0.Mainz im 14. Jahrhundert
0.1.Bürger und Ratsherren
Das Jahr 1244 markiert den Beginn eines oft als 'Goldenes Zeitalter' betitelten Abschnitts der Mainzer Stadtgeschichte. Im November jenes Jahres erhielt die Stadt ein umfangreiches Privileg von dem Mainzer Erzbischof Siegfried III. Darin gestattete er den Bürgern unter anderem die freie Wahl ihrer Ratsherren. Damit war die Bevormundung der Bürger durch die bischöflichen Stadtherren beendet und ein Gremium von 29 Ratsherren unter der Führung zweier Bürgermeister regelte die Belange von Bürger und Stadt.
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts geriet diese Form der politischen Ordnung immer mehr in die Kritik: Erfolgreiche Händler, Handwerker und Kaufleute verlangten politische Partizipation und Mitsprache in einem Gremium, das sich aus Mitgliedern der traditionellen Führungsschicht rekrutierte und sich gegen Aufsteiger weitestgehend abschottete. Eben jene Aufsteiger hatten jedoch ein wichtiges Argument für sich: Der wirtschaftliche sowie politische Aufstieg und der Wohlstand der Stadt wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Der Handel war ein starkes Rückgrat für die Stadt. Als sichtbares Zeichen der florierenden Wirtschaft entstand 1317 das Mainzer Kaufhaus am Brand.
Nach vielen Jahren der Auseinandersetzung wurde die Zusammensetzung des Gremiums 1333 geändert: Neben die 29 Ratsherren aus den alten 'Geschlechtern' traten 29 von den Zünften gewählte Ratsherren, die von nun an auch auch politisch die Geschicke der Stadt mitbestimmten. Jedoch blieb die Trennung in 'alter Rat' und 'neuer Rat' auch weiterhin bestehen. Als am 6. Juli 1434 der neu gewählte Erzbischof Dietrich von Erbach sein Amt antrat, erließ der Rat der Stadt im Rahmen seiner Bemühungen, die Finanzen der Stadt wieder aufzurichten, in den Jahren 1437 bis 1444 die erste Mainzer Kaufhausordnung.
Die Mainzer Bürger bzw. ihre Ratsherren hatten im 14. Jahrhundert eine eigene Verwaltung, entschieden selbst über Besteuerung, machten eine eigenständige Außenpolitik und verfügten über erhebliche wirtschaftliche Macht (Kontrolle über das Kaufhaus). Dennoch sahen sich die Mainzer Bürger immer noch der dominierenden Stellung des Mainzer Erzbischofs ausgesetzt. Er besetzte z.B. noch das Stadtgericht - was Mainz jedoch nicht unbedingt zum Nachteil gereichte, da die mitunter als 'Diadem des Reiches' betitelte Stadt ihren Glanz nicht zuletzt der herausragenden Stellung ihrer Erzbischöfe zu verdanken hatte. Als Sitz des 'Erzkanzlers' des Reiches war Mainz von der politischen und wirtschaftlichen Landkarte des hohen Mittelalters nicht wegzudenken.
0.2.Das "Goldene Mainz"
Den Besuchern der Stadt Mainz bot sich im 14. Jahrhundert das prächtige Bild einer über Jahrhunderte hinweg gewachsenen Stadt, in der sich neben dem vor 1317 errichteten mächtigen Kaufhaus weitere prachtvolle Patrizierhöfe und imposante öffentliche Gebäude befanden. Die Stadt wurde im Hochmittelalter von Zeitzeugen als 'Goldenes Mainz' betitelt und zählte um das Jahr 1300 ca. 20-25 000 Einwohner. Das 14. Jahrhundert sollte trotz dieser guten Ausgangsposition den beginnenden Niedergang der Stadt einläuten: Um 1400 war Mainz nur noch eine Mittelstadt von 5000 bis 10 000 Einwohnern. Die Pest hatte wie überall im Reich einen Großteil der Menschen dahingerafft und brachte eine katastrophale Haushaltslage und große innerstädtische Konflikte mit sich.
