt Selenhofen-Vilzbach, erst am Ende des 19. Jahrhunderts von der neuzeitlichen Stadterweiterung überschritten. Die Stadtmauer verlief parallel zur heutigen Rheinstraße (die bis in das 19. Jahrhundert das Rheinufer bildete) vom Holzturm bis zum Kurfürstlichen Schloss, von dort, landeinwärts umbiegend, parallel zur hinteren Bleiche bis zur Ecke der Gärtnerstraße, dann hinauf zum Kästrich (Alexanderturm). Von dort verlief sie weiter die Kästrichstraße entlang zum Gautor. Die Höhe des Kästrich, die noch bis ins 19. Jahrhundert überwiegend aus Gärten und Weinbergen bestand, musste in die Stadtmauerumgürtung einbezogen werden, damit sie einem potentiellen Gegner als strategische Stellung nicht zur Verfügung stand. Vom Gautor verlief die Mauer an Eisgrubweg, Hopfengarten, Strickergasse und Holzstraße entlang wieder zum Rhein.
Wie viele Türme die römische Stadtmauer besaß, ist nicht mehr feststellbar. Sie wird wohl an den Ecken, vielleicht auch in gewissen Abständen im Mauerbering und vor allem zur Flankierung der Tore Türme gehabt haben, die am Graben, am Gautor, an der Münsterstraße/Ecke Bilhildisstraße, am Peterstor (Ecke Hintere Bleiche/Gerichtsstraße) und am Brückentor (dem späteren Mühltor am Ausgang der Zeughausgasse) den Zugang zur Stadt ermöglichten.
Von dem spätrömischen Mauerring (ca. zwei Meter dick, sechs Meter hoch und 4 Kilometer lang) haben sich nur Reste in den Fundamenten erhalten. Lediglich der Alexanderturm steht noch, wenn auch sein aufragendes Mauerwerk aus dem Mittelalter stammt. Die übrigen stellenweise am Kästrich noch sichtbaren Mauerreste sind verbaut oder niedergelegt worden. Innerhalb des Mauerrings bildete sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte eine neue stadtähnliche Siedlung.
Unter der drohenden Normannengefahr wurden die Stadtmauern in den Jahren 881/882 gründlich ausgebessert und instandgesetzt. Gleichzeitig wurde ein neuer Graben ringsum gezogen (Annales Fuldenses, MG.SS. I, S.370 oder Oktavausgabe S.48). Diese wieder hergestellte römisch-karolingische Stadtmauer hatte einen solch hohen Schutzwert, dass die aufständischen Herzöge Konrad der Rote und Liudolf sich vor dem anrückenden König Otto I. dem Großen im Jahr 953 hierher in Sicherheit brachten. Otto I. belagerte die Stadt zwei Monate vergeblich und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Von der karolingischen Stadtmauer sind nur einige Tore bekannt: die Porta St. Quintini (das spätere Peterstor, damals aber Quintinstor genannt), die Porta Hrahhada (=Reede) und das ehemalige römische Brückentor.
Im Laufe der folgenden Jahrhunderte ist diese römisch-karolingische Stadtmauer von den Mainzern stets in Ordnung gehalten und durch zusätzliche Türme verstärkt worden. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts schrieb Otto von Freising in seinen "Gesta Friderici" (MG.SS. 20, S.359), Mainz sei "mit einer starken Mauer und nicht wenigen Türmen umgeben" gewesen. Da der Verlauf der spätrömischen-mittelalterlichen Mauern im Wesentlichen unverändert blieb und die Gemeinde sich innerhalb des weiträumigen Berings ausdehnen konnte, gibt der älteste Mainzer Stadtplan von Maskopp (1575) und der sog. Schweickhardtsplan (1625/26), sowie die Kupferstiche von Mathias Merian (1630, 1633, 1635, 1637) und Wenzel Hollar (1632-34) wohl ein zutreffendes Bild der Befestigungsanlagen wieder.