Das 14. Jahrhundert zählte zu den turbulentesten Jahrhunderten in der Mainzer Geschichte. Die Stadt hatte mit verschiedenen Problemen zu kämpfen: Politische Auseinandersetzungen, sowohl im Inneren als auch nach außen, soziale Probleme, Krankheiten und Missernten und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage setzten der Stadt schwer zu.
0.3.Zwiespältige Erzbischofswahl
Bereits 1328 gab es einen Bruch in der bis dato so erfolgreichen Geschichte der 'Freien Stadt' Mainz: nach dem Tod des Mainzer Erzbischofs Matthias von Buchegg konnte man sich nicht auf einen Nachfolger einigen. Es kam zu erheblichen Spannungen zwischen Domkapitel und Papst, so dass schließlich sogar ein Schisma die Stadt und ihre Parteien spaltete. Der Mainzer Rat entschied sich für den päpstlichen Kandidaten und folgte ihrer generell propäpstlichen Linie, was sie in Konflikt mit dem Domkapitel brachte. Schließlich kam es sogar zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, die nicht die letzte im 14. Jahrhundert bleiben sollte. Überhaupt standen sich Stadt und Geistlichkeit in jener Zeit unversöhnlich gegenüber. Zeitweilig wurde über Mainz sogar die Reichsacht verhängt, was hohe Schadensersatzforderungen nach sich zog - und Steuererhöhungen. So waren die Konflikte auf hochpolitischer Ebene immer auch die Konflikte jedes einzelnen Bürgers. Auch in der Frage der Gerichtsbarkeit gab es große Konflikte: die Geistlichen bestanden vehement auf ihrem Recht der Befreiung vom weltlichen Gericht. Überhaupt war die Vielzahl der geistlichen Privilegien dem Rat ein Dorn im Auge.
0.4.Pest, Missernten und wirtschaftlicher Abschwung
Die Pestwellen des 14. Jh. - die auch in Mainz nach Schätzungen bis zu 30% der Bevölkerung dahingerafft haben könnten - und andere Krankheiten führten dazu, dass sich eine gesteigerte Frömmigkeit und intensivere Religionsausübung in der Bevölkerung ausbreitete. Das war eine logische Konsequenz der damaligen Denkweise, die Krankheiten als Gottes Strafe für Verfehlungen und Sünden ansah und das persönliche Seelenheil bedrohte. Aus jener Logik heraus sind die auch in Mainz stattfindenden Judenpogrome zu erklären.
Neben diversen Seuchen wurde die Mainzer Bevölkerung auch von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen heimgesucht. Die militärischen Auseinandersetzungen dieser Jahre hinterließen ebenfalls ihre Spuren. Durch eine ganze Reihe von Missernten hatte eine enorme Teuerung der Lebensmittelpreise eingesetzt, vor allem die Getreidepreise waren für viele Menschen nicht mehr zu bezahlen. Zahlreiche Hungertote waren die Folge. Gegen Ende des 14. Jh. setzte eine Zuwanderung vom Land ein, die die dezimierte Bevölkerung jedoch kaum auf ihr ursprüngliches Niveau heben konnte. In wirtschaftlicher Hinsicht war dies katastrophal, weil ein großer Arbeitskräftemangel herrschte - ein Faktor, der auch in Zeiten des wirtschaftlichen 'Abschwungs' in Mainz von Bedeutung war.[Anm. 1]
0.5.Frankfurt löst Mainz als Hauptwirtschaftszentrum ab
Schon seit der Römerzeit hatte Mainz aufgrund seiner Lage an Rhein, Mainzufluss und verschiedenen Fernhandelstraßen einen Standortvorteil inne, der für die Entwicklung des Handels entscheidend war. So wurde die Stadt zu einem wichtigen Wirtschaftszentrum im Mittelalter. Vom 10. bis zum 13. Jahrhundert war die Stadt Mainz wirtschaftlich eine der bedeutendsten Standorte im Reich. Im Verlauf des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verlor Mainz seine führende wirtschaftliche Stellung im Rhein-Main-Gebiet, während die wirtschaftliche Bedeutung Frankfurts zunahm. In mancher Hinsicht hat Mainz vom Aufschwung der Frankfurter Messen profitiert. Je erfolgreicher sich Frankfurt freilich zu einem Treffpunkt der großen Unternehmen im Kredit- und Warenhandel entwickelte, desto mehr band die Messestadt traditionelle Mainzer Handelsbeziehungen nach Osten und Südosten innerhalb ihrer Mauern. Mainz, dem es trotz wiederholter Versuche nicht gelang, selbst Messestandort zu werden, zählt zu den Verlierern der weiträumigen Veränderungen innerhalb der europäischen Waren- und Geldströme im 14. und 15. Jahrhundert.
In den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts verschlechterte sich die Situation der städtischen Finanzen nachhaltig. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen Patriziat und Zünften. Es war ein Teufelskreis, in den Mainz geriet. Konnte der städtische Rat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, mussten die Bürger der Kommune für die Schulden aufkommen und ihre Güter wurden beschlagnahmt. Mainz konnte unter diesen Bedingungen kaum als interessanter Standort für überregional operierende Handelsunternehmer gelten.
Alle Versuche, die dramatische Lage in den Griff zu bekommen, scheiterten. Die finanzielle Lage war schließlich so aussichtslos, dass der Mainzer Rat 1446 befreundeten Städten und damit faktisch Frankfurt anbot, die Stadt als Pfand zu nehmen. Als das wirtschaftlich geschwächte Mainz schließlich 1462 erobert wurde, weigerte sich der siegreiche Erzbischof, die Schulden der Stadt Mainz zu bezahlen. Viele Mainzer Gläubiger, an erster Stelle Frankfurter Kreditgeber, verloren ihre hohen Außenstände.
0.6.Die Frankfurter Messen
Bereits im Jahr 1240 war der Jahrmarkt der Reichsstadt Frankfurt vom Kaiser mit besonderen Vergünstigungen ausgestattet worden. Als um 1300 die Anziehungskraft der großen Messen in der Champagne nachließ, stieg die Stadt zum bedeutendsten Messeplatz im Reich auf. Frankfurt lag verkehrsgünstig gelegen am Main, unweit seiner Mündung in den Rhein, und zudem im Schnittpunkt bedeutender Landstraßen.
Zunächst puliserte das Wirtschaftsleben vor allem während der 14-tägigen Messe zwischen den beiden Frauentagen (15. August bis 8. September). Im Jahr 1330 kam eine Frühjahrsmesse hinzu. [Anm. 2] Als die während des 14. Jahrhunderts blühenden Friedberger Messen, die auf den Tuchhandel spezialisiert waren, [Anm. 3] sich terminlich mit Frankfurt abstimmten und dank ähnlicher Veranstaltungen in der Wetterau praktisch ständig eine Messe am Main stattfand, mussten die Mainzer ihre vergeblichen Versuche, eine konkurrenzfähige Messe am Rhein zu etablieren, [Anm. 4] endgültig aufgeben.
Es gelang Mainz in einigen Geschäftsfeldern, die wirtschaftlich dominierende Stellung Frankfurts zum eigenen Vorteil zu nutzen, sich als Verteilerzentrum in das Netz der anderen Handelsmetropolen wie Köln, Nürnberg und Straßburg einzufügen. An eine Expansion war allerdings nicht mehr zu denken.
Nachweise
Redaktionelle Bearbeitung: Elmar Rettinger, Katharina Üçgül, Stefan Grathoff
Aktualisiert am: 9.12.2014
Anmerkungen:
- Dreyer/Rogge, Mainz; Grathoff/Rettinger, Kaufhausordnung; Jahn/Rettinger, Shoppen; Gutenberg-aventur; Mattheus, Vom Bistumsstreit bis zur Stiftsfehde. Zurück
- Zur Entwicklung und Bedeutung der Frankfurter Messe s. Koch, Frankfurt, passim Zurück
- Falck, Blütezeit 1973, S. 101; Falck, freie Stadt S. 157. Zurück
- Im Jahr 1348 wurde Mainz ein »ewiger« Jahrmarkt zugesagt, der vier Wochen dauern und die selben Rechte wie die Frankfurt Herbstmesse haben sollte (Schrohe, Mainzer Geschlecht S. 11). Zurück