Die mittelalterliche Stadtmauer
Der Aufstand der Ministerialen und Bürger von Mainz gegen Erzbischof Arnold im Jahr 1160, der mit dessen Ermordung endete, hatte Folgen für die Stadt. Drei Jahre später befahl Kaiser Friedrich I. Barbarossa, die Stadtmauern dem Erdboden gleichzumachen. Eine Ausführung dieses kaiserlichen Strafbefehls unterblieb allem Anschein nach. Wie allgemein üblich hat man wohl nur die Tore und Türme unbrauchbar gemacht und Breschen in den Mauerring geschlagen. Die mehr oder weniger stark beschädigten Mauern wurden erst seit 1198 mit Erlaubnis König Philipps von Schwaben wieder ausgebessert. Wie in Worms und Speyer mußten sich auch in Mainz die umliegenden Ortschaften an der Finanzierung beteiligen, bzw. die bauliche Pflege und Bewachung bestimmter Mauerabschnitte übernehmen.
Aus dieser Renovierungszeit stammt das mächtige Portal des Eisenturms. Die Obergeschosse stammen aus dem 14./15. Jahrhundert. Ein zweites romanisches Tor, die einstige Wingertspforte, die vermutlich schon im 14. Jahrhundert beim Neubau des Holzturms (damals Neuturm genannt) zugemauert wurde, war 1902 tief im Boden steckend aufgefunden worden. Das heutige Gelände und die Straßenhöhe liegen um einige Meter höher als im Mittelalter.
Mehr als hundert Jahre scheint diese um 1200 wiederhergestellte, durch neue Tore, Tortürme und Grabenanlagen verstärkte römisch-karolingisch-romanische Stadtmauer der Stadt ausreichenden Schutz gewährt zu haben. Im Laufe der 13. Jahrhunderts wurde auch der Ort Selenhofen (seit 1206 bereits mit Wall und Graben versehen) in den erneuerten Mauerring einbezogen. Der bisherige Stadtgraben wurde ausgefüllt und zur Straße verwandelt (Graben- und Neuturmgasse = heutige Holzstraße): der am Rhein stehende bisherige Eckturm der Stadtmauer wurde durch einen neuen Torturm (Neuturm = Holzturm) ersetzt.
Im Verlauf des Mainzer Bistumsstreits (Schisma) belagerte 1328/1329 Erzbischof Balduin von Trier die Stadt Mainz, die auf Seiten des Erzbischofs Heinrich von Virneburg stand. Die Städter zerstörten die vor den Stadttoren liegenden Klöster St. Jakob, St. Alban und St. Viktor, um den Angreifern keine Angrifssbasis in die Hände zu geben. Des weiteren errichteten sie um das Kloster Jakobsberg auf der Höhe des Schönberges (heutige Zitadelle) ein Bollwerk, um die dort gefährdete Seite der Stadtmauer zu schützen. Dazu zogen sie einen Graben und einen bemannten Wall um das Kloster. Auch der Ort Vilzbach scheint damals mit Gräben und Wällen befestigt worden zu sein.
Der Krieg von 1329 hatte für die Stadt Mainz verheerende Folgen, denn Kaiser Ludwig verhängte die Reichsacht über sie. Diese sollte erst aufgehoben werden, wenn die zerstörten Klöster wieder aufgebaut und die vereinbarten hohen Entschädigungssummen vollständig bezahlt waren. Schon wegen der finanziellen Verpflichtungen, welche die Stadt viele Jahrzehnte bedrückten, war an einen weiteren Ausbau der Stadtmauern nicht zu denken. Erst als im Jahr 1375/76 Kaiser Karl IV. die an die Stadt Mainz und an Heinrich von Jungen gemeinsam verpfändeten Orte und Burgen Oppenheim, Schwabsburg, Nierstein, Odernheim, Nieder- und Ober-Ingelheim sowie Winternheim für 71.000 Goldgulden löste, konnte die Stadt weitere Verstärkungspläne für die Stadtmauer verwirklichen.
Der äußere Graben und die äußere Mauer (im Bereich Windmühlberg, vom Neidharts- und Neudeckerturm aus um das Gautor herum auf der Höhe des Kästrichs bis zum Münstertor) wurden damals angelegt. Bei dieser Gelegenheit entstanden wohl auch das äußere Münstertor und die äußere Gaupforte (der spätere Martins- oder Pulverturm, der am 18.11.1857 in die Luft flog). Der mittlere Gautorturm, der sog. Brückenturm, wurde erst um 1438 erbaut. In seinem Fundament sind jüdische Grabsteine, datiert bis 1420, verbaut worden, die nach der Judenverfolgung 1438 vom Judensand geraubt wurden. Zwischen dieser äußeren Mauer und der inneren Stadtmauer verlief nach Maskopps Plan von 1575 noch eine schwächere, niedrigere, mittlere Mauer, der innere Zwinger (vom Neudeckerturm bis zum Münstertor).
Während der Hussitenkriege (1418-1436) verstärkten die Mainzer erneut ihre Mauern. Von 1432 ab wurde die rechtsrheinische Kasteller und die linksrheinische Mainzer Landwehr angelegt bzw. erneuert und verstärkt. Die Befestigung, bestehend aus Graben, Wall und Gebück, zog sich um das ganze der Stadt gehörende Gebiet. (Die Mainzer Mark von Weisenau zum Höhenrand des Zahlbacher Tals, dann hinüber zum Hauptstein und Hattenberg, die Predigerhohl hinunter und wieder zum Rhein, zur Wildbach- und Gonsbachmündung). Auch in den folgenden Jahr(zehnt)en wurde immer wieder an der Stadtmauer gearbeitet, ohne dass man bestimmte Mauerteile bestimmten Jahren zuordnen könnte. So stammen die oberen Stockwerke des Eisen- und des Holzturms, vor allem die Scharwachttürmchen, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Die gesamte Stadtmauer, die zum Rhein hin eine Mauerstärke bis 1,70 Meter aufwies und zur Landseite in ihren spätrömisch-karolingischen Teilen bis 3 Meter dick war, wurde durchweg um etwa 2 Meter erhöht, mit neuen Zinnen, einem Wehrgang, einer inneren Brüstungsmauer mit Erkern und Maschikulis (vor allem über den Toren) und mit bis zu 30 Meter hohen Türmen versehen. Auch der vorher schon von Graben und Wall umgebene Vorort Vilzbach wurde als Vorwerk mit Mauern und Türmen (Gitz- und Liedenturm) ausgebaut. Außerdem wurde die Verschanzung des Jakobsbergs erneuert.
Die Stadtbefestigung nach der Stiftsfehde von 1462
Die Stadtbefestigung trotzte bis 1462 allen Angriffen. In diesem Jahr - es ist die Zeit der großen Mainzer Stiftsfehde - wurde Mainz durch Erzbischof Johann von Nassau erobert. Sie verlor damals ihre Selbständigkeit und wurde eine kurmainzische Residenzstadt ohne eigene Verwaltung. Die Eroberung war nur durch Verrat und Überrumpelung möglich gewesen. Einer regelrechten Belagerung hätte die Stadt mit ihren festen Mauern wohl mühelos widerstanden.
Nachdem die Erzbischöfe das Regiment in der Stadt übernommen hatten, ließen sie zwischen 1478 und 1481 am unteren Ende des Rheinufers, an der Stelle, wo bisher der Grynsturm die Ecke der Stadtmauer schützte, die Martinsburg errichten.
Die mittelalterliche Stadtmauer entsprach dann im 16. Jahrhundert nicht mehr den Erfordernissen des "modernen" Kriegswesens: Für die neuartigen Kanonen waren die Mauern zu schwach. Deshalb wurde Mainz seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zur Festung ausgebaut mit Schanzen, Befestigungswerken und Bastionen ausgebaut.
Nachweise
Verwendete Literatur:
- Börckel, Alfred: Geschichte von Mainz als Festung und Garnison von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Mainz 1913.
- Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 2.2: Stadt Mainz. Bearb. v. Ewald Wegner. Worms 1988.
- Dumont, Stefan: Die mittelalterliche Stadtbefestigung von Mainz -online.
Aktualisiert am: 30.09.2